Landkreis legt Forderungskatalog vor
Brenner-Nordzulauf: Streit im Kreisausschuss über Forderungskatalog an Bahn und Bund
Mit einem Bündel an Kernforderungen wollen der Landkreis Rosenheim und die betroffenen Gemeinden an die Bahn herantreten, ehe der Bundestag über den Bau des Brenner-Nordzulaufs im Kreis Rosenheim entscheidet. Doch zwei Parteien scherten bei der Abstimmung aus.
Rosenheim - Die Miene von Landrat Otto Lederer (CSU) verfinsterte sich in der jüngsten Sitzung des Kreisausschusses zusehends, als Sepp Hofer (Freie Wähler) zu seinem Wortbeitrag ansetzte und den vom Landrat vorgelegten Forderungskatalog zwar grundsätzlich begrüßte, ihn aber als „zu schwammig“ und ergänzungsbedürftig ansah. „Das geht uns nicht weit genug.“
Ich würde dem Papier mal die Note drei geben
„Ich würde dem Papier mal die Note drei geben“, sagte Hofer und reizte Lederer damit zu einer durchaus mit Zynismus unterlegten Gegenattacke. „Dann bin ich mal gespannt auf den Entwurf von Euch, der die Note eins verdient.“ Bis zur endgültigen Entscheidung in der Kreistagssitzung am 28. Februar will Hofer in der Tat einen Alternativvorschlag vorlegen.
Er ließ keinen Zweifel daran, dass er die in Lederers Papier enthaltenen Punkte mitträgt, kündigte aber bereits im Kreisausschuss zusätzliche Wünsche an. So fordern die Freien Wähler unter anderem die Ertüchtigung der Bestandsstrecke durch das Inntal auf „Neubau-Standard“ und wollen außerdem, dass der Freistaat im Vorfeld dieser Maßnahme eine Studie dazu in Auftrag gibt.
Forderung nach Erstellung eines Modells
Außerdem wünscht Hofer die Erstellung eines Modells im Maßstab 1:5000, das Aufschluss über den Verlauf der Neubautrasse gibt. Die Bahn erachtet eine solche zweigleisige Route als Ergänzung zur Bestandsstrecke für notwendig. „Viele Leute wissen gar nicht, was uns blüht, wenn das realisiert wird“, malte der Kreisrat ein düsteres Bild von einem solchen Szenario. Ein Modell sei deshalb für das Verständnis der Menschen wichtig.
Für den Landrat besteht kein Zweifel daran, „dass die Bahn mit dem Vorschlag einer Neubautrasse an den Bundestag herantreten wird“. Lederer machte deutlich, dass aus seiner Sicht eine „Totalverweigerung“ nicht zielführend sei. Der vorliegende Forderungskatalog sei ein Papier, in dem sich die Interessen wiederfänden, die von möglichst vielen Betroffenen mitgetragen werden.
Das heiße nicht, dass einzelne Gemeinden nicht noch zusätzliche Wünsche an die Bundespolitik herantragen könnten. „Wir wissen, dass es auch unterschiedliche Standpunkte gibt. Das Papier ist der gemeinsame Nenner“, sagte Lederer.
Er warnte ausdrücklich davor, sich auseinanderdividieren zu lassen. Der Landkreis fordere klar, dass eine Neubautrasse nur dann gebaut werden dürfe, wenn deren Bedarf nachgewiesen sei. Dies sei bisher nicht der Fall. Komme eine solche Trasse aber, müssten die politisch Verantwortlichen vor Ort das Bestmögliche für die Region herausholen. „Da geht es dann nicht um das Ob, sondern um das Wie.“
AfD bringt Bürgerbefragung ins Spiel
Franz Bergmüller (AfD) trägt das Papier zwar mit, zeigte sich aber skeptisch, ob der Nordzulauf angesichts der klammen Haushaltslage des Bundes überhaupt noch finanzierbar sei. „Wir reden hier bereits jetzt von 40 Milliarden Euro, und das Projekt wird sicher noch teurer. Die AfD stimmt den Kernforderungen in der festen Überzeugung zu, dass die Mehrheit der Bürger eine neue Trasse ablehnt.“ Seine Anregung, eine Bürgerbefragung über das Projekt durchzuführen, stieß im Kreisausschuss jedoch auf taube Ohren.
Unterstützung für Lederers Weg signalisierte auch Dieter Kannengießer, Fraktionssprecher der Parteiunabhängigen/ÜWG. Dennoch zeigte er sich mit Blick auf die Erfolgsausssichten skeptisch. „Unsere Forderungen werden verhallen, wie auch frühere bereits verhallt sind.“
So sieht der Forderungskatalog aus
Der Katalog des Landkreises enthält eine Präambel mit trassenunabhängigen generellen Forderungen, Kernforderungen zur Planung der Bahn und Hinweise für ein mögliches Planfeststellungsverfahren, falls eine Neubautrasse eine politische Mehrheit im Bundestag findet.
In der Präambel ist die Erbringung des grundsätzlichen Nachweises für eine Neubautrasse als erster Punkt aufgeführt. „Kann dieser Bedarfsnachweis nicht erbracht werden, ist das Projekt aufzugeben“, heißt es wörtlich.
