Positionspapier zum Brenner-Nordzulauf
„Sind keine Duckmäuser“: Forderungen der Freien Wähler sorgen für Riesenstreit im Kreistag
Zwei Geschäftsordnungsanträge, Sitzungsunterbrechung, massive Angriffe auf die Fraktion der Freien Wähler (FW), und am Schluss doch große Einigkeit. So heftig wurde im Kreistag über die Kernforderungen des Landkreises Rosenheim zum Brenner-Nordzulauf gestritten.
Rosenheim - Vehement trat FW-Kreisrat Sepp Hofer für Ergänzungsvorschläge seiner Fraktion ein, mit denen ein vom Kreisausschuss bereits befürwortetes Positionspapier ergänzt werden sollte, das die Freien Wähler abgelehnt hatten. Unter den darin aufgeführten Punkten waren der Nachweis für den Bedarf zweier neuer Gleise zusätzlich zur Bestandsstrecke und ein möglichst hoher Anteil an Untertunnelung enthalten.
Hofers Fraktion reichte das nicht. Sie wollte in der Sitzung im Landratsamt unter anderem die komplette Einhausung der Bestandsstrecke im gesamten Landkreis Rosenheim und die strikte Begrenzung des Flächenverbrauchs beim Bau einer Neubaustrecke auf 100 Hektar als Ergänzung des Forderungskataloges durchsetzen.
Zunächst überraschte Hofer das Gremium mit einem Geschäftsordnungsantrag, in dem er darum bat, über diesen Tagesordnungspunkt erst in der nächsten Sitzung abzustimmen. Grund sei die Tatsache, dass die Kreisräte nicht ausreichend Zeit gehabt hätten, die Vorschläge der FW zu prüfen.
Wir sind keine Duckmäuser und lassen uns von der Bahn keine Fristen setzen
Da der Beschluss im Kreisausschuss erst vor einer guten Woche gefasst wurde, wurden den meisten Kreisräten die Vorstellungen von Hofers Fraktion unmittelbar am Sitzungstag bekannt. Bedenken von Landrat Otto Lederer (CSU), dass bei einer Verschiebung der Entscheidung eine mit der Bahn vereinbarte Frist außer Acht gelassen werde, bügelte Hofer ab. „Wir sind keine Duckmäuser und lassen uns von der Bahn keine Fristen setzen.“
Eine Aussage, die den Landrat zu einem heftigen Konter veranlasste. „Wir haben die Bahn um Verschiebung gebeten, die fordert jedoch die Einhaltung des Zeitplans“, sagte Lederer. Er erinnerte daran, dass der Landkreis eh schon Aufschub bekommen habe, weil die Formulierung der Kernforderungen eigentlich bis Ende 2023 angedacht gewesen sei.
Antrag mit fünf Gegenstimmen abgelehnt
„Das hat nichts mit Duckmäuserei zu tun. Ich habe die Sorge, dass bei einer Verschiebung des Zeitplans unsere Kernforderungen von der Bahn gar nicht mehr behandelt werden“, so der Landrat. Er überzeugte damit die Mehrheit des Gremiums, Hofers Wunsch wurde bei fünf Gegenstimmen abgelehnt.
Mehrere Appelle von Kreisräten, den Antrag zurückzuziehen, veranlassten Mary Fischer (FW), eine kurze Sitzungsunterbrechung für eine nochmalige interne Beratung der Fraktion zu beantragen. Ein Ansinnen, das Franz Bergmüller (AfD) gegen den Strich ging. Er forderte die sofortige Abstimmung nach dem Ende der Debatte. Sein Vorstoß wurde vom Kreistag jedoch mit 26:19 Stimmen abgelehnt.
Rückzug nach Beratungspause
Nach der Beratungspause gaben die Freien Wähler schließlich klein bei und zogen ihren Antrag zurück. „Wir müssen in Berlin ein einheitliches Bild abgeben. Das wollen wir nicht gefährden“, begründete Barbara Stein den Rückzieher. Sie wehrte sich aber insbesondere gegen den Vorwurf von SPD-Fraktionssprecherin Alexandra Burgmaier, die Freien Wähler hätten eine „Luftnummer“ geboten.
