Droht die nächste „Zerreißprobe“?
Wütende Anrufe, Krisengespräche und Vertragsstrafen: Mülltonnen im BGL sorgen für Dauerfrust
Die Leerung der Mülltonnen im Berchtesgadener Land verursachte in diesem Jahr wieder großen Ärger. Gleichzeitig wurden die Abfallgebühren im Landkreis erhöht, was für neuen Frust sorgte. Im August und September zählte das Landratsamt an einzelnen Tagen über 100 Anrufe und Dutzende E-Mails. Die Probleme und Hintergründe sind vielschichtig. Es gibt zwar Anlass zur Hoffnung, doch es könnte auch neuer Unmut drohen.
Berchtesgadener Land - Thomas Hartenberger hat viel zu erzählen. Der Frust, der sich in den vergangenen Monaten angestaut hat, ist immer größer geworden. Denn als Leiter der Kommunalen Abfallwirtschaft im Landratsamt haben er und seine Mitarbeiter den ganzen Unmut der Bürger abbekommen. Der Fall von Jutta Kassler aus Laufen war nur einer von ganz vielen. „In den Hochphasen, wie wir sie im August und bis Mitte September hatten, erreichten uns über 100 Nachrichten per Telefon und weitere Dutzende per E-Mail. Viele Betroffene melden sich bei uns leider nicht zum ersten Mal“, schildert Hartenberger.
Manche sind erbost, werden am Telefon ausfallend oder gar beleidigend. Dass der Kreistag im Mai beschloss, die Abfallgebühren zu erhöhen, ließ den Ärger weiter anwachsen. „Andere schimpfen zwar auf die Müllabfuhr, haben aber Verständnis für unsere Situation.“ Er und seine Mitarbeiter versuchen, über die Umstände aufzuklären und um Verständnis für die Lage zu bitten.
Zugeparkte Straßen, Baustellen oder das Wetter
„Ganz reibungslos lief der Vertrag noch nie“, sagt Hartenberger zur Zusammenarbeit mit den beteiligten Firmen. Im Landkreis gibt es Gebiete, die aus logistischer Sicht schwierig sind. Verengte Straßenverhältnisse werden unter anderem durch zugeparkte Straßen, Baustellen, Unterführungen, extrem Steigerungen oder nicht zurückgeschnittenes Grünwerk verursacht. An manchen Tagen kommen noch extreme Witterungsverhältnisse dazu. In vielen Fällen seien es einzelne Tonnen, die nicht geleert wurden. Oft, weil sie nicht ausreichend sichtbar platziert waren, beispielsweise durch parkende Fahrzeuge oder andere Hindernisse.
Diese Firmen werden beauftragt
Wie Hartenberger erläutert, gibt es seit Ende 2018 die Organisation der Müllabfuhr in ihrer jetzigen Form. Bis Ende September 2024 wurde die Firma Wurzer mit Sitz in Eitting mit der Rest- und Bioabfallsammlung beauftragt. Seit 2019 sitzen die Firmen Maltan aus der Schönau und Wallisch aus Tittmoning als Subunternehmer mit im Boot. Weil sich es bei Wurzer laut Hartenberger zu strukturellen und personellen Veränderungen kam, wurde im Februar 2022 die Firma Remondis Chiemau (Chieming) ebenfalls als Subpartner beauftragt. Wie der Leiter der Kommunalen Abfallwirtschaft schildert, führte und leitete Remondis im Zuge der Partnerschaft das operative Geschäft. Damit war die Firma sowohl für das Personal und die Fahrzeuge als auch die Disposition der Logistik verantwortlich. Das lokal tätige Personal sei von Wurzer der Firma Remondis überlassen worden.
„So richtig tiefgehende Leerungsprobleme haben wir seit Mai 2022 regelmäßig rund um die Schulferien. Natürlich sind 2022 und 2023 noch Corona geprägte Jahre, der Krankenstand war in vielen Bereichen vergleichsweise hoch. Dennoch lässt sich die Häufung der Defizite zu den Ferienzeiten unserer Meinung nach nicht allein durch Krankheitsfälle erklären.“ Während dieser Phasen kam es immer wieder zu kompletten Ausfällen in bestimmten Straßenzügen und Ortsteilen. Im August 2024 war schließlich das ganze Sammelgebiet betroffen.
„Betrifft regelmäßig die gleichen Tourgebiete, Bürger und Tonnen“
Besonders bedauerlich für Hartenberger: Egal, ob Einzeltonne am Einsiedlerhof oder Straßenzüge im Stadtgebiet, „es betrifft regelmäßig die gleichen Tourgebiete, Bürger und Tonnen“. Wetterbedingt ist der Raum Berchtesgaden und Maria Gern häufiger betroffen. „Auch in den städtischen Bereichen von Freilassing, Bad Reichenhall oder Laufen treten häufiger Leerungsdefizite auf.“
Die Umstände in den Betrieben der Auftragnehmer umfänglich zu erfassen oder zu bewerten, das wolle sich Hartenberger nicht anmaßen. Doch er berichtet, dass sich einzelne Mitarbeiter in der Vergangenheit sehr wohl persönlich an das Landratsamt gewendet haben. „Natürlich haben wir die Hinweise zum Anlass genommen und bei den Betrieben nachgefragt. Die Hintergründe und Gründe für die Abläufe werden aber von allen Beteiligten unterschiedlich wahrgenommen und wiedergegeben.“ Aus seiner Sicht sei jedoch erkennbar, dass der Fachkräftemangel lange Zeit nicht ernst genommen wurde und dass auch das Angebot an Aus- und Fortbildung sowie die Lohnbildung ihren Beitrag geleistet haben.