Weitere generelle Forderungen ohne Bezug zu einer Trassenvariante: Sofortige Durchführung von Lärmschutzmaßnahmen an der Bestandsstrecke nach Neubaustandard; Einführung des Halbstundentaktes im Schienenpersonennahverkehr nach München, Salzburg und Kufstein sowie Ausbau des Angebots im Schienenpersonenfernverkehr; barrierefreier Ausbau aller Bahnhöfe und Haltestellen im Landkreis Rosenheim; Fertigstellung der Bahnstrecke München-Mühldorf-Freilassing/Salzburg) sowie Ertüchtigung (insbesondere Elektrifizierung) der Bestandsstrecke Rosenheim-Mühldorf-Landshut.
Kernforderungen zur bereits vorliegenden Trassenplanung der Bahn: Inn-Unterquerung nördlich von Rosenheim und eine maximale Tunnellösung nördlich von Rosenheim einschließlich Prüfung weiterer Trassenalternativen; Tunnel von Kirnstein bis zur Innleiten; Verlegung der Verknüpfungsstelle Kirnstein in den Wildbarren; zum Schutz der Landwirtschaft Reduzierung des ökologischen Ausgleichs auf landwirtschaftlichen Flächen, insbesondere im Inntal, auf „das absolut Mindeste“.
Hinweise für Planfeststellungsverfahren, falls eine Baumaßnahme beschlossen wird: Maximaler Schutz der Bevölkerung vor Lärm, Staub und Erschütterungen; umfassender Schutz der Trinkwassergewinnungen; Planung und Ausführung der Baumaßnahme, die eine schädliche Beeinträchtigung der umgebenden Landschaft, der örtlichen Baugrundverhältnisse, angrenzender Gebäude oder vorhandener Denkmäler ausschließt; Minimierung des Umfangs der Baustelleneinrichtungsflächen und ordnungsgemäße Entschädigung für die temporäre Inanspruchnahme; Sicherstellung der Freihaltung von Zufahrtswegen für Rettungsfahrzeuge; Freistellung der Straßenbaulastträger von baulichen und betrieblichen Folgelasten infolge der Benutzung öffentlicher Straßen im Baubetrieb; Transport des Aushubs muss vorrangig über Förderbänder, die Schiene und die Autobahn erfolgen.
Voll des Lobes für Lederers Initiative war der Flintsbacher Bürgermeister Stefan Lederwascher (CSU). „Mein ausdrücklicher Dank an Dich, weil Du es geschafft hast, die Kernpunkte unter einen Hut zu bringen“, sagte er zum Landrat. „Wir müssen möglichst viel unter der Erde und durch den Berg fahren. Nur so geht es“, formulierte der Rathauschef seine Erwartungen an eine eventuelle Neubautrasse.
Lederwascher nennt Positionspapier eine „Toplösung“
Da es sich um ein europäisches Großprojekt von immenser Tragweite handele, müsse viel Geld in die Hand genommen werden, „damit die Lebensgrundlagen für die Menschen in der Region bestmöglich erhalten werden“. Das vorliegende Papier sei eine „Toplösung“, sagte Lederwascher und kritisierte Sepp Hofers Vorstoß zugleich scharf. „Was Du hier forderst, ist eine noch viel größere Katastrophe als eine Neubautrasse. Über Jahre hinweg liefe ein riesengroßes Verkehrsaufkommen mitten durch viele Wohngebiete im Inntal.“
Während Josef Fortner (ÖDP) weiter davon ausgeht, dass die Bestandsstrecke als Brenner-Nordzulauf ausreichend ist, begrüßte CSU-Fraktionssprecher Felix Schwaller ausdrücklich das Positionspapier des Landrats. „Wir müssen darauf hinarbeiten, dass ein Maximum unserer Kernforderungen durchgeht. Finanzielle Sorgen müssen wir uns deswegen nicht machen.“
Wir sehen das nicht so apokalyptisch, sondern realistisch
Unterstützung erfuhr der Landrat auch von Bündnis 90/Die Grünen. „Wir sehen das nicht so apokalyptisch, sondern realistisch“, sagte Fraktionssprecher Georg Reinthaler. Er bat darum, dass das Papier nach der Verabschiedung im Kreistag auch jenen Kommunen im Landkreis vorgelegt werde, die von einer Neubautrasse nicht direkt betroffen seien. „Auch die sollten wir um Unterstützung bitten“, so Reinthaler.
Beim Landrat offene Türen eingerannt
Ein Ansinnen, mit dem er beim Landrat offene Türen einrannte. „Das machen wir, denn von den Preissteigerungen für Grund und Boden, die eine Neubaustrecke hervorrufen wird, sind auf jeden Fall alle Städte und Gemeinden im Landkreis betroffen“, ist Lederer überzeugt.
„Ihr könnt gerne schärfere Forderungen bringen, aber dann werden einige Gemeinden auf keinen Fall mitziehen“, appellierte Lederer nochmals an die Geschlossenheit des Gremiums. Einstimmigkeit erreichte er jedoch nicht. Bei drei Gegenstimmen von den Vertretern der Freien Wähler und der ÖDP wurde das Papier angenommen.
Ich werde vor der Abstimmung im Bundestag persönlich nach Berlin fahren
Sollte es auch im Kreistag eine Mehrheit finden, wovon auszugehen ist, hat der Landrat für nächstes Jahr bereits einen Plan. „Ich werde vor der Abstimmung im Bundestag persönlich nach Berlin fahren und bei den Fraktionen unseren Standpunkt vortragen und um Unterstützung werben.“