Streit über Brenner-Verkehr
„Erfinder“ der Blockabfertigung: Bayern hat sich die Staus verdient – Düstere Prognose für 2025?
Eiferer oder Kämpfer für das Wohl seiner Heimat? Fritz Gurgiser ist Chef des Transitforums, das seit 30 Jahren gegen die Blechlawinen über den Brenner kämpft. Im Exklusiv-Interview sagt Gurgiser, warum auch die Bayern schuld am Chaos sind und wie es 2025 mit den Blockabfertigungsterminen weitergeht.
Rosenheim/Vomp – Fritz Gurgiser aus Vomp (Tirol) ist eine Reizfigur: ein lautstarker Querulant, der für die Blockabfertigung steht, ist er für viele Bayern. Österreichern gilt er dagegen als Streiter wider den Transitwahnsinn. Vor 30 Jahren gehörte er zu den Gründern des „Transitforums Austria-Tirol“, das sich immer wieder kämpferisch in die Verkehrspolitik einschaltet. Warum er den Bayern die Blockabfertigung gönnt, was er der EU vorwirft, und was er für 2025 an Blockabfertigungsterminen kommen sieht, erklärt Gurgiser im OVB-Exklusiv-Interview.
Trauen Sie sich noch, nach Bayern einzureisen?
Gurgiser: Warum soll ich mich nicht einreisen trauen?
Naja, Sie haben sich als einer der Erfinder der Blockabfertigung geoutet.
Gurgiser: Ja, das haben wir durchgesetzt. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: wegen einer gesetzlichen Bestimmung der Straßenverkehrsordnung in Österreich.
Als Grund für die Blockabfertigung? Ehrlich?
Gurgiser: Die Behörden haben Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Und zwar an 365 Tagen im Jahr. Das ist das eine. Die Staus, die jetzt seit ein paar Jahren von Kufstein bis zum Anfang vom Inntal stehen, die haben wir ja früher im Inntal gehabt. Das heißt, da hast du ja nicht mehr arbeiten können, du hast keine Nahversorgung mehr gehabt, keine Blaulichtorganisation. Das war Stillstand. Und das geht nicht. Das andere ist, dass die bayerischen Behörden nie Rücksicht genommen haben. Nicht auf die Bedingungen in Tirol und Südtirol, aber auch nicht auf die Alpenkonvention, zu der sie ja verpflichtet sind, und zu der Bayern von Rosenheim bis Kufstein ja ebenfalls gehört.
Aber aktuell bestrafen Sie die Bayern für etwas, was der Bund verbaselt.
Gurgiser: Niemand bestraft etwas. Aber da Sie auf den Bund zeigen: Denken Sie nur zurück, wie viele Bayern in der Bundesregierung das Verkehrsministeramt innegehabt haben. Angefangen hat es schon mit dem Friedrich Zimmermann, der letzte war der Scheuer. Dazwischen hinein hat es Ministerpräsident Stoiber gegeben, der gesagt hat, dass auf die Bayern Verlass sei. Und jedes Mal im Jänner hat er uns eingeladen nach Mayrhofen und hat erzählt, wie die Bayern die Tiroler beim Brenner-Basistunnel unterstützen. Bayern hätte, wenn es wirklich gewollt wäre, viel auf Bundesebene tun können. Genauso wie Nordtirol ja durch seinen Druck auch in Wien bei der Bundesregierung immer wieder Dinge durchgesetzt hat. Da muss man halt zusammenarbeiten. Doch Bayern hat das nie getan. Naja. Tirol ist allein.
Doch in den vergangenen Jahren haben die Planungen zum Brenner-Nordzulauf Fahrt aufgenommen. 2025 soll der Bundestag abstimmen.
Gurgiser: Was stimmt man denn ab?
Man stimmt darüber ab, ob die Bahn gut geplant hat.