Die Kosten für Rest- und Biomüll
Die Sammlung des Restmülls im Holsystem hat nach Angaben des Landratsamtes im Jahr 2023 rund 1,3 Millionen Euro gekostet, die Sammlung des Bioabfalls rund 900.000 Euro. Ab 2025 kosten die beiden Aufträge erheblich mehr: Die Kosten steigen dann auf rund 1,7 Millionen Euro für Restmüll und rund 1,3 Millionen Euro für Bioabfall.
Das sagt die Firma Remondis aus Chieming
Als es Anfang Januar bereits zu Problemen beim Restmüll kam, verwies der beauftragte Subunternehmer Remondis Chiemgau bereits darauf, dass sich die Situation aufgrund des Personalmangels noch zuspitzen könnte. Ein Sprecher der Firma mit Sitz in Chieming erklärte, dass es derzeit keine größeren Probleme gebe und dass sich die örtliche Niederlassung im stetigen Austausch mit dem Landratsamt befinde. Die Probleme, zum Beispiel im Spätsommer, werden auf krankheitsbedingte Ausfälle von Fahrern zurückgeführt. „Solche Ausfälle lassen sich leider kurzfristig kaum kompensieren, zumal Ersatzfahrern aus anderen Regionen erstmal die Tourroutine im für sie ungewohnten Sammelgebiet fehlt“, heißt es.
Remondis habe auf diese Situation reagiert, indem die Fahrzeuge technisch aufgerüstet wurden und zusätzliches Personal (vier neue Fahrer) dauerhaft für die Region Berchtesgadener Land eingestellt wurde. Damit sei die Situation dauerhaft signifikant verbessert worden und seit dem 1. Oktober liefen die Touren nach Plan. Der Sprecher betont aber: „Natürlich ist nie ganz auszuschließen, dass bei einer Tour vereinzelt auch mal Behälter ungeleert zurückbleiben, was verschiedene Gründe haben kann, zum Beispiel Fehlbefüllungen oder mangelnde Tourroutine von noch unerfahrenem neuem Personal. In solchen Fällen wird in der Regel schnellstmöglich eine Nachabfuhr organisiert.“
Mit der Kommunikation nicht zufrieden
Hartenberger von der Kommunalen Abfallwirtschaft sieht das etwas anders. Die Kommunikation mit der Firma Wurzer und vor allem mit Remondis Chiemgau gestalte sich aus Sicht des Landratsamts als zögerlich. Verantwortliche würden sich nur sehr sporadisch melden. „Wie die Leser in den vergangenen Jahren häufig lesen durften, gibt es immer wieder Rückmeldungen der Firmen, wann großräumige Nachleerungen stattfinden sollen. Diese Informationen, ebenso wie die Ankündigung von Einzelleerungen, haben sich als unzureichend erwiesen, da angekündigte Termine nicht eingehalten wurden.“
Darüber hinaus sei viel zu lange versucht worden, Probleme bei der Leerung kleinzuhalten. „Regelmäßig haben wir fünf und mehr fehlende Leerungen, also Mitteilungen durch die Bürger, bereits weitergegeben und für uns einen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang erkannt, bevor seitens Remondis Versäumnisse, Personalausfall oder technische Probleme gemeldet wurden“, schildert Hartenberger.
Vor Ort auf der Suche nach Lösungen
„Krisengespräche gab es in den vergangenen drei Jahren mehrmals. Vertragsstrafen wurden zudem mehrfach verhängt, zuletzt für die Verfehlungen im August 2024.“ Allein zwischen dem 1. April 2019 und dem 30. September 2024 wurden mehrere Vertragsstrafen in einer Gesamthöhe im unteren sechsstelligen Bereich verhängt. Die letzte Vertragsstrafe liege im mittleren fünfstelligen Bereich. „Diese Strafzahlungen fließen in die Abfallgebühren zurück und zeigen hoffentlich Wirkung für die Zukunft“, so Hartenberger.
In einigen wiederkehrenden Problemfällen versuchten die Mitarbeiter des Landratsamtes bei Ortsterminen, die Sachlage aufzuklären und Lösungen für die Bürger zu finden. Ob dies den Rückschnitt von Gehölzen betrifft, die Grundstückseigentümer vornehmen müssen, oder Halteverbote, die durch zuständigen Gemeindeverwaltungen ausgesprochen und vollzogen werden: Hartenberger und sein Team ließen nichts unversucht.
