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Droht eine Versorgungslücke?

Viele Ärzte aus dem Wasserburger Land schlagen Alarm: „Unsere Praxen laufen voll“

Hausärzte aus dem Wasserburger Land würden gerne viel weniger Zeit am PC, dafür viel mehr Zeit in der persönlichen Sprechstunde verbringen.
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Hausärzte aus dem Wasserburger Land würden gerne viel weniger Zeit am PC, dafür viel mehr Zeit in der persönlichen Sprechstunde verbringen.

Sie lieben ihren Beruf - und stoßen trotzdem oft an die Grenze ihrer Belastbarkeit: Niedergelassene Haus- und Fachärzte aus dem Wasserburger Land fühlen sich oft ausgepowert. Woran ihr Berufsalltag krankt und welches Rezept sie dagegen hätten.

Wasserburg - „Unsere Praxen laufen voll“, bringt Peter Rauen, hausärztlicher Internist aus Albaching, die Problematik auf den Punkt. Er und seine Kolleginnen und Kollegen warnen eindringlich vor einer Versorgungslücke - vor allem auf dem Land. Denn die Babyboomer kommen in das Alter, in denen die Versorgungsansprüche naturgemäß steigen, ihre Haus- und Fachärzte in das Alter, in dem die Rente vor der Tür steht. Nachwuchs? Oft Fehlanzeige - übrigens nicht nur im ärztlichen Bereich, wie die Medizinerinnen und Mediziner betonen: „Es ist auch schwer, gute Arzthelferinnen zu finden“, berichtet Rauen beim Ärztestammtisch auf Einladung von Kollegin Claudia Eisenhut in der Wasserburger Pizzeria „Perla di Calabria“.

Ärztestammtisch in Wasserburg: (von links) die Niedergelassenen Claudia Eisenhut, Gabriele Staudinger, Heike Walessa, Beate Haupt, Raimund Arnold und Peter Rauen.

Die Politik hat es nach Ansicht von Heike Walessa, Allgemeinmedizinerin aus Gars, versäumt, mit den richtigen Anreizen und Rahmenbedingungen den Beruf des niedergelassenen Arztes so attraktiv zu machen, dass er junge Leute interessiert. Denn diese haben auch nach Erfahrungen von Gynäkologin Beate Haupt aus Wasserburg heute andere Ansprüche an das berufliche Leben. 60-Stunden-Wochen, selten länger Urlaub an einem Stück: Das passt nicht in eine Work-Life-Balance, die dem Namen gerecht wird. Deshalb lehnen junge Ärzte nach dem Studium oder der Facharztausbildung immer häufiger eine Niederlassung mit eigener Praxis, gleichbedeutend mit hohen Investitionen und viel Arbeit, ab. Sie wählen stattdessen lieber ein Angestelltenverhältnis - etwa in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ).

Unfrei trotz Freiberuflichkeit

„Ich sage gar nichts gegen das MVZ, es hat seine Berechtigung und viele Vorteile“, weist Rauen die Vermutung zurück, Niedergelassene wie er würden die Versorgungszentren per se abzulehnen. Hier gebe es geregelte Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle, interessant, wenn eine Familie gegründet werde. Und oft die Möglichkeit, sich ganz auf das Medizinische zu konzentrieren. Abrechnungen, Organisatorisches, bürokratische Vorgänge: Das übernimmt im MVZ ein Verwaltungsmanagement.

Trotzdem: Rauen und auch Raimund Arnold, seit 30 Jahren Allgemeinarzt in Wasserburg, bringen die Vorteile der Freiberuflichkeit so auf den Punkt: „Freiheit bei den Therapieentscheidungen.“ Ein MVZ sei ein Wirtschaftsunternehmen. Sei es zudem noch Investment getragen, könne der wirtschaftliche Druck besonders groß ausfallen. Der Patient habe außerdem nicht mehr so wie beim niedergelassenen Haus- oder Facharzt einen Ansprechpartner. Es fehle oft die Bezugsperson, bei jedem Kontakt könne sie eine andere sein, warnt Eisenhut. „Ich kenne meine Patienten seit vielen, vielen Jahren. Ich weiß meistens sofort, was los ist“, sagt sie. Diese enge Beziehung könne eine MVZ mit angestellten Ärzten kaum aufbauen, ist sie überzeugt. „Es macht Spaß, Menschen über viele Jahre zu begleiten, ihnen zu helfen, zur Seite zu stehen, wenn es um ihr Wohlergehen geht“, findet sie nach wie vor.

Trotzdem: Rauen ist sich nicht sicher, ob es in Zukunft möglich sein wird, auch auf dem Land in kleineren Orten Einzelpraxen anzubieten. Die Landarztförderung, die hier ansetzen wollte, sieht er kritisch. Für zehn Jahre müssten sich Mediziner im Falle einer Unterstützung verpflichten, ihre Praxis aufrecht zu erhalten. „Ich finde es nicht fair, sie so festzunageln“, warnt er. Der Lebensentwurf könne sich ändern, dann drohe die Rückzahlung.

