In Landkreisen Rosenheim und Traunstein
„Sind mit der Situation mehr als unzufrieden“: Flüchtlinge bringen Kommunen an ihre Grenzen
Erneut sind Tausende Flüchtlinge auf der italienischen Insel Lampedusa angekommen. Viele davon werden auf die EU-Mitgliedsländer verteilt. Für die heimischen Landkreise heißt das, dass monatlich hundert und mehr Flüchtlinge untergebracht werden müssen. Reichen die Unterkünfte?
Rosenheim/Traunstein – Noch immer müssen Turnhallen als Flüchtlingsunterkünfte dienen. Aktuell sind es im Landkreis Rosenheim nur zwei Turnhallen, die der Gymnasien in Raubling und Bruckmühl. Eine Situation, die besonders für die Schüler und auch die Eltern alles andere als wünschenswert ist. „Mir ist bewusst, dass die Belegung der Turnhallen eine große Belastung für den Schul- und Breitensport ist”, sagt Rosenheims Landrat Otto Lederer. „Die Sorgen und Nöte der Eltern nehmen wir sehr ernst. Auch wir sind mit der Situation mehr als unzufrieden.”
Aktuell (Stand: 26. September) sind laut Landrat Otto Lederer 2907 Flüchtlinge in vom Landratsamt Rosenheim angemieteten Unterkünften untergebracht. Hinzu kommen noch knapp 1500 Ukrainer in Privatunterkünften. Jeden Monat werden dem Landkreis Rosenheim derzeit etwa 100 bis 150 Personen zugewiesen, entweder Asylbewerber oder Flüchtlinge aus der Ukraine.
Landkreis Traunstein ist ausgelastet
Der Landkreis Traunstein hat mittlerweile insgesamt 4000 Menschen aufgenommen, die Hälfte davon stammt aus der Ukraine. Die fünf Hauptherkunftsstaaten neben der Ukraine sind Afghanistan, Nigeria, Türkei, Jemen und Irak. Im Grunde seien damit alle Unterbringungskapazitäten im Landkreis belegt, heißt es auf OVB-Anfrage aus dem Traunsteiner Landratsamt. Dort versuche man ständig, Unterkünfte zu akquirieren, um die zugewiesenen Flüchtlinge unterbringen zu können. „Wir sind also eigentlich immer auf Kante genäht”, sagt Traunsteins Landrat Siegfried Walch. Es ist im Grunde ein täglicher Kraftakt, die uns zugewiesenen Flüchtlinge unterzubringen. „Seit 2015 haben wir mehrere eigene Unterkünfte gebaut oder saniert. Das kommt uns jetzt zugute. Wir tun alles, um die Unterbringung in Turnhallen zu vermeiden.” Aber die Situation sei extrem angespannt - wie in allen Kommunen in Deutschland.
Turnhallen als Erstunterkunft
Die Turnhallen dienen dabei als Einrichtung für eine erste Unterbringung der Asylbewerber und der geflüchteten Menschen aus der Ukraine. Von dort aus wird dann versucht, die Menschen schnellstmöglich anderweitig unterzubringen. Entweder im Wohnraum, der vom Landratsamt für diese Zwecke angemietet wird, oder in Pavillons beziehungsweise in Container Anlagen. „Der Wohnungsmarkt ist allerdings sehr angespannt”, so Landrat Lederer. Das Landratsamt Rosenheim hat derzeit annähernd 280 Liegenschaften angemietet, um die Menschen unterzubringen und dennoch befinden sich momentan noch über 200 Personen in Turnhallen des Landkreises.
„Das Landratsamt ist in der Situation, dass die Unterkünfte angenommen werden, die verfügbar sind”, sagt Bernd Fessler, Bürgermeister der Gemeinde Großkarolinenfeld und Kreisverbandsvorsitzender des Rosenheimer Gemeindetags. „Damit sind die Gemeinden auch sehr unterschiedlich betroffen. Ich kann es nachvollziehen, wenn der Landrat versucht, Unterkünfte anzumieten, um die Menschen bestmöglich zu integrieren.” Das klappt nach Aussage Fesslers mal besser, mal schlechter. „Mein Eindruck ist, je kleiner die Unterkunft ist, desto leichter tut man sich mit der Integration.”