Extreme Belastung für Mitarbeiter des Landratsamtes
„Auch Gespräche mit Falschparkern werden grundsätzlich gesucht. Und wo keine Lösung möglich scheint, tatsächlich aber auch Schwierigkeiten für die Leerung oder die Anfahrt bestehen, versuchen wir mit der Festlegung von Sammelplätzen Abhilfe zu schaffen.“ Doch: In den meisten Fällen sei man gezwungen, den Frust der Bürger zu akzeptieren, ohne ihnen direkt weiterhelfen zu können.
Für seine Mitarbeiter sei die Situation ebenfalls eine große Herausforderung und Belastung. Normalerweise gibt es bis zu zehn Mitteilungen pro Arbeitstag. Und immer wieder wird auch festgestellt, dass auch Tonnen nicht bereitgestellt wurden und dennoch eine Nachleerung gefordert wurde. Doch in den Hochphasen seien es neben dem „Dauerbrenner Telefondienst und der E-Mail-Flut“ - inklusive des Ärgers der Bürger - die vertraglichen Belange, die sein Team binden.
Mehrere Hoffnungsschimmer
Hoffnung macht eine Änderung, die seit dem 1. Oktober 2024 greift: Die Leistungen für Restmüll und Bioabfallsammlung werden an unterschiedliche Auftragnehmer vergeben. Dem neuen Vertrag ging eine europaweite Ausschreibung der Dienstleistung voraus. Hartenberger erhofft sich dadurch auch eine bessere Kommunikation und eine höhere Zuverlässigkeit. Restmüll hat nunmehr die Firma Remondis direkt inne, Bioabfall obliegt wieder der Firma Wurzer. Grundsätzlich ändert sich aber auch unter den neuen vertraglichen Rahmenbedingungen nichts an der Kooperation und Subpartnerschaft der beiden Firmen.
Nach außen hin erkennbare Veränderungen werden wir erst ab dem 1. Januar 2025 sehen.
„Nach außen hin erkennbare Veränderungen werden wir erst ab dem 1. Januar 2025 sehen“, so Hartenberger. Denn dann erfolgt eine Veränderung der bisherigen Tourenplanung. Für ihn eine erste „Zerreißprobe“, denn die Abfalltouren wurden komplett überplant und es kann dementsprechend auch wieder zu Anlaufschwierigkeiten kommen.
- Wie Hartenberger erklärt, ist im alten wie im neuen Vertragswerk vorgesehen, dass eine Örtlichkeit am Tag der Regeltour frühestens nach 2 Stunden erneut angefahren werden muss. Eine weiterhin nicht befahrbare Straße, zum Beispiel durch wildes Parken, ist mit einem Foto zu dokumentieren und der Kommunalen Abfallwirtschaft unaufgefordert darzulegen. „Ausgefallene Touren und großflächige ausgefallene Tourgebiete sind noch in derselben Woche des Regeltermins, gegebenenfalls auch am Samstag, nachzuleeren.“ Da die Leerung der Tonnen in der Zeit von 6 bis 20 Uhr erfolgen kann, ist eine Reklamation erst am Folgetag möglich. Deshalb können Ausfälle vom Freitag regelmäßig erst am Montag weitergemeldet und bearbeitet werden.
„Bei beiden Firmen werden zudem aus auslaufenden Verträgen mit anderen Landkreisen ab dem 1. Januar 2025 mehr Personal und mehr Fahrzeugkapazität zur Verfügung stehen und bei uns im Landkreis eingesetzt werden. Durch weitere veränderte Rahmenbedingungen in der Sammellogistik der Firmen und neue, leistungsfähigere Fahrzeuge soll insgesamt mehr und schneller auf Personalausfall reagiert werden“, stellt Hartenberger einen weiteren Hoffnungsschimmer in Aussicht. Am System der Vertragsstrafen und Ersatzvornahmen werde man trotzdem grundsätzlich festhalten.
Eigenbetrieb langfristig eine Lösung?
Ein kommunaler Eigenbetrieb sei langfristig gesehen eine denkbare Alternative, sollte es wieder zu größeren Problemen kommen. Dieser sei nicht auf Gewinnerzielung ausgelegt und mit eigenem Personal sowie einer eigenen Fahrzeugflotte ließen sich die Ereignisse selbst beeinflussen. „So sind wir nur Zuschauer der Geschehnisse.“ Mit einem Eigenbetrieb käme man auch seinem originären Auftrag der Daseinsvorsorge nach und könnte sogar Kosten einsparen.
„Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ein Eigenbetrieb nicht kostenlos aufgebaut werden kann und vor allem Zeit im Aufbau benötigt“, betont Hartenberger. Die kommenden sechs Jahre - solange läuft der neue Vertrag mindestens - würden daher alle vertraglichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um eine ordentliche Vertragserfüllung zu erhalten.
Denn dass der Landkreis finanziell aktuell nicht auf Rosen gebettet ist und mit dem Neubau des Zentralklinikums in Bad Reichenhall ein Großprojekt wartet, weiß auch Hartenberger. (ms)