Paukenschlag mit Folgen
Sitzung nach Eklat in Kirchdorf geplatzt: „Bürgermeister hat uns als Gemeinderat verloren“
Eklat in Kirchdorf: Geschlossen hat der Gemeinderat am Dienstag (5. März) die Sitzung verlassen, bevor sie recht begonnen hatte. „Der Bürgermeister hat uns als Gemeinderat verloren“, heißt es zur Begründung. Protokoll einer halben Stunde, in der im kleinen Kirchdorf die Welt aus den Fugen geriet.
Kirchdorf – 19.30 Uhr im Sitzungssaal des Kirchdorfer Rathauses. Die Mienen der Gemeinderäte: sorgenvoll, angespannt. Dann ein überraschender Antrag von Josef Oberniedermaier (FWG Kirchdorf): Der Gemeinderat wünsche, dass vor dem Eintritt in die Tagesordnung über die Klausurtagung zum Haushalt gesprochen werde. Einstimmig ist das Gremium dafür. Dann der Paukenschlag: Josef Schneider (FWG Kirchdorf) fragt den Sitzungsleiter, Bürgermeister Christoph Greißl (FWG Kirchdorf), wie er zu seiner politischen Verantwortung für das Chaos-Jahr in der Verwaltungsgemeinschaft mit Reichertsheim stehe. Bekanntlich hatten große personelle Probleme die Arbeit quasi zum Erliegen gebracht, Rechnungen blieben unbezahlt, ein „Not-Haushalt“ musste her. Greißl antwortet, er trage die Verantwortung „für das, was ich aktiv gemacht habe“, sagt er, er habe sich bei seinen Entscheidungen in der Krise stets rechtliche Beratungen eingeholt sowie die Sachverhalte von der Personalstelle darlegen lassen.
Zu wenig? Schneider erhebt sich von seinem Stuhl und verliest eine Stellungnahme des Gemeinderates: Sieben Punkte, die es in sich haben: Der Kirchdorfer Bürgermeister habe den VG-Vorsitz innegehabt im kritischen Zeitraum von Dezember 2022 bis Oktober 2023. In dieser Zeit hätten zahlreiche Mitarbeiter aufgrund des“ vorherrschenden Arbeitsklimas und der Führungskultur“ gekündigt. „Dies führte zum Zusammenbruch der Verwaltungsstrukturen.“ Etwa 1.000 Rechnungen seien unbezahlt liegengeblieben. Es sei ein großer finanzieller Schaden entstanden, so der Sprecher des Rats mit Nachdruck. Er spricht im Namen des Gremiums von mehreren 100.000 Euro für jede der beiden Gemeinden. Und setzt nach: „Wir beklagen vier Jahre Stillstand in der Gemeindeentwicklung.“ Sachthemen seien unzureichend vorbereitet, angestoßene Projekte nicht weiterverfolgt worden. Als Beispiel nennt der Sprecher des Gemeinderates den jahrelangen Stillstand beim Fernwärmeausbau, bei dem vereinbarte Fristen verstrichen seien, Untätigkeit bei der Aufstellung des Haushaltes 2023, trotz mehrfacher Aufforderung, aktiv zu werden.
„Keine Änderung im Verhalten des Bürgermeisters“
Das Gremium stelle fest, dass mehrere interne Gespräche „weder Einsicht noch Änderung im Verhalten des Bürgermeisters“hervorgebracht hätten. „Wir verlassen daher die heutige Sitzung als Symbol für die mangelnde Bereitschaft des Bürgermeisters für eine konstruktive Zusammenarbeit.“ Alle Gemeinderäte erheben sich geschlossen von ihren Plätzen, packen ihre Sachen zusammen, gehen aus dem Raum. Zurückbleiben Greißl und seine Stellvertreterin Maria Wittmann. Sprachlos zuerst, sichtbar um Fassung ringend.
Ein Eklat, der deutlich macht, wie sehr es brodelt in Kirchdorf. Es ist quasi fünf vor 12 beim Versuch, die Kommunalpolitik und Verwaltungsarbeit im Rathaus nach dem Chaos-Jahr wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Und ein Symbol dafür, dass es für den Kirchdorfer Rathauschef eng wird. „Der Bürgermeister hat im vergangenen Sanierungszeitraum von fünf Monaten uns als Gemeinderat verloren“, sagt Schneider später am Telefon im Gespräch mit der Redaktion. Er war bei der Kommunalwahl der Kandidat für den Gemeinderat mit den meisten Stimmen, deshalb habe ihn das Gremium gebeten, die gemeinsam formulierte Stellungnahme zu verlesen, erklärt er. Das bisherige Krisenmanagement reiche nicht aus, „da kommt zu wenig von unserem Bürgermeister“, findet der Sprecher.