Langfristige Integration als Ziel
Welche Gemeinde wie viele Flüchtlinge bekommt, ist damit auch schlicht davon abhängig, wo Platz ist. „Da wird man an seine Grenzen kommen, wenn man nicht sogar schon an den Grenzen ist”, sagt Bernd Fessler. Es hänge auch oft von den Akteuren vor Ort ab. „Aber die darf man auch nicht überlasten, das ist echt wichtig, dass man die Leute nicht verliert, der der Sache positiv gegenüberstehen.“ Er will der Situation etwas positives abgewinnen und setzt sich für eine gute Integration der Menschen ein. Besonders auch mit Blick auf ein anderes Problem. „Was mir bei der ganzen Diskussion ein wenig zu kurz kommt ist folgendes: Im Landkreis Rosenheim wird nach den statistischen Auswertungen bis 2040 der Anteil der Menschen über 65 um 35 Prozent ansteigen. Deswegen werden wir die Integration so dringend brauchen.” Er wüsste fast keine Berufssparte, die nicht über einen allgemeinen Arbeitskräftemangel klagt. „Wenn man das mehr unter diesem Blickwinkel sieht, dann gelingt es auch leichter, wenn man vor Ort dem Ganzen positiv gegenüber steht.”
Streit um eine Obergrenze für Flüchtlinge
Zuletzt hatte Markus Söder eine „Integrationsgrenze“ für die Aufnahme von Geflüchteten von etwa 200.000 Menschen ins Gespräch gebracht. Bis Ende August habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge laut der Tagesschau mehr als 204.000 Erstanträge auf Asyl registriert - ein Plus von 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Hinzu komme, dass wegen des russischen Kriegs mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine in Deutschland Schutz suchten, die keinen Asylantrag stellen müssen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser lehnte den Vorschlag Söders unter anderem mit Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention ab.
Kritik an Regierung
Derweil macht sich Landrat Otto Lederer sorgen um die derzeitige Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die Sorgen und Nöte von Bürgern und Kommunen würden seit Monaten ignoriert werden. So sei derzeit trotz anderslautender Ankündigungen der Bundesinnenministerin aktuell kein einziger Asylbewerber oder Flüchtling im Landkreis Rosenheim in einer Liegenschaft des Bundes untergebracht. „Bereits die reine Unterbringung der ankommenden Personen stellt uns vor große Herausforderungen”, sagt Lederer. „Die notwendigen Ressourcen für eine tatsächlich wirksame Integration sind inzwischen jedoch bereits auf allen Ebenen überstrapaziert. So fehlen uns nicht nur Wohnungen, sondern beispielsweise auch Fachpersonal in Kindergärten, Schulen und im sozialen Bereich.” Er sei fest davon überzeugt, dass Staat und Gesellschaft willens und in der Lage sind, eine realistische Anzahl von Menschen bei uns aufzunehmen und nachhaltig in die Gesellschaft zu integrieren.
Aktuelle Flüchtlingspolitik „schlichte Katastrophe”
Auch Landrat Siegfried Walch ist mit der aktuellen Situation alles andere als zufrieden. „Ehrlich gesagt ist die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung eine schlichte Katastrophe”, sagt er. „Im Grunde genommen muss man sagen, sie findet de facto nicht statt.” Es sei dringend an der Zeit, dass nach vielen Monaten der Untätigkeit nun endlich gehandelt würde. Es brauche eine Begrenzung der Zahlen, die mit einem entsprechenden Grenzschutz einhergehen müssten. „Und es ist wichtig, dass diejenigen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, das Land auch schnellstmöglich wieder verlassen. Denn wir brauchen den Platz für diejenigen, die auf der Flucht vor Krieg und Vertreibung sind.“
