OVB-Exklusiv-Interview
„Halsschlagader Europas“: Wie EVP-Chef Weber zu Blockabfertigung und Brenner-Nordzulauf steht
Manfred Weber ist als Fraktionschef der Europäischen Volkspartei der wohl einflussreichste Politiker des EU-Parlaments. Am Sonntag (16. März) ist er beim Politischen Frühschoppen in Pang zu Gast. Im OVB-Interview spricht er vorab über Brenner-Nordzulauf, Blockabfertigung und die aktuelle Geopolitik.
Rosenheim – Während sich in Deutschland die Große Koalition erst zusammenraufen muss, vollziehen sich in Europa und der Welt dramatische Umwälzungen. Wie die Lage ist, kann kaum einer besser abschätzen als Manfred Weber. Als Chef der Europäischen Volkspartei ist er der wohl einflussreichste Politiker des EU-Parlaments. Und für Sonntag, 16. März, hat ihn die Rosenheimer CSU zum „Politischen Frühschoppen“ in die Halle der Firma Kaffl Fahrzeugbau an der Schulerstraße in Pang eingeladen (10 Uhr). Vorab sprach Weber mit dem OVB über ein Europa unter Druck, Chancen der EU und Trumps Drohungen, aber auch über Blockabfertigung und Brenner-Nordzulauf.
England und Frankreich treiben an, in Deutschland gestalten sich die Koalitionsgespräche schwierig. Kommen wir rechtzeitig in die Puschen?
Manfred Weber: Historische Entscheidungen stehen an. Wir Europäer müssen jetzt erwachsen werden. Europa hat das Potenzial, seine Zukunft in die Hand zu nehmen. Dabei kommt es auch auf ein Deutschland an, das weiß, was es will. Die Ampel-Regierung hatte ihre internen Reibereien offen auf europäischer Bühne ausgetragen. Das stellt jetzt Merz ab. Mit der Regierungsbildung ist Deutschland gerade in der Übergangsphase, das weiß der Rest Europas auch, aber die Zeit drängt. Deswegen ist die Botschaft nach Berlin von allen so klar: Gebt Gas, formt schnell eine neue Regierung!
In den vergangenen Wochen jagten einander die verstörenden Äußerungen Trumps. Wie muss Europa reagieren?
Weber: Europa muss sich vorbereiten – mit Selbstbewusstsein. Wir sind wirtschaftlich ungefähr gleich groß wie die Amerikaner, vertreten beide je über zwanzig Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Wir sind 450 Millionen Menschen, die EU ist der größte Wirtschaftsraum der Welt. Europa, wenn es geschlossen und entschieden auftritt, kann man nicht herumschubsen. Wir wollen partnerschaftlich mit den USA zusammenarbeiten, aber wir dürfen, wenn wir die großen Fragen unserer Zeit diskutieren, nicht immer nur nach Washington schauen. Wir müssen raus aus der Defensive und selbst Führung übernehmen.
Wenn Europa versucht, eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik herbeizuführen: Geht das mit Ländern wie Ungarn?
Weber: Uns muss klar sein: Europa wird in einer stürmischen Welt nur überleben, wenn es geschlossener und entschlossener auftritt. Wir haben uns zu lange darauf verlassen, dass wir wirtschaftlich und gesellschaftlich immer enger zusammenwachsen, während die USA unsere Sicherheit in Europa garantieren. Aber 330 Millionen Amerikaner werden nicht dauerhaft 450 Millionen Europäer verteidigen. Gleichzeitig muss die EU mit einer Stimme sprechen, wenn sie in der Welt gehört werden will. Dabei müssen wir weg von der Einstimmigkeit hin zum Mehrheitsprinzip, damit wir uns eben nicht von Orban lähmen lassen, so wie erst letzte Woche wieder bei der ungarischen Blockadehaltung bei den EU-Beschlüssen zur Unterstützung der Ukraine geschehen. Wir dürfen uns nicht länger von Putin-Freunden wie Orban auf der Nase herumtanzen lassen.
Europas politischer Reifeprozess wird viel Geld kosten. Ist ein Großprojekt wie der Brenner-Nordzulauf in dieser Region dann überhaupt noch zu rechtfertigen?
Weber: Kaum eine Straße in Europa symbolisiert das Zusammenwachsen Europas so sehr wie der Brennerpass. Er ist wirtschaftlich zur Halsschlagader Europas geworden. Allein jedes Jahr sind es mehr als 2,5 Millionen LKW-Transitfahrten über die Brennerautobahn – eine LKW-Schlange länger als einmal um den ganzen Äquator. Das macht deutlich: Wir brauchen eine Verkehrswende, der Güterverkehr muss mehr und mehr von der Straße auf die Schiene, damit die Region nicht im Verkehr erstickt. Allerdings kann uns die Verkehrswende im alpenquerenden Güterverkehr und in ganz Europa nur mit zentralen Verkehrsvorhaben wie dem Brenner-Basistunnel und dem Brenner-Nordzulauf gelingen. Dafür sind solche Zukunftsprojekte auch künftig unverzichtbar.
Ohne Brenner-Nordzulauf funktioniert der Brenner-Basistunnel angeblich nicht so wie er soll. Was meinen Sie?
Weber: Wir müssen den Mut zu Infrastrukturprojekten haben, aber klar mit und nicht gegen die Bevölkerung. Die Bahn und der Bund sind in der Pflicht eine tragfähige Lösung zu finden.
Wie groß wäre der Schaden für Europa, wenn sich Deutschland verweigert?
Weber: Wie gesagt: Der Brenner-Basis-Tunnel ist die wirtschaftliche Lebensader Europas. Der Schaden wäre erheblich. Wir brauchen eine tragfähige und rasche Lösung für dieses ganz entscheidende Infrastrukturprogramm.
Brenner-Basistunnel und Brenner-Zuläufe sind also von europäischer Bedeutung. Wie stark könnte die EU den Nordzulauf fördern?
Weber: Der Ausbau des Brenner-Nordzulaufs in Deutschland ist ein Projekt des Bundes, der Ball liegt also beim Bund. Laut der vom Bund beauftragten zuständigen Infrastrukturgesellschaft der Deutschen Bahn liegt die Förderquote der EU derzeit im relevanten Programm „Connecting Europe Facility“ zwischen 30 bis 50 Prozent der beantragten förderfähigen Kosten. Wie hoch die Fördersumme der EU für den Brenner-Nordzulauf aber letztendlich genau sein wird, steht noch nicht final fest.
Derweil verhängen die Österreicher Blockabfertigungstermine. Was kann die EU da tun?
Weber: Die EU-Kommission steht derzeit in Gesprächen mit der österreichischen Regierung. Eins ist klar: Es macht keinen Sinn, wenn einzelne Regionen in Geiselhaft im Streit um Infrastrukturprogramme genommen werden. So stark ich auch Verständnis für die Belastungen Tirols habe, so wichtig ist es, dass Bayern nicht Leidtragender wird. Dafür werden wir sorgen.