Exklusiv: Bürgermeister „wollen nichts beschönigen“
Verwaltungschaos in Reichertsheim und Kirchdorf: Rathaus-Chefs „bitten um Entschuldigung“
Unbezahlte Rechnungen, Personalprobleme, Pannen bei der Haushalts-Aufstellung: Hinter der Verwaltungsgemeinschaft (VG) Reichertsheim-Kirchdorf liegt ein Jahr zum Vergessen. Die Bürgermeister beteuern im Exklusiv-Gespräch: „Wir wollen nichts beschönigen.“ Wie sie die VG aus der Krise führen wollen.
Reichertsheim/Kirchdorf – „Zuerst einmal müssen wir um Entschuldigung bitten“, sagen Franz Stein und Christoph Greißl, Bürgermeister von Reichertsheim und Kirchdorf. „Es tut uns wirklich sehr leid, dass Klienten und Partner der Verwaltungsgemeinschaft heuer so lange auf die Begleichung von Rechnungen warten mussten. Vielen Dank für die Geduld.“
Stein und Greißl ist beim Exklusiv-Gespräch mit der Wasserburger Zeitung und wasserburg24.de im Rathaus Reichertsheim deutlich anzumerken, dass sie als Folge der Pannen in der Finanzverwaltung schlimme Monate hinter sich und eine herausfordernde Zeit vor sich haben. Sie arbeiten nach eigenen Angaben aktiv an der Aufklärung und wagen einen vorsichtig optimistischen Blick in die Zukunft: „Stand heute sind alle alten, uns bekannten Rechnungen bezahlt, nur noch diejenigen, bei denen Klärungsbedarf besteht, sind offen“, berichtet Stein, Vorsitzender der Verwaltungsgemeinschaft.
„Es bleibt nichts mehr liegen“
Die Rechnungsprozesse in der VG seien sauber strukturiert, die Konten wieder in Ordnung gebracht worden. „Es bleibt nichts mehr liegen. Versprochen“, so Stein. „Wir wollen nichts beschönigen, es ist viel schiefgelaufen. Doch jetzt ist wieder alles in die richtigen Wege geleitet worden“, ergänzt Greißl. Die Bürgermeister legen Wert auf die Feststellung, es sei ihr Anspruch, dass solche Zustände nicht noch einmal auftreten.
„Schaffen es derzeit nicht allein“
Die beiden in der VG zusammengeschlossenen Gemeinden haben nach Angaben der Rathauschefs die Entscheidung nicht bereut, sich professionelle Hilfe durch eine Consultingfirma mit Expertise in der kommunalen Finanzverwaltung zu holen. „Wir schaffen es derzeit nicht allein und schon gar nicht schnell genug, wieder Ordnung in die Geschäfte zu bringen“, räumt Stein ein. Er und Greißl gehören zu den wenigen noch ehrenamtlich tätigen Bürgermeistern in Oberbayern. Reichertsheim hat 1.670 und Kirchdorf 1.340 Einwohner.
Bisher waren die Bürgermeister davon ausgegangen, dass es läuft in der gemeinsamen Verwaltung, auch wenn es erste Anzeichen für Probleme gab, wie Greißl betont. 2023 habe sich schließlich deutlich gezeigt, dass die Abläufe in der Tat nicht stimmen würden. Als Gründe für das Chaos, das ab Mitte des Jahres 2023 massiv aufgetreten sei, nennen die beiden Rathauschefs eine fatale Kombination zweier Ereignisse: Die Digitalisierung der Prozesse mit Umstellung von manueller Erledigung auf elektronische Bearbeitung, „die nicht so gehandhabt wurde, wie es sein sollte“, wie Greißl erklärt. Und große personelle Probleme in der Verwaltung. Viel Know-how sei als Folge der hohen Fluktuation weggebrochen, der Wust an liegengebliebenen Vorgängen sei nicht mehr zu bewältigen gewesen.
Neue Mitarbeiter gewonnen
Mittlerweile sei es gelungen, die Kämmerei zu Mitte November wieder zu besetzen, auch für die Kasse sei seit dem 1. Dezember eine Mitarbeiterin an Bord. Übergangsweise hat Jürgen Seifert, ehemaliger Priener Bürgermeister und Inhaber von hjs-Consulting, die Aufgabe der Geschäftsleitung übernommen. Cornelia Taubmann, Dezernatsleiterin in der Stadt Weiden, Hochschuldozentin, und bekannt geworden, weil sie die Gemeinde Eggstätt finanziell wieder in ruhiges Fahrwasser führte, ist kommissarisch Finanzchefin.