Forderungskatalog der Freien Wähler
Folgende Ergänzungen erhielt das Papier der Freien Wähler, das die Fraktion zurückzog.
In der Präambel:
Ersetzung aller schienengleichen Bahnübergänge der Bestandsstrecke durch Über- oder Unterführungen.
Strikte Begrenzung des Flächenverbrauchs bei der Errichtung einer Neubaustrecke auf 100 Hektar, inclusive Baustelleneinrichtung. Verzicht auf die Ausweitung von Ausgleichsflächen, um die heimische, kleinstrukturierte Landwirtschaft zu schützen.
Kernforderungen:
Für den Fall, dass der in der Präambel geforderte grundsätzliche Nachweis der Erforderlichkeit einer Neubaustrecke im Rahmen einer Bedarfsanalyse und einer Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht erbracht werden kann, wird die Bundesregierung aufgefordert, eine zweiteilige Machbarkeitsstudie zu beauftragen. Sie soll Klarheit zu folgenden Themen bringen: Ermittlung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Bestandsstrecke nach Ertüchtigung und Digitalisierung; Ermittlung der Leistungsfähigkeit nach dem Bau eines dritten Überholgleises an der Bestandsstrecke zwischen Ostermünchen und Großkarolinenfeld und eines Güterzug-Tunnels mit circa fünf Kilometern Länge zwischen Großkarolinenfeld und dem Süden Rosenheims.
Analyse der voraussichtlichen Menge schädlicher Treibhausgase, insbesondere CO2, die der Bau einer Neubaustrecke nach heutigem Planungsstand emittiert. Zusätzlich wird eine „wissenschaftlich fundierte Abschätzung“ gefordert, wie lange es dauert, bis die CO2-Bilanz durch den eingesparten Lkw-Verkehr als ausgeglichen bezeichnet werden kann.
Komplette Einhausung der Bestandsstrecke im gesamten Landkreis Rosenheim.
Interessantes Detail am Rande: Sepp Hofer nahm an der Abstimmung nicht teil. Landrat Otto Lederer (CSU) hatte mit ihm zu Beginn der Sitzungsunterbrechung noch persönlich gesprochen und um die Rücknahme des Antrags gebeten. Zu diesem Zeitpunkt schien Hofer noch den Eindruck zu vermitteln, als wolle seine Fraktion bestenfalls Teile ihres Forderungskataloges zurückziehen.
Begeisterung des Landrats hält sich in Grenzen
Der Landrat war auch der erste Redner in der Debatte, dessen Begeisterung für den Vorstoß der Freien Wähler sich in Grenzen hielt. Hauptgrund: seine Überzeugung, dass im Gegensatz zu dem vom Kreisausschuss befürworteten Positionspapier die Forderungen der Freien Wähler nicht mit den Gemeinden abgestimmt seien. „Ich fürchte, die werden das nicht alles gemeinsam mittragen“, sagte Lederer.
Ein Bild von Uneinigkeit wollte der Landrat aber auf jeden Fall vermeiden. Außerdem hielt er es nicht für klug, der Bahn mit Detailvorschlägen womöglich eine Steilvorlage zu geben, die dem Landkreis zu einem späteren Zeitpunkt zum Nachteil gereichen könnte.
Das ist doch volkommen weltfremd
Für seinen Standpunkt bekam er breite Rückendeckung vom Kreistag. „Wenn ich das lese, was die Freien Wähler wollen, beutelt es mich ein bisschen. Das ist doch vollkommen weltfremd“, meinte der Flintsbacher Bürgermeister Stefan Lederwascher (CSU). Kreisbäuerin Katharina Kern (CSU) betonte, es wäre das Schlimmste für den Landkreis, wenn sich der Kreistag auseinanderdividieren lasse.
