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Christoph Greißl entschuldigt sich

„Kultur der Angst“: Kirchdorfer Rathauschef nach Chaos im Kreuzfeuer - aber was passiert jetzt?

Christoph Greißl bei der Bürgerversammlung in Kirchdorf.
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Christoph Greißl bei der Bürgerversammlung in Kirchdorf. Ihm wird vorgeworfen, dass er auf große personelle Probleme in der Verwaltung nicht angemessen reagiert habe.

Gespannte Erwartung bei der Bürgerversammlung in Kirchdorf: Wie geht es weiter nach dem Verwaltungs-Chaos und der geplatzten Ratssitzung? Das sagten Bürgermeister und Gemeinderat zur Misere. Warum Bürger über „kriminelle Machenschaften“ und eine „Kultur der Angst“ sprachen und was sie eindringlich fordern.

Kirchdorf – Proppenvoll war die Wirtsstube im Gasthaus Hacklthal bei der Kirchdorfer Bürgerversammlung. Bis in den Flur hinaus standen die Leute, um die Ausführungen von Bürgermeister Christoph Greißl zum Verwaltungs-Chaos mit der VG Reichertsheim zu hören. Die Spannung war groß, als Greißl vor rund 250 Bürgern Stellung nahm. Lang und breit erklärte der Rathauschef die prekäre Situation, angefangen von seinem Amtsantritt im Jahr 2020 und dem der Geschäftsstellenleiterin, der im November 2023 gekündigt worden sei, bis zum Zusammenbruch der Verwaltung, bei der im Herbst 2023 „das volle Ausmaß zu tragen kam“.

Es gab liegengebliebene Rechnungen, langjährige Mitarbeiter, die gekündigt hatten oder entlassen wurden, unbearbeitete Vorgänge und ein miserables Arbeitsklima. All das habe er zu spät erkannt, so Greißl. Er habe die Warnungen überhört und sei „falsch damit umgegangen“. „Ich habe nicht so reagiert, wie ich es hätte tun sollen“, erklärte er. „Ich möchte mich in aller Öffentlichkeit entschuldigen. Für die Zeit, in der ich VG-Vorsitzender war, trage ich die volle Verantwortung“, verdeutlichte er. Sein großer Wunsch nach einer funktionierenden Verwaltung habe ihn taub gemacht für alle Warnglocken. Er habe den „zwischenmenschlichen Aspekten“ zu wenig Beachtung geschenkt und sich auf die Verwaltungsleiterin verlassen. Als er „endlich erkannt“ habe, was passiert sei, war das für Greißl „ein Schlag ins Gesicht“. „Es hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen“, erklärte er den Anwesenden. „Nie hätte ich mit so etwas gerechnet“.

Mittlerweile sei die Gemeinde das Problem angegangen und habe eine externe Firma beauftragt, die wieder Ordnung in das Verwaltungs-Chaos bringen solle. Zudem seien rechtliche Schritte gegen die Geschäftsstellenleiterin eingeleitet. „Doch es fehlt Manpower“, bedauerte Greißl. Es müsse vieles aufgearbeitet werden, gleichzeitig laufe der „Workflow“ weiter. Eine große Herausforderung für Kirchdorf. Einen Lichtblick gab es aber: Die Gemeinde konnte bereits einen neuen Verwaltungsleiter einstellen. Er wird im Juli seine Stelle antreten, so der Bürgermeister. Dennoch sei es für alle Beteiligten eine „nervenaufreibende und strapaziöse Zeit“.

Bürgermeister Christoph Greißl steht den Bürgern Rede und Antwort.
Rund 250 Gäste waren bei der Bürgerversammlung Kirchdorf anwesend.

