Interview mit Lothar Thaler zum Aktionstag in Rosenheim
„Irrsinniges Projekt verhindern“: Kann Alternative zu Brenner-Nordzulauf Existenzen retten?
Nach den Kürzungen im Bundesverkehrshaushalt muss die Deutsche Bahn viele Neubauprojekte streichen. Darf die Region hoffen, dass mit dem Brenner-Nordzulauf nun auch ein „irrsinniges Projekt“ gestoppt wird? Was die Bürgerinitiativen im Rosenheimer Land dazu sagen.
Rosenheim – Deutschlandweit protestieren am Samstag (2. März) Bürgerinitiativen gegen Projekte der Deutschen Bahn. Auch in Rosenheim wird ab 10 Uhr für eine „Bürgerbahn“ und eine Verbesserung des ÖPNV sowie gegen den „Größenwahn“ beim Ausbau des Fernverkehrsnetzes demonstriert. Zur Kundgebung laden die Bürgerinitiativen im Rosenheimer Land ein. Erwartet werden etwa 500 Teilnehmer. „Die Bahn wird es nicht schaffen, den Brenner-Nordzulauf zu bauen. Das werden wir verhindern“, zeigt sich Brennerdialog-Vorsitzender Lothar Thaler kämpferisch. Im OVB-Interview erklärt er, wie er Bewegung in politische Entscheidungen bringen will.
Petitionen, Gutachten, eine Alternativvariante, 736 Briefe an die Mitglieder des Bundestages. Die Bürgerinitiativen engagieren sich seit Jahren gegen den Brenner-Nordzulauf, doch politischen Reaktionen sind bislang ausgeblieben.
Lothar Thaler: Genau das spornt uns an. Es gibt so viel Unwissenheit, so viel Ingnoranz. Wir müssen den Menschen noch deutlicher klarmachen, was mit dem Brenner-Nordzulauf auf jeden von uns zurollt. Wir müssen klarmachen, dass alle betroffen sind, nicht nur die Menschen an der Trasse. Und wir zeigen alternative Lösungsvorschläge auf, um noch mehr Menschen hinter uns zu vereinen und die Politik wachzurütteln.
Wie sollen die Kapazitäten für die Brennerstrecke schneller, billiger und nachhaltiger zur Verfügung gestellt werden?
Lothar Thaler: Die Bürgerinitiativen im Rosenheimer Land schlagen in ihrem Alternativkonzept einen Drei-Stufen-Plan vor, um den bereits vorhandenen Brenner-Nordzulauf schneller, billiger und nachhaltiger für die kommenden Aufgaben zu ertüchtigen. Mit dem beschleunigten Ausbau der Strecke München-Mühldorf-Freilassing (ABS 38) könnte die Bestandsstrecke im Abschnitt München-Rosenheim bis 2032 vom Ost-West-Verkehr entlastet werden. Die Bestandsstrecken Grafing-Rosenheim und Rosenheim-Kufstein müssen durch die Modernisierung von Signaltechnik und Lärmschutz nach Neubau-Standard optimiert werden. Allein mit diesen Maßnahmen könnte der Güterverkehr bereits bei Inbetriebnahme des Brennerbasistunnels auf die Schiene verlagert werden, also zehn Jahre früher als mit dem Brenner-Nordzulauf. Der Engpass des Knotens Rosenheim kann bei Bedarf durch einen einfachen, etwa fünf Kilometer langen Güterzugtunnel entlastet werden. Das wäre auch für die Stadt Rosenheim eine enorme Verbesserung. Unser Alternativvorschlag beinhaltet außerdem eine Optimierung der eingleisigen Regionalstrecken Rosenheim-Mühldorf und Mühldorf-Landshut. Dadurch wird der Engpass München entlastet und der ÖPNV verbessert. Man darf nicht vergessen, dass 90 Prozent aller Bahnkunden im öffentlichen Nahverkehr fahren, der seit Jahrzehnten sträflich vernachlässigt wird.
Diese Maßnahmen würden insgesamt zwei Milliarden Euro kosten, der Brenner-Nordzulauf mindestens zehn Milliarden Euro. Welche weiteren Vorteile hätte die Alternativvariante?
Lothar Thaler: Unsere Alternativvariante rettet die Existenz hunderter Menschen zwischen Grafing und Kiefersfelden. Sie reduziert den Flächenverbrauch und damit die Schäden für Natur, Umwelt, Landwirtschaft und Tourismus. Durch den Wegfall der Hochgeschwindigkeitstunnel wird die klimaschädliche CO2-Emmission minimiert. Der zweigleisige Engpass München-Grafing und der Knoten München werden wirksam entlastet. Der Nahverkehr in der Region wird belebt, der Schallschutz an der Bestandsstrecke wesentlich verbessert. Der Bahnhof Rosenheim würde weiterhin von allen Personenzügen angefahren. Und die Region wäre nicht über 15 Jahre von Großbaustellen zerfurcht.
