Blockabfertigung vs. Grenzkontrollen
„Irrsinnig, sinnfrei, halblegal“: Grenzkontrollen entfachen Wut in Tirol – eine deutsche Blockabfertigung?
Bald zwei Wochen nach dem tödlichen Unfall eines ukrainischen Fernfahrers auf der Inntal-Autobahn während einer Blockabfertigung hält die Diskussion an: Sind Blockabfertigungen schuld an Unfällen oder die Fahrer? Und welche Seite ist die schlimmere, die österreichische – oder die bayerische?
Rosenheim – Was Blockabfertigung ist, davon können die Bewohner im Inntal, Pendler und Spediteure ein Lied singen. Seit der Verkehr auf der Luegbrücke kurz vor der Brenner-Passhöhe beschränkt wird, setzt Tirol noch häufiger als bisher so genannte Dosier-Termine an. Lange Staus sind die Folge. Staus, in denen vergangene Woche (3. Februar) erstmals ein Mensch sein Leben verlor: Ein 44-jähriger Ukrainer raste mit seinem Lkw auf ein Stauende Richtung Kiefersfelden und starb in den Trümmern seines Führerhauses.
Seitdem wird diskutiert. Auch über Facebook. Nutzer von beiden Seiten äußern sich zur Blockabfertigung. Zu Rüpeleien auf der Autobahn. Und zu Schikanen von beiden Seiten. Hat Deutschland im Nachbarschaftsstreit tatsächlich so etwas wie seine eigene Blockabfertigung im Einsatz?
Tiroler werfen Bayern Schikane vor
Die Österreicher zeigen jedenfalls auf die Nachbarn in Bayern. „Wir stoppen das, wenn ihr die permanente Grenzkontrolle stoppt“, schreibt einer. Und ein Tiroler setzt noch einen drauf. „Da gab‘s schon wesentlich mehr Unfälle wegen der seit 2015 andauernden, irrsinnigen, sinnfreien, nur halblegalen Grenzkontrollen in Richtung Deutschland“, schreibt ein anderer. „Und dank der besch… Grenzkontrollen haben wir jedes Wochenende Stau in ganz Kufstein!“
Stimmt das? Machen nicht nur die Österreicher den Bayern, sondern auch die Deutschen den Österreichern das Leben schwer? Es sieht so aus. Zumindest legen das Beobachtungen der Tiroler Behörden nahe. Seit Beginn dieses Jahres – also in etwas mehr als 40 Tagen – seien insgesamt 65 Rückstaus auf der A 12 Inntalautobahn in Fahrtrichtung Norden entstanden. Länge: mindestens 1,5 Kilometer. Verursacher: die Grenzkontrollen der deutschen Bundespolizei.
Kontrollen: Etliche Staus, aber kürzer als in Bayern?
27 dieser Staus seien länger als 4,5 Kilometer gewesen, sieben länger als neun Kilometer. „Das zeigt, dass die seit 2015 täglich durchgeführten Grenzkontrollen und die Verlangsamung des gesamten Verkehrs (Pkw und Lkw) auf Tiroler Seite regelmäßig zu Rückstaus und Verzögerungen führen“, heißt es in der Antwort Tirols auf eine OVB-Anfrage.
Die Blockabfertigung bezeichnet das Land Tirol dagegen als Notmaßnahme, „um die Verkehrs- und Versorgungssicherheit in Tirol entlang der A 12 Inntalautobahn und in weiterer Folge der A 13 Brennerautobahn auch an erwartungsgemäß verkehrsstarken Tagen aufrechtzuerhalten“.
Zudem werde der Dosierkalender des Landes Tirol jeweils im Voraus kommuniziert, so dass auch für Frächter und Speditionen eine „bestmögliche Planbarkeit“ gegeben sei. Die Maßnahme werde von der Polizei „umgehend“ eingestellt, wenn sie sich als nicht mehr erforderlich erweist. Damit reklamiert das Land einen Erfolg für sich: „Im Jahr 2023 konnte die durchschnittliche Dosierdauer im Vergleich zu 2022 um zwei Stunden auf vier Stunden und 20 Minuten gesenkt werden.“ Tatsache ist aber auch, dass die Österreicher immer wieder spontan Blockabfertigung ansetzen.
Auch auf Tiroler Seite viele Unfälle?
Während der Blockabfertigung am 3. Februar hat auf der deutschen Seite des Inntals erstmal ein Fahrer einen tödlichen Unfall verursacht. Facebook-Nutzer aus Tirol behaupten, auf Tiroler Seite habe es ebenfalls oft gekracht. Auch mit fatalen Folgen. „Aufgrund der unnötigen Grenzkontrollen der deutschen Nachbaren hat‘s schon sehr viele, leider auch tödliche Unfälle gegeben“, schreibt ein Nutzer. Stimmt das?
Die Aussage ist übertrieben, einen fatalen Unfall gab es allerdings. Das ergibt sich aus der Antwort Tirols. In den vergangenen Jahren sei es immer wieder zu schweren Unfällen auf der Inntalautobahn in Fahrtrichtung Norden gekommen. Und zwar auch in Zusammenhang mit Staus aufgrund der Grenzkontrollen. Als Beispiel nennen die Tiroler einen Auffahrunfall mit einem Todesopfer bei Langkampfen im Oktober 2022.
Beide Nachbarn führen ihre Maßnahmen auf Notlagen zurück
Was beide Nachbarn verbindet: Die Tiroler führen ihre Blockabfertigung ebenso wie die Deutschen ihre Kontrollen auf eine Notlage zurück. Die Österreicher wollen angeblich nur ihre Rettungswege freihalten und europäische Emissionsrichtlinien einhalten. Und die Deutschen? „Unser Handeln wirkt und ist weiter notwendig. Damit drängen wir die irreguläre Migration effektiv zurück“: so begründete Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Verlängerung der Kontrollen an der gesamten deutschen Grenze, eine Maßnahme die jüngst (12. Februar) um weitere sechs Monate bis September 2025 verlängert wurde.
Bundespolizei: Staus durch Kontrollen nicht belegbar
Bei Kiefersfelden ist die Bundespolizei schon seit 2015 zugange, und zwar durchgängig, sieben Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag. Dr. Rainer Scharf, Sprecher der Bundespolizei in Rosenheim, weist die Vorwürfe aus Tirol scharf zurück. „Eine tägliche Staubildung bedingt durch die Grenzkontrollen auf der A93 und auf den Nebenstrecken im bayerisch-tirolerischen Grenzgebiet kann seitens der Bundespolizeiinspektion Rosenheim nicht bestätigt werden“, antwortet er auf eine Anfrage des OVB.
Staus lägen nicht im Interesse der Bundespolizei, vielmehr sei man darauf bedacht, den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten. Dabei passe man die Intensität der Kontrollen an die Verkehrssituation an. Dazu würden auch entsprechende Informationen der österreichischen Polizei herangezogen, ebenso wie Echtzeitbilder des Autobahnbetreibers Asfinag.