„Aufreibende Arbeitsabläufe“

Eisenhut fordert neue Förderansätze und Rahmenbedingungen, die „aufreibende Arbeitsabläufe“ beenden. Zu viel Bürokratie, zu viel Reglementierung, bringen sie und ihre Kollegen die Problematik auf den Punkt. Sie fühlen sich gar nicht frei, obwohl sie Freiberufler sind, eher ferngesteuert etwa von der Kassenärztlichen Vereinigung.

Haupt sieht sich in die Rolle einer „Erfüllungsgehilfin“ gedrückt, die einem Sparwahn ausgesetzt sei. Bestes Beispiel, das alle Teilnehmer am Ärztestammtisch unisono anführen: Ausführliche Patientengespräche würden nicht ausreichend vergütet. Dabei seien sie das A und O des Therapieerfolgs, weshalb auch keiner, der seinen Beruf als Berufung sehe, auf diese Gespräche verzichte. Das Honorarsystem sei jedoch darauf ausgerichtet, dass Niedergelassene wie am Fließband arbeiten müssten, kritisieren die Mediziner. Die bürokratischen Vorgänge würden mittlerweile sehr viel Raum einnehmen. „Manchmal wünsche ich mir die gute alte Karteikarte zurück. Ich sitze viel zu viel am PC“, sagt Haupt.

Telematik überhastet eingeführt?

Ein großes Ärgernis in diesem Zusammenhang ist die Einführung der Telematik. Eigentlich eine gute Sache, betont Rauen. Ziel sei es, einen sicheren und schnellen Austausch von medizinisch relevanten Daten zu gewährleisten. Aktuelles Beispiel: die elektronische Krankschreibung, seit 2023 verpflichtend. Den Krankenschein per Hand ausfüllen, das kostet fünf Sekunden, rechnet Rauen vor, per Telematik 20 bis 30 Sekunden. Denn die Software wurde nach Überzeugung von Arnold überhastet eingeführt, die technische Umsetzung nennen er und seine Kolleginnen und Kollegen „wenig ausgereift“.

Ein niedergelassener Arzt oder eine Ärztin müssten 3.000 bis 10.000 Euro für die Anschaffung investieren, die nur zum Teil refinanzierbar seien. Wenn die Technik nicht funktioniere, was oft genug vorkomme, hänge der Anwender in einer teuren Hotline fest. Die Wasserburger Fachärztin für Allgemeinmedizin, Gabriele Staudinger, hat sich mutig entschlossen, die Telematik, der sie nicht vertraue, in ihrer Praxis nicht einzuführen. „Ich zahle lieber die Strafe“, sagt sie - und wartet vorerst auf offene Rechtsentscheidungen zur Thematik.

Was die Ärzte ebenfalls ärgert: Sie fühlen sich politischen Entscheidungen ausgeliefert. Ein Beispiel: die Kappung der Neupatientenregelung. Sie galt als Ansatz für die Lösung der Terminprobleme in den übervollen Praxen. Ohne Erfolg: Seit der Streichung fehlen im Umsatz etwa zehn Prozent, heißt es. Was die Niedergelassenen ebenfalls ärgert: Reglementierungen vonseiten der Kosten- oder politischen Entscheidungsträger, die in den Praxisalltag eingreifen und von oben Anweisungen überstülpen, die die Freiheit beeinträchtigen - etwa bei der Organisation der Sprechstunden.

Arzthelferinnen fehlt Wertschätzung

Allen Teilnehmern am Ärztestammtisch, den Eisenhut regelmäßig organisieren will, ist die Freude am Beruf zwar noch nicht vergangen, aber die Sorge, sich aufzureiben in einem Alltag voller Bürokratie und Reglementierungen, mit proppenvollen Sprechzimmern und immer anspruchsvolleren Patienten ist groß. Und die Befürchtung, dass dauerhaft eine Versorgungslücke entsteht. Denn der Beruf als Niedergelassener sei nicht mehr attraktiv genug. Ein Numerus Clausus unter der Traumnote Eins als Zulassung grenze viele junge Menschen aus, die nur im Ausland eine Chance zum Medizinstudium hätten. Den Ärztinnen und Ärzten geht es, wenn es um mehr Anreize für den Beruf geht, nicht nur um die monetären Aspekte, sagen sie mit Nachdruck, vielmehr darum, als Niedergelassene arbeiten zu können, „ohne dass man sich total aufreibt“, wie Eisenhut betont.

„Wir haben einen tollen Beruf“, betont Walessa, „das Niveau der medizinischen Versorgung in Deutschland ist hoch. Doch die immer weniger werdenden niedergelassenen Ärzte sind oft am Limit“. Das gelte auch für die Arzthelferinnen. Sie hätten in der Pandemie Großartiges geleistet, 85 Prozent der medizinischen Versorgung bei Corona-Erkrankungen sei über die Arztpraxis abgelaufen. Für die Helferinnen habe es jedoch keinen Cent Zuschlag gegeben. „Auch dieser Beruf wird ganz klar nicht ausreichend wertgeschätzt“, sagt Rauen empört.

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