„Missstände nicht zu übersehen“

Auch der Gemeinderat nutzte die Gelegenheit, um seine Sicht der Dinge darzulegen und auch zu erklären, warum er in der Sitzung am 5. März kollektiv den Raum verlassen hat. Josef Heindl (FWG Kirchdorf) meinte, er habe das Gefühl gehabt, er sei als Gemeinderatsmitglied „nur Beiwerk“ gewesen. „Das volle Vertrauen gab es nur zwischen dir und der Verwaltungsleiterin, obwohl die Missstände nicht mehr zu übersehen waren“, richtete er sich an den Bürgermeister. Andreas Reuß (FWG Kirchdorf) kritisierte, dass die Behebung der „ganzen Fehler“ und die externe Firma, die nun benötigt werde, „eine Stange Geld“ koste. Geld, das er lieber in Projekte für Kirchdorf gesteckt hätte, wie den Neubau eines Radwegs in Bach, den Rathausvorplatz oder das Fernwärmenetz. Doch es lag „nicht einmal ein Haushalt vor“, beanstandete Reuß. Greißl, der während der Kritik des Gemeinderats still und mit ernster Miene dasaß, notierte sich die verschiedenen Punkte, die die Ratsmitglieder einbrachten.

Josef Oberniedermaier (FWG Kirchdorf) ergänzte: „Das Ratsinformationssystem war ein dauerhaftes Ärgernis. Es gab keine Unterlagen und nur spärliche Informationen“. Die Protokolle seien mangelhaft gewesen, viele Themen seien im Gemeinderat in der nicht-öffentlichen Sitzung behandelt worden, obwohl dies aus seiner Sicht nicht nötig gewesen wäre. „Wenn ich versucht habe, mit dir zu reden“, wandte sich Oberniedermaier an den Bürgermeister, „war das nicht von Erfolg geprägt“. Werner Eberl (FWG Kirchdorf) meinte, er selbst habe drei „Original-Zitate von Mitarbeitern“ gehört, die unter der Verwaltungsleiterin gearbeitet hätten: „Kultur der Angst, Kontroll-Wahn und ‚Kirchdorfer, haltet euer Geld fest!‘“, sollen diese laut Eberl gesagt haben. „Ich bin sicher, dass es schwierig war, die kriminellen Machenschaften dieser Frau zu erkennen, aber hier hätte eingegriffen werden müssen“, betonte das Gemeinderatsmitglied in der Versammlung.

„Der letzte Ausweg“ für den Gemeinderat

Josef Schneider (FWG Kirchdorf) erklärte das „drastische Mittel“ des Gemeinderats, die Sitzung zu verlassen: „Über vier Jahre lang haben wir versucht, einzugreifen. Dieser Paukenschlag muss uns zugestanden werden. Es war für uns der letzte Ausweg, um unsere Hilflosigkeit zu signalisieren. So wollten wir auch die Öffentlichkeit auf unsere Situation aufmerksam machen“, verdeutlichte er. Dennoch ist für Schneider klar: „Die Zeichen stehen auf Neuanfang“. Das wichtigste Signal für ihn: die Wiederöffnung des Rathauses unter der Woche. Momentan sei es nur freitagvormittags geöffnet und auch nur, weil eine Mitarbeiterin aus dem Ruhestand zurückgekehrt sei. „Was geschehen ist, ist geschehen. Ich sehe dich schon in der Verantwortung“, so Schneider zum Bürgermeister. „Trotzdem wollen wir, dass es bis zur nächsten Kommunalwahl in zwei Jahren wieder reibungslos läuft“, betonte er. Greißl schien es ähnlich zu sehen, betonte aber, dass es für ihn „eine Watschen“ war, als der Gemeinderat die Sitzung verlassen habe.

Nachdem Greißl und die Gemeinderäte die Situation in der Verwaltung ungefähr eineinhalb Stunden dargelegt hatten, waren die Bürger dran. Ein Kirchdorfer meinte, es sei ein „gravierender Schaden“, wenn so viele Mitarbeiter gleichzeitig aufhören würden, was Greißl nickend bestätigte. Er ergänzte, die Verwaltungsleiterin hätte „ein strammes Regiment“ geführt. Der Bürger entgegnete, dass dieser Führungsstil nicht unbedingt zu vielen Kündigungen führen müsse. „Mir ist das nicht transparent genug. Es erscheint mir nicht schlüssig, warum so lange zugeschaut wurde“, kritisierte er. „Hast du denn nicht mit dem Personal gesprochen?“, fragte einer nach, woraufhin Greißl meinte, er sei „wenig greifbar gewesen, weil er sich viel in Reichertsheim aufgehalten“ habe.