Die Deutsche Bahn bewertet das Alternativkonzept aber als ungeeignet, um die Ziele des Bundesverkehrswegeplanes umzusetzen. Was sagen Sie dazu?
Lothar Thaler: Das ist falsch. Mit unserem Alternativkonzept kann der prognostizierte Verkehr der kommenden Jahrzehnte aufgenommen werden. Eine ganze Region wird zudem für den Bahnverkehr besser erschlossen. Einzig die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Grafing und Kufstein wird nicht möglich. Mit dem Verzicht auf die Maximalgeschwindigkeit von 230 Kilometern pro Stunde bleiben dafür aber Rosenheim und viele andere Städte ans Netz angebunden, womit ein wichtiges Potenzial an Reisenden erhalten wird.
Wird sich mit der Optimierung der Bestandsstrecke nicht noch mehr Güterverkehr durch die Ortschaften wälzen?
Lothar Thaler: Auf einer Ausbaustrecke mit hochwertigem Schallschutz haben die Anlieger trotz höherer Zugzahlen eine niedrigere Schallbelastung. Eine Neubaustrecke wäre ein zusätzliches Verkehrsband und würde bisher nicht betroffene Gebiete zerstören und verlärmen.
Ist ein Tunnel im Seeton unter Rosenheim überhaupt realisierbar?
Lothar Thaler: Die geologischen Gegebenheiten im Seeton sind schwierig, aber eine Untertunnelung ist möglich. Es gibt gute Planungsansätze und qualifizierte Ingenieure, die in ähnlichen geologischen Verhältnissen bereits Tunnel gebaut haben.
Als bautechnische Zeichnungen auf einer Karte sind die Planungen der Bahn für den Laien schwer vorstellbar. Wie kann man das wirkliche Ausmaß des Brenner-Nordzulaufs, seiner Bauwerke, Baustellen und Nebeneinrichtungen greifbarer machen?
Lothar Thaler: Unsere Bürgerinitiativen haben das mit Mahnpfählen in der Landschaft schon versucht. Auf dem Max-Josefs-Platz in Rosenheim werden wir am Samstag ein Diorama, also einen drei mal drei Meter großen Sandkasten – aufbauen, um die Trasse nachzumodellieren und anschaulich zu machen, wie sie die Landschaft zerstört.
Glauben Sie, dass die Bürgerinitiativen den Brenner-Nordzulauf aufhalten können?
Lothar Thaler: Davon sind wir fest überzeugt. Wir werden verhindern, dass dieses irrsinnige Projekt umgesetzt wird: Ein derartiges Großprojekt ist nur genehmigungsfähig, wenn es in erheblichem öffentlichen Interesse steht und alternativlos ist. Das ist nicht der Fall. Es gibt schonende, bessere und billigere Alternativen. Davon wollen wir die Menschen im Landkreis Rosenheim und die Politiker von Rosenheim bis Berlin überzeugen.
Nach den Kürzungen im Verkehrshaushalt streicht die Deutsche Bahn ja gerade viele Neubauprojekte. Lässt das hoffen, dass auch der Brenner-Nordzulauf gestoppt wird?
Lothar Thaler: Weder Bund noch Bahn haben die Mittel für ein solches Projekt, das mit dem Bau der Gleise für mindestens zehn Milliarden Euro ja noch lange nicht beendet wäre. Der Bau von Verladestationen, der Ausbau der Bestandsstrecke nach modernsten-Standard sowie Unterhalt und Betrieb der Strecke sind in den Kosten noch nicht mit eingerechnet. Die aktuelle Haushaltslage ist ein Argument mehr, die Ausbauplänen der Bahn zeitlich nicht einfach nur zu verschieben, sondern sich auf einfachere, billigere und umweltverträglichere Lösungen zu konzentrieren.
Aktionstag am 2. März
Die Kundgebung „Bürgerbahn statt Größenwahn – schneller – billiger - nachhaltiger“ findet am Samstag, 2. März, von 10 bis 12 Uhr, auf dem Max-Josefs-Platz in Rosenheim statt. Dazu gehören Musik, Informationen und Mitmachaktionen. Es spielen die Neurosenheimer.
Die Bürgerinitiativen im Landkreis Rosenheim stellen ihren Gegenvorschlag zu den laufenden Planungen der Politik und der Bahn vor. Neben Verkehrs- und Umweltexperten kommen auch für die Region zuständige Politiker zu Wort – unter anderem SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl, Bundestagsabgeordneter Ates Gürpinar (Gruppe Die Linke) und Landtagsabgeordneter Josef Lausch (Freie Wähler).