Nach dem Zusammenbruch der Verwaltungen
Nur ein Einzelfall? Was der Gemeindetag zum Kirchdorfer Verwaltungs-Chaos sagt
Der Kirchdorfer Gemeinderat hat die jüngste Sitzung platzen lassen: mangelndes Vertrauen in das Krisenmanagement von Bürgermeister Christoph Greißl. Dieser nennt als Grund für das Chaos-Jahr komplexer werdende Aufgaben und Personalmangel. Ein Einzelfall oder Ausdruck einer chronischen Überlastung von Kommunen? So schätzt der bayerische Gemeindetag die Situation ein.
Reichertsheim/Kirchdorf – Die Verwaltungsgemeinschaft Reichertsheim-Kirchdorf kämpft mit den Nachwehen eines Chaos-Jahres. 1000 unbezahlte Rechnungen, viele liegengebliebene Projekte und nun ein Gemeinderat, der dem Kirchdorfer Bürgermeister und im kritischen Zeitraum zuständigen VG-Leiter Christoph Greißl sein Vertrauen entzogen hat. Das ist die derzeitige Bilanz. Greißl und Reichertsheims Bürgermeister Franz Stein sprechen von Überforderung angesichts komplexer werdender Aufgaben, Personalproblemen und einer Kündigungswelle. Ein Einzelfall oder Ausdruck einer chronischen Überlastung von Kommunen?
Für Georg Große Verspohl, Finanz- und bis vor kurzem Personalreferent beim bayerischen Gemeindetag, steht fest: Es ist letzteres. „Die Anforderungen an die Verwaltungen und Bürgermeister werden immer komplexer“, sagt er. Viele Kommunen und Bürgermeister, egal ob haupt- oder ehrenamtlich, würden dies beanstanden. Große Verspohl spricht von Rechts- und Haftungsrisiken, die zunehmen würden, aber auch von Aufgaben und Problemen, die es vor wenigen Jahrzehnten in dieser Form noch nicht gegeben habe. Seitens der übergeordneten Behörden werde der Druck immer größer. „Wenn etwas nicht läuft, heißt es: Das können die Kommunen regeln, auch wenn es gar nicht ihre Aufgabe ist“, stellt der Verwaltungsjurist fest. Als Beispiel nennt er die Digitalisierung an staatlichen Schulen, den Mangel an Pflegeplätzen, den Kommunen oft selbst lösen sollen.
Besondere Herausforderung für kleine Kommunen
Für kleine Gemeinden wie Reichertsheim und Kirchdorf, geleitet von ehrenamtlichen Bürgermeistern, eine besondere Herausforderung. „Eine kleine Kommune hat beinahe die gleichen Aufgaben wie größere. Auch sie müssen ein Standesamt, ein Einwohnermeldeamt, ein Passamt stellen“, sagt Große Verspohl. Diesen Anforderungen als Bürgermeister im Ehrenamt gerecht zu werden, sei oft nicht mehr möglich.
Doch auch seitens der Einwohner steige die Anspruchshaltung, während der Respekt sinke. „Die Bürger kommen natürlich mit ihren Problemen zum Bürgermeister und er soll nun plötzlich den Arzt, die Apotheke, den Nahversorger retten. All das gab es früher nicht“, sagt Große Verspohl. Zeitgleich seien mehr und mehr Bürgermeister Bedrohungen und Anfeindungen ausgesetzt. „Das macht die Situation nicht einfacher.“ Mit gravierenden Auswirkungen: „Der Eindruck ist da, dass die Rücktritte von Bürgermeistern zunehmen.“ Zwar sieht Große Verspohl kein „Nachwuchsproblem“ bei Rathauschefs und Gemeinderäten. „Ich denke, es wird immer Menschen geben, die sich für ihre Kommune engagieren und einsetzen wollen“. Doch es seien dringend Reformen nötig. „Wir müssen die Prozesse verschlanken und brauchen einen Bürokratieabbau“, so der Jurist.
Großes Problem: Der Personalmangel
Vor allem da viele Kommunen wie auch Kirchdorf und Reichertsheim unter Personalmangel leiden würden. „Es ist kein Geheimnis, dass wir in Deutschland einen flächendeckenden Fachkräftemangel haben. Der Bereich Verwaltung ist davon genauso betroffen wie die freie Marktwirtschaft“, so Große Verspohl. Entsprechend komme für die Bürgermeister als Rathauschefs noch die Ebene Mitarbeiterführung hinzu. Auch das habe es bis vor wenigen Jahren nicht gegeben. „Man wusste, wenn eine Stelle ausgeschrieben wird, folgen anschließend drei, vier Bewerbungen. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall. Auch Verwaltungen müssen ihre Mitarbeiter halten, was das Amt des Bürgermeisters noch komplexer macht.“
Erschwerend komme hinzu, dass Verwaltungen im Gegensatz zu Unternehmen in der freien Wirtschaft nicht die Produktion „herunterschrauben“ könnten. „Gemeinden haben Pflichtaufgaben und diese müssen auch trotz Personalmangel stets erfüllt werden“, sagt Große Verspohl. Ab und an könne es deshalb vorkommen, dass Kommunen, die von Personalmangel betroffen seien, in eine „gefährliche Spirale“ kämen. „Die Aufgaben müssen auf andere Schultern verteilt werden, das sorgt für eine Mehrbelastung der verbliebenden Mitarbeiter, die deshalb ebenfalls kündigen.“ Dabei handle es sich zwar um Einzelfälle, aber auch nur, weil „viele, viele Mitarbeiter in den bayerischen Verwaltungen sich mit viel Herzblut für ihre Gemeinde einsetzen“, sagt Große Verspohl. „Um ehrlich zu sein, finde ich es bewundernswert, dass so viele unserer kleinen Gemeinden die Aufgaben trotz der immer höheren Anforderungen so gut umsetzen.“