Gurgiser: Der Brenner-Basistunnel war eine Bedingung schon 1994 im Vertrag zum EU-Beitritt der Österreicher. Dazu gibt es eine Erklärung. Und wer hat sie nicht unterschrieben? Die Bundesrepublik. Und so bauen Österreich und Italien vorerst allein. Wie die Abstimmung ausgeht, ist ja bedeutungslos. Wann das losgeht, was das kostet, ist überhaupt die völlig falsche Diskussion für die Anrainer. Kein Mensch redet davon, wie der Transport verlagert werden soll. Das ist ja auch das Interessante an diesem bayerischen Widerstand gegen die Nordzulauf-Trasse: Niemand kümmert sich darum, was ist auf der Straße los ist. Dabei wächst der Umfang des Gütertransports auf der Straße. Es wächst und wächst und wächst. Ab Kufstein, ab Kiefersfelden, wird das Tal breit. Und die Menschen dort haben das Problem nicht, das wir haben. Wir haben die Autobahn, haben die Bundesstraße dazu, und direkt daneben haben wir die Berge.
Ich würde Ihre Argumentation etwas besser verstehen, wenn es tatsächlich nur deutscher oder italienischer Verkehr wäre, der die Menschen in Tirol plagt. Aber auch die Tiroler Wirtschaft verursacht viel Verkehr. Übrigens auch in Deutschland.
Gurgiser: Wir haben heute allein von den zweieinhalb Millionen Transit-Lkw, die über den Brenner fahren, rund eine Million, die im Umweg über den Brenner fahren. Warum? Weil in Deutschland und Italien die Maut nichts kostet. Das ist eine Art Sozialtarif von 18, 20 Cent pro Lkw-Kilometer. In der Schweiz zahlen Sie 85 Cent, am Fréjus 1,50 Euro und am Mont Blanc zwei Euro pro Lkw-Kilometer. Der Schnitt bei Rosenheim-Verona liegt bei 35 Cent. Das ist das eine. Das zweite ist, dass man heute ja gar nicht mehr sagen kann, wer da fährt. Fahren da Österreicher, Deutsche, Italiener? Schauen Sie sich die Kennzeichen an. Die Speditionen haben ja alle ihre Fahrzeuge ausgelagert. Die heimischen Transporteure gibt es ja kaum mehr. Fahrzeuge und Fahrer kommen alle aus Billiglohn- und Niedrigsteuerländern.
Was hat das mit dem Verkehrsaufkommen zu tun?
Gurgiser: Lassen Sie mich nur kurz ausreden. Das Zweite ist dieser komplett wettbewerbswidrige Binnenmarkt. Wir haben 27 Staaten, in denen jeder tut, was er will, steuerlich und abgabenmäßig, umweltmäßig, sozialmäßig. Es gibt zwar Richtlinien der Europäischen Union, aber das hat ja dazu geführt, dass immer mehr Produktionen aus Hochpreissteuerländern ausgelagert worden sind. Die Betriebe sind alle weg, weil sie irgendwo anders billiger produzieren. Dieser ganze Güterverkehr ist, wenn man die letzten 30 Jahre seit dem Beitritt Österreichs zurückschaut, europaweit Jahr für Jahr ums Doppelte der Wirtschaftsleistung gestiegen. Weil diese Kreisveredelungsverkehre zugenommen haben. Und die bringen uns um.
Aber dann müssten Sie doch die Blockade vor Brüssel oder vor Straßburg machen und nicht vor irgendwelchen bayerischen Dörfern im Inntal.
Gurgiser: Ich war kein Zivildiener, ich habe den Dienst mit der Waffe geleistet. Und wisst ihr, was wir gelernt haben? Man muss Schlüsselstellen besetzen.
Okay, das Inntal also.
