Junge Union und Linke Liste reagieren
Neue Runde in Debatte um Bürgerbegehren in Wasserburg: „rein ideologisch“ oder „gelebte Demokratie“?
Das geplante Bürgerbegehren der Linken Liste Wasserburg ruft jetzt auch die Junge Union auf den Plan. Warum Vorsitzender Jonas Simon den Vorstoß der Linken gegen den Verkauf des Essigfabrik-Geländes „ideologisch“ findet, wie die Linke auf den oft zu hörenden Vorwurf des Populismus reagiert.
Wasserburg – Die Sprecher der Stadtratsfraktionen und Bürgermeister Michael Kölbl haben auf Anfrage der Redaktion schon Stellung bezogen. Sie finden, das Bürgerbegehren der Linken Liste Wasserburg (LLW) gegen den Verkauf des früheren Essigfabrik-Geländes kontraproduktiv. In dieses Horn stößt auch Jonas Simon, Ortsvorsitzender der Jungen Union Wasserburger Land. „Der Vorschlag der Linken Liste führt nicht zu mehr bezahlbarem Wohnraum – er verhindert schlicht neuen Wohnraum und bewirkt damit genau das Gegenteil“, nimmt auch er Stellung.
Auf dem Gelände der alten Essigfabrik in Wasserburg soll zeitnah neuer Wohnraum entstehen. Städtisches Ziel sind etwa 80 neue Mietwohnungen. Bebauen soll das Gelände nach Wunsch des Stadtrates ein privater Bauherr, mit dem die Stadt einen Vertrag unterschreiben will. Noch ist es nicht so weit, doch im Sommer ist die Unterzeichnung geplant. Gerät das Vorhaben jetzt ins Trudeln, wird es gar unmöglich? Die Linke Liste benötigt etwa 900 Unterschriften für ihr Bürgerbegehren. Hat sie diese zusammen, muss der Stadtrat darüber entscheiden, ob das Bürgerbegehren anerkannt wird, beispielsweise, ob alle Formalitäten eingehalten worden sind. Wenn das der Fall ist, kommt es zum Bürgerentscheid. Es wäre der erste in der Geschichte der Kommune.
Jonas Simon von der JU: „Ziel untergraben“
Die Junge Union hofft jedoch, dass es nicht dazu kommt. Denn die Linke Liste, die möchte, dass das Areal in Besitz der Stadt bleibt, richte sich mit einem Bürgerbegehren gegen den Wohnungsbau. Dieser werde dringend benötigt, das Ziel durch ein solches Begehren „sogar untergraben“, findet Simon.
Der Stadt Wasserburg fehle es an Mitteln und der Möglichkeit, selbst eine Wohnbebauung des Gebiets der alten Essigfabrik vorzunehmen. Die Kosten für den Bau würden auf 30 Millionen Euro geschätzt. Die kommunalen Pflichtaufgaben der Stadt belaufen sich nach Simons Informationen allerdings schon auf mehr als 50 Millionen Euro. Ein Bauprojekt in dieser Höhe sei somit für die Stadt „schlicht nicht realisierbar“, zumal auch die personellen Kapazitäten fehlen würden. Zudem sei etwa die Hälfte des besagten Gebiets nicht im Eigentum der Stadt, sondern der Heiliggeist-Spitalstiftung, von deren Zweck ein Wohnungsbau nicht umfasst sei.
„Falsches Wirtschaftsverständnis“
Die Linke Liste zeuge mit ihrem Vorstoß „wieder einmal von ihrem falschen Wirtschaftsverständnis“, kritisiert der JU-Vorsitzende. Ihre etatistische Vorstellung (etatistisch bedeutet, dass dem Staat eine überragende Rolle im Wirtschafts- und Sozialleben zugesprochen wird, Anmerkung der Redaktion) beruhe auf einem Staat, der waltet und gestaltet. Aus Sicht der Linken entstehe bezahlbarer Wohnraum erst durch staatliche Bauprojekte und Mietendeckel, die einen angeblich zu hohen Preis verhindern sollten. „Dabei verkennen sie das grundlegende Prinzip von Angebot und Nachfrage: Wohnraum ist vielerorts nicht etwa deswegen so teuer, weil die Preise künstlich angehoben würden, sondern schlicht, weil ein zu geringes Angebot die hohe Nachfrage nicht abdecken kann. Damit wird der Wohnraum an den meist Bietenden vermietet, woraus die hohen Preise folgen“, erklärt Simon seine Sichtweise in einer Pressemitteilung.