Verwunderung bei Kannengießer
Ein Standpunkt, den auch Fraktionssprecher Dieter Kannengießer (Parteiunabhängige/ÜWG) teilte. „Ich wundere mich, warum wir jetzt gegen ein Papier vorgehen sollen, das mit den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden abgesprochen ist. Und das vor dem Hintergrund, dass es bei denen durchaus unterschiedliche Vorstellungen in manchen Fragen gibt.“
Deutlich wurde auch Tuntenhausens Bürgermeister Georg Weigl (CSU). „Eine Minute vor zwölf so etwas einzureichen, ist fast eine Frechheit.“ Auch er sieht im Entwurf des Landrats, den der Kreisausschuss gebilligt hatte, den großen Vorteil, dass er von den betroffenen Gemeinden mitgetragen wird.
Dieser Antrag erinnert mich erst einmal an Spaltung
Hubert Lingweiler (Bündnis 90/Die Grünen) beschwor ebenfalls die Notwendigkeit eines „parteiübergreifenden Zusammenhalts“ in der Diskussion. „Dieser Antrag erinnert mich erst einmal an Spaltung. Deshalb bitte ich die Freien Wähler, ihn zurückzunehmen.“
„Ich frage mich, ob wir uns die Köpfe so heiß reden sollen“, meinte dagegen der ehemalige Stephanskirchener Bürgermeister Rainer Auer (Parteiunabhängige/ÜWG). „Ich bin nicht so optimistisch, dass unsere Kernforderungen bei der Bahn auf so großes Interesse stoßen.“
Der Landrat wollte an deren Notwendigkeit jedoch keinen Zweifel aufkommen lassen und betonte nochmals, die Position des Landkreises vor der entscheidenden Abstimmung im Bundestag in Gesprächen mit den politisch Verantwortlichen in Berlin persönlich darlegen zu wollen. Gleichzeitig versicherte er, dass auch alle anderen Forderungen von Gemeinden und Bürgerinitiativen, die erhoben worden seien und sich nicht im Papier des Landkreises fänden, bereits an die Bahn weitergeleitet worden seien.
Franz Bergmüller wollte sich mit dem Vorstoß der Freien Wähler in der Sitzung inhaltlich gar nicht näher befassen. „Ich sehe mich außerstande, alle Konsequenzen daraus in der Kürze der Zeit zu beurteilen.“
Ich hoffe, die Leute lesen das, was Ihr wollt, und wählen Euch dann 1000 Jahre nicht mehr
Kurz vor der Abstimmung griff Alexandra Burgmaier die Freien Wähler nochmals scharf an. „Ich weiß nicht, wo Ihr bei den Debatten zum Brenner in den vergangenen Jahren wart. Wenn wir ein bisserl Erfolg haben wollen, dann geht das nur, wenn wir gemeinsam auftreten. Ich hoffe, die Leute lesen das, was Ihr wollt, und wählen Euch dann 1000 Jahre nicht mehr“, schloss sie ihr durchaus emotional hinterlegtes Statement.
Sepp Hofer reagierte postwendend auf die Attacke und verwahrte sich gegen Burgmaiers Ansicht, die Freien Wähler befürworteten einen Ausbau der Bestandsstrecke durch das Inntal. „Sie müssen auf einer anderen Veranstaltung gewesen sein“, meinte er mit Blick auf den Standpunkt seiner Fraktion in der jüngsten Sitzung des Kreisausschusses.
Nachdem sich die Gemüter wieder beruhigt hatten, machte der Kreistag bei nur einer Gegenstimme von Anita Fuchs (Bündnis 90/Die Grünen) den Weg endgültig frei für das Positionspapier, das auch im Kreisausschuss eine große Mehrheit gefunden hatte. Warum Fuchs dagegen stimmte, blieb unklar. Sie gehörte zur Phalanx jener Gremiumsmitglieder, die die Debatte schweigend verfolgt hatten.