„Wo stehen wir denn überhaupt finanziell?“

Ein anderer Einwohner fragte nach: „Wo stehen wir denn überhaupt finanziell? Geht es hier um Hunderttausende, um Millionen?“ Diese Frage konnte niemand so richtig beantworten, da der „Workflow weiterläuft und das Chaos noch aufgearbeitet wird“, wie der Rathauschef erklärte. „Aber es handelt sich sicherlich nicht um Millionen“, so Greißl. Ein weiterer Bürger meinte, er hätte gehört, dass langjährige Mitarbeiter gekündigt hätten, aber auch entlassen worden seien – und dies mit großen Abfindungen. „Das stimmt“, sagte der Rathauschef. Weiter könne er darauf nicht eingehen.

Ein Kirchdorfer klagte das Vorgehen des Gemeinderats an. „Es ist nicht rechtens, die Sitzung zu verlassen. Es gibt ja auch so etwas wie eine Sitzungspflicht. Wir haben einen jungen Bürgermeister, der sich aufstellen hat lassen. Wo gibt es denn sowas noch? Es ist ja auch kein gutes Signal für den nächsten Kandidaten, wenn ihr den Rathauschef fallen lasst. Ihr solltet ihn nicht im Regen stehen lassen“, sagte er unter großem Applaus der Bürger. Ein weiterer Einwohner sprang ebenfalls für Greißl in die Bresche: „Als neu gewählter Bürgermeister kann Greißl die Fülle der Themen überhaupt nicht überblicken. Eine Verwaltung ist hochkomplex. Es gibt verschiedene Abteilungen, da braucht es fähiges Fachpersonal, die diese im Griff hat“.

„Extrem schwierige Situation“

Eine weitere Frage galt Landrat Max Heimerl, der bei der Bürgerversammlung anwesend war: „Warum hat das Landratsamt nichts unternommen?“ „Die Rechnungsprüfer hatten für Kirchdorf das Jahr 2021 abgeschlossen, da war alles gut. Das Jahr 2022 war noch in Arbeit, weswegen die Probleme noch nicht ersichtlich waren“, erklärte der Landrat. Erst im Spätsommer 2023 sei das „volle Ausmaß“ erkennbar gewesen. Im April finde erneut eine Überprüfung durch die Behörde statt, so der Landrat. Weiter zeigte sich Heimerl „positiv überrascht“ von der sachlichen und konstruktiven Diskussion in der Bürgerversammlung. „Ich wusste nicht, was mich heute erwartet. Es ist eine extrem schwierige Situation, die die Bürger hier gemeinschaftlich versuchen, zu meistern“, verdeutlichte er.

Abschließend fragte eine Bürgerin nach, wie es weitergehe. „Welche Lehren wurden gezogen? Ich sehe hier den Bürgermeister als Einzelkämpfer. Ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Gemeinderat und dem Rathauschef zerrüttet?“, wollte sie wissen. Der Rathauschef meinte, dass er in Zukunft dafür Sorge tragen werde, dass die Verwaltung „wieder funktioniert und das Arbeitsklima passt“. Das sei eine „große Aufgabe“. Er und der Gemeinderat zeigten sich grundsätzlich gesprächsbereit. Zum Schluss rief ein Bürger: „Rauft's euch wieder zusammen!“, was unter großem Gelächter und Applaus der Bürger den Abschluss der rund dreistündigen Versammlung bildete.

Keine Mehrwertsteuer erhoben

Kirchdorfs Bürgermeister Christoph Greißl hatte auf der Bürgerversammlung eine weitere Hiobsbotschaft für die Einwohner. „Die Abrechnung der Wasserversorgung ist nicht optimal gelaufen“, erklärte er. Im Zuge der Prüfungen durch die extern beauftragte Firma, die das Verwaltungs-Chaos in der Gemeinde wieder in Ordnung bringen soll, sei dieser Punkt aufgefallen.

„Wir sind grundsätzlich verpflichtet, sieben Prozent Mehrwertsteuer für die Wasserversorgung abzuführen. Das ist viele Jahre nicht passiert“, so Greißl. „Wir haben dies dem Finanzamt mitgeteilt“, sagte er. Dies betreffe vor allem die Bürger aus dem Ortsteil Berg, denn die Mitglieder des Zweckverbands zur Wasserversorgung der Schlicht-Gruppe, zu denen unter anderem auch die Gemeinden Kirchdorf, Reichertsheim, Gars, Haag und Soyen gehören, seien nicht betroffen.

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