„So geht es nicht weiter“
Kirchdorf sei den Bürgerinnen und Bürgern Rechenschaft schuldig. Die Gemeinde habe Schaden genommen, unter anderem finanziell, weil teure externe Berater hätten tätig werden müssen, Vorhaben verschleppt worden seien. „Wir dürfen außerdem die Augen vor der Realität nicht verschließen. Die Kündigungen in der VG entstanden, als unser Bürgermeister Vorsitzender war.“ Der Gemeinderat habe mehrfach das Gespräch mit Greißl gesucht, intern und nicht-öffentlich, jedoch keine Änderung im Verhalten feststellen können. „So geht es nicht weiter“, betont der Sprecher. Geschlossen die Sitzung zu verlassen, solle zeigen, „dass es der Gemeinderat ernst meint mit der Forderung nach einem Schluss mit dem weiter so.“
Tritt Greißl jetzt zurück? „Der Ball für ein weiteres konstruktives Vorgehen liegt im Spielfeld des Bürgermeisters“, sagt Schneider im Namen des Gemeinderates. „Wir wollen erreichen, dass in Kirchdorf wieder was bewegt wird. Wir wollen den Bürgermeister nicht persönlich schädigen, doch wir müssen wieder eine Basis der Zusammenarbeit finden.“ Schneider legt außerdem Wert auf die Feststellung: „Wir werden keine Schmutzwäsche waschen. Wir haben uns an alle Abmachungen gehalten, etwa daran, aufgrund der laufenden Gerichtsverfahren zu den Kündigungen Stillschweigen zu wahren.“ Der Gemeinderat sei in seinem Wunsch nach einem Neuanfang, der wieder Bewegung in die Kommunalpolitik bringe, geschlossen. Vertreter aller drei Ortsteile und Wählergemeinschaften seien sich einig.
„Das muss ich erst mal sacken lassen“
Greißl will am Abend noch keine Aussagen zu den Konsequenzen des Vorgangs treffen. „Das muss ich erst einmal sacken lassen“, sagt er ruhig. Dass es brodelt, bestätigt er, auch Wittmann spricht von einer schwierigen Situation, in der sich das Gremium seit längerem befinde. „Der Gemeinderat steht nicht mehr hinter mir“, stellt der Bürgermeister fest. Natürlich übernehme er die politische Verantwortung für das, was er gewusst und getan habe, „aber nicht vollumfänglich“. Denn Greißl ist der Meinung, die Probleme in der Verwaltungsgemeinschaft hätten schon viel eher begonnen, deutlich vor seiner Zeit als Rathauschef. Als Beispiel nennt er falsche Abrechnungen bei der Wasserversorgung. Seit jeher ist in Kirchdorf keine Mehrwertsteuer erhoben worden. Ein weiterer schwerer Fehler, der im Rahmen der Konsolidierung nach dem Chaos-Jahr entdeckt worden sei.
Greißl spricht von einem Ausnahmezustand, in dem sich die VG und ihre beiden Gemeinden befunden hätten. Die Arbeitsstrukturen seien „nicht zufriedenstellend“ gewesen, einzelne Mitarbeiter hätten in der Zeit seines Vorsitzendes teilweise nicht getan, was für einen ordnungsgemäßen Verwaltungsablauf notwendig gewesen wäre. Die schlechte Stimmung habe sich hochgeschaukelt, es hätten viele gekündigt. Generell stellt er fest, Kirchdorf falle in der VG „oft hinten runter“, auch das habe er nicht länger akzeptieren wollen. Außerdem habe er einer Person in der Geschäftsleitung vertraut, die dieses Vertrauen ausgenutzt habe. Schließlich seien die Verwaltungsstrukturen zusammengebrochen, die VG und die Mitgliedsgemeinden hätten keinen Haushalt aufstellen können.
„Zu Sachbearbeiter Nummer eins mutiert“
Der Gemeinderat habe diesbezüglich in der Tat immer wieder nachgehakt, „doch es war einfach keiner mehr da, der es hätte tun können.“ Mittlerweile sei er als ehrenamtlicher Bürgermeister zum Sachbearbeiter in der Verwaltung von Kirchdorf mutiert. So würden Sitzungsdienst, Mitteilungsblatt und viele weitere Themen größtenteils in die Eigenregie des Ehrenamtlichen bezwungen. Angesichts der vielen unbearbeiteten Vorgänge und großen Probleme sei es ihm nicht gelungen, Themen, die auf der Agenda ständen und dringlich seien, wie gewünscht abzuarbeiten. Er habe sich zuerst einen Überblick verschaffen müssen, wie der Sachstand in einzelnen Vorgänge sei.
Das vom Gemeinderat angeführte Problem Fernwärme sei eines der Vorhaben, das liegengeblieben sei. Sei dem Geschäftsführerwechsel im Sommer 2023 sei dennoch einiges vorangegangen. „Wir konnten das erforderliche Durchleitungsrecht unterzeichnen und befinden uns jetzt in der finalen Planungsphase.“ Auf der Tagesordnung der geplatzten Sitzung habe die Thematik gestanden. „Wir sind noch da“, sagt Greißl, der findet, der Gemeinderat fordere von ihm eine konstruktive Zusammenarbeit, habe diese jedoch durch das Verlassen des Rathauses selber aufgekündigt.
Erklärung in Bürgerversammlung
Am Donnerstag, 14. März, ist Bürgerversammlung, ein Sondertermin, in dem Greißl als Rathauschef den Bürgerinnen und Bürgern Rede und Antwort stehen will. „Ich wurde von den Kirchdorfern gewählt, nicht vom Gemeinderat“, betont er. Das Thema Rücktrittsforderung habe es im Zusammenhang mit den Vorkomnissen in der Verwaltung schon einmal gegeben. Ob er diesen Schritt tun wird, lässt er offen. Nur so viel: „Wir sind alle nur Menschen. Alle Menschen machen Fehler. Auch ich! Wir lernen aus unseren Fehlern. Wir sollten die Chance bekommen, es besser zu machen. Schließlich müssen wir unsere Entscheidungen zum Wohle der Bürger treffen.“