Gurgiser: Da haben Sie vollkommen recht. Jedenfalls hatte man schon 1994 zugesagt, jeden Tag die Fracht von 1300 bis 1600 Lkw auf die Schiene zu bringen. Bis heute ist nicht ein Lkw verlagert worden. Gleichzeitig haben dieselben Politiker die Weichen dafür gestellt, dass der Verkehr auf der Straße schneller, billiger, attraktiver geworden ist. Übrigens auch mit schlechten Bedingungen für die Fahrer.
Die liegen Ihnen am Herzen? Ernsthaft?
Gurgiser: Mit einem Team vom Fernsehen waren wir da auch auf den Parkplätzen unterwegs. Es ist eine Katastrophe, wie die Leute behandelt werden. Wir reden daher von den Lenkradlohnsklaven. Wer auch immer hinterm Steuer sitzt. Mittlerweile, so heißt es, sind die Inder die Billigsten. In der Wahrnehmung der Europäischen Union ist da ein schwarzer Fleck.
Da würde ich Ihnen recht geben. Nur haben Sie vorhin bemängelt, dass Deutschland keine Anstrengungen in Richtung Brenner-Basistunnel unternimmt. Italien dagegen macht Tempo. Warum bestrafen Sie die Italiener?
Gurgiser: Matteo Salvini ist ja nur ein verlängerter Arm der italienischen Frächterverbände. Milliarden werden zur Ablenkung in die Eisenbahn gesteckt. Und man füttert die Bauindustrie, ohne Rücksicht auf EU-Vergaberecht. Gleichzeitig hat uns Südtirol und Trentino nicht ein einziges Mal unterstützt beim Nachtfahrverbot und beim sektoralen Fahrverbot. Die haben auch ganz bewusst immer die Straße billig gehalten, um die Frächter anzulocken. Und als Ablenkung füttert man halt mit Milliarden an Steuergeld den Tunnel unterm Brenner.
Und die Österreicher machen nichts verkehrt? War der Diesel nicht deswegen so billig, damit extra viele Lkw über den Brenner fahren?
Gurgiser: Ja, es ist immer noch günstiger als in Bayern. Und der Diesel-Preis für Pkw ist nicht der, den die Frächter zahlen. Die kriegen ja die Mehrwertsteuer zurück. Österreich war lange Zeit so günstig, dass es sich richtig gelohnt hat, über den Brenner zu fahren. Und in den vergangenen 20 Jahren haben wir das als einzige in Frage gestellt. Auch die heimische Politik hat gesagt, dass der Tanktourismus wichtig sei. Und so hatten wir in Tirol den Dreck und die Wiener die Steuern und Abgaben.
Also hat Wien eine Mitschuld an dem Dilemma im Wipptal?
Gurgiser: Natürlich.
Die Luegbrücke wird ab 2025 saniert werden. Bekommen wir dann jeden Tag Blockabfertigung?
Gurgiser: Ganz klar: Ja. Sie wird in Kufstein kommen müssen, weil es die vorhin erwähnte Verpflichtung gibt. Und sie wird unter Umständen zusätzlich am Brenner kommen. Es bleibt ja nicht bei der Luegbrücke. Alle Brücken zwischen Innsbruck und Bozen sind desolat. Und da habe ich eine Randbemerkung mit großem Ausrufezeichen: Ruiniert haben die Brücken nicht die Pkw-Fahrer, sondern diese rücksichtslose Gütertransport-Logistik. Die hat eben zur Folge, dass jährlich zweieinhalb Millionen Lkw über den Brenner fahren, ein jeder 40 Tonnen schwer. Die Autobahn ist in den 60er Jahren geplant und gebaut worden. Für so einen Verkehr war sie nie konzipiert. Ich persönlich glaube gar nicht, dass es so ein Riesenproblem wird. Wir haben so etwas ja schon x-mal gehabt. Und jedes Mal hat‘s geheißen, da gibt‘s Staus von München ab. Und noch jedes Mal haben die Logistiker andere Routen genutzt. Aber in Europa tut man noch immer so, als sei der Brenner der einzige Alpenübergang.