„Vorfälle, die eine rechtliche Überprüfung erfahren“
Zur Frage, was die Gründe für die massiven personellen Probleme und hohe Fluktuation gewesen sind, äußern sich die Bürgermeister auf Anfrage aus juristischen Gründen nicht. Sie sprechen von „Vorfällen, die derzeit eine rechtliche Überprüfung erfahren“.
Stein als VG-Vorsitzender betont jedoch, es gelte nicht nur die im Jahr 2023 entstandenen Probleme abzuarbeiten, sondern generell auch die Verwaltung zu modernisieren und die bisherigen Abläufe zu durchleuchten. Es sei nicht genau genug hingeschaut worden, ergänzt Stein. Das müsse sich ändern. Neu strukturiert werde die Ablauforganisation, die Geschäftsverteilung und das Personalmanagement. Erstmals gebe es eine Stellenbewertung. Dienstanweisungen würden den modernen Anforderungen angepasst, Organigramme und Stellenpläne entwickelt.
Bis Ostern soll dieser Prozess beendet sein, dann möchten Reichertsheim und Kirchdorf ohne die Unterstützung der Consulting-Firma klarkommen. Deshalb sucht die VG auch dringend nach einer neuen Geschäftsstellenleitung, auch für weitere Mitarbeiter, etwa im Einwohnermeldeamt, gebe es Bedarf.
Sanierungsbedarf in der Verwaltung
Die Rathauschefs betonen, dass sie mit dem Modernisierungsbedarf in der Verwaltung nicht alleine dastehen. Das treffe viele Kommunen, sind sie überzeugt. „Trotzdem wollen wir uns nicht herausreden“, sagt Greißl, „wir müssen wieder ins Laufen kommen und sind überzeugt, dass wir seit dem Herbst eine gute Basis für einen Neustart gefunden haben.“
Es stimme außerdem nicht, dass als Folge der Verwaltungspannen Gewerbesteuereinnahmen nicht hätten verbucht werden können. Die Vorauszahlungen seien wie geplant per Lastschrift überwiesen worden. Derzeit werde aber jedes einzelne Steuerkonto überprüft, auch bei der Gewerbesteuer, etwa zur Frage, ob alle Bescheide richtig seien, so Stein und Greißl.
Sie bedauern ausdrücklich, dass die Tragweite der Probleme erst Mitte des Jahres 2023 ersichtlich geworden sei. Viele Klienten der Verwaltung hätten sich gemeldet und über nicht bezahlte Rechnungen geklagt, Mahnungen hätten sich gehäuft. Trotzdem seien es nicht, wie berichtet, 1000 offene Rechnungen gewesen, sondern eine überdurchschnittlich große Anzahl von nicht erledigten Vorgängen. Das Rechnungspostfach war nach Angaben der Bürgermeister nicht mehr bearbeitet worden. Die Situation habe sich dann derart aufgeschaukelt, dass sie die Notbremse zogen. Die Rathauschefs überzeugten die Gemeinderäte, sich professionelle Hilfe zu holen, um handlungsfähig zu bleiben. Einstimmig sei diese Entscheidung im Gremium der Verwaltungsgemeinschaft gefallen.
„Wir bitten weiter um Geduld“
„Die Verwaltung hat im letzten Quartal Fortschritte gemacht“, finden Greißl und Stein. Auch beim Personal sei die Stimmung wieder gut. „Mit zwei Mitarbeiterinnen, die in dankenswerter Weise die vakanten Stellen der Finanzverwaltung und Kassenleitung übernommen haben und einigen motivierten Neuen sowie treu verbliebenen Kolleginnen und Kollegen haben wir in den vergangenen Wochen vorrangig und mit Hochdruck daran gearbeitet, die Rückstände aufzuarbeiten“, so Stein und Greißl.
„Es ist ein neuer Spirit zu spüren“, findet Stein, obwohl er genauso wie Greißl betont: „Wir haben noch immer eine reduzierte Mannschaft. Das ist eine Herausforderung. Und es läuft natürlich anders als in einem eingespielten Team. Wir bitten weiter um Geduld.“
Gefordert sind diesbezüglich auch die Gemeinderäte, die Ende des Jahres einen Not-Haushalt verabschieden mussten, weil es auch hier zu Fehlern gekommen war. Anfang 2024 gehen die Kommunalpolitiker in Klausur, um wieder einen richtigen Etat aufstellen zu können.