Dem könne und müsse mit einem höheren Angebot an Wohnraum entgegengewirkt werden, was durch das geplante Bauprojekt möglich würde. Der Vorschlag des Bürgerbegehrens verhindere aber genau das. Es solle die Bebauung durch einen privaten Familieninvestor verhindern und diese Aufgabe stattdessen der Stadt aufbürden, die keine ausreichenden Mittel zur Verfügung habe „Damit wird die Schaffung eines neuen Wohngebiets verhindert und damit auch das Ziel des bezahlbaren Wohnraums verworfen.“
Vorstellung „ideologisch“
Die Vorstellung der Linken Liste stelle sich somit als „rein ideologisch“ heraus. Eine Bebauung durch die Stadt sei ohne enorme Erhöhungen der kommunalen Steuern und Schulden nicht möglich. Dabei könnte sich die Lösung so einfach gestalten: Durch den Verkauf des Gebiets an einen privaten Familienunternehmer entstünde der Stadt ein größerer finanzieller Spielraum. Damit hätte sie die Möglichkeit, einen Teil des entstehenden Wohnkomplexes zu kaufen und sozial zu fördern. Insgesamt stehe eine soziale Förderung von knapp der Hälfte der Wohnungen in Aussicht. Außerdem könnte die Stadt somit ihren Pflichtaufgaben in der öffentlichen Infrastruktur verbessert nachgehen, so Simon abschließend.
Linke: „Wer verkauft, verliert Einfluss“
Die Linke Liste Wasserburg hat mit einer Pressemitteilung auf die Fragen reagiert, mit denen sie aufgrund ihres Bürgerbegehrens derzeit konfrontiert wird. Zentraler Einwand der Kritiker, darunter auch die JU: Wie soll die Stadt den Bau dringend benötigten Wohnraum finanzieren, wenn kein Investor einspringt? „Trotz knappem Wohnraum sagen wir ganz klar: Wohnraum ist wichtig, aber nicht auf Kosten der städtischen Zukunft. Denn mit dem Verkauf des Grundstücks ist es endgültig verloren. Für immer. Städte wie München zeigen uns deutlich, was das bedeutet: Jahrzehntelang wurde dort öffentlicher Boden verkauft. Heute fehlen der Stadt die Instrumente, um Mieten zu kontrollieren oder sozialen Wohnungsbau sinnvoll zu fördern. Wer verkauft, verliert Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten unwiderruflich“, schreibt die LLW in der Presseerklärung. Das Argument, der Investor sei in Wasserburg kein anonymer Bauherr von weither, sondern ein regional verankertes Familienunternehmen, will er nicht anerkennen: „Es macht keinen Unterschied, ob der Investor aus Berlin oder dem Landkreis Rosenheim kommt. Er denkt betriebswirtschaftlich. Und es geht darum, möglichst viel Geld zu verdienen.“
Luca Fischer: Geht nicht nur um Wohnraum
Es sei durchaus möglich, dass die Stadt selbst beziehungsweise eine Genossenschaft oder ein gemeinwohlorientierter Träger baue, findet LLW-Sprecher Luca Fischer. „Vielleicht nicht alles auf einmal, aber in Etappen.“
Doch dann dauert es natürlich. Wohnraum wird jedoch jetzt benötigt, werden Stadträte nicht müde, zu argumentieren. Sie warnen vor Verzögerungen. Fischer räumt ein: „Wir brauchen Wohnungen, das stimmt. Aber nicht ad hoc, sofort. Die Stadt sollte auf Möglichkeiten warten, selbst bauen und das Heft des Gestaltens selbst in die Hand nehmen zu können.“ Zudem gehe es bei dem Gelände der ehemaligen Essigfabrik nicht nur um Wohnraum. Ein Teil des Areals sollte auch für kulturelle und soziale Nutzungen geöffnet bleiben: für Jugendangebote, Vereine, Kulturveranstaltungen oder Begegnungsräume, die das Stadtleben bereichern könnten, so der Vorschlag der Linken.
‚Sie stehen auch in der Kritik, weil manche das Bürgerbegehren als Wahlkampfmanöver betrachten. „Wir bringen dieses Bürgerbegehren auf den Weg, weil es um ein grundlegendes Thema geht, das viele Menschen in Wasserburg bewegt: die Frage, wie wir künftig wohnen, leben und unsere Stadt gestalten wollen. Das ist kein Populismus, das ist gelebte Demokratie“, ist die Linke Liste überzeugt. Ein Bürgerbegehren sei ein demokratisches Mittel, bei dem am Ende die Bürgerinnen und Bürger das letzte Wort hätten.
Bisher sei die LLW in ihrem Bemühen um Unterschriften „voll im Zeitplan“, so Fischer. Bis Ende Mai werde weiter gesammelt.

