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Vom Signalkrebs bis zur Ödlandschrecke

„Zahlreiche Neubürger“ im BGL: Sind gebietsfremde Arten eine Bedrohung oder eine Bereicherung?

Die blauflügelige Ödlandschrecke (links) und der Signalkrebs breiten sind auch im Berchtesgadener Land aus
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Die blauflügelige Ödlandschrecke (links) und der Signalkrebs breiten sind auch im Berchtesgadener Land aus.

Gebietsfremde Arten sind in aller Munde: Die Stadt Kehl in Baden-Württemberg kämpft gegen eine Ameiseninvasion. In Italien erkranken immer mehr Menschen am Dengue-Fieber, das durch die Tigermücke übertragen wird. Die Schweiz verbietet den Verkauf von Kirschlorbeer. Doch sind auch alle neuen Arten invasiv und gefährlich? Wie es im Berchtesgadener Land um die „Neubürger“ steht.

Berchtesgadener Land - In letzter Zeit hört und liest man immer wieder in den Medien über gebietsfremde Arten, sogenannte Neobiota. Ameisen überfallen Städte, die gefährliche Tigermücke infiziert Menschen in Italien und wurde bereits im Raum Rosenheim nachgewiesen, „Superschnecken“ fressen ganze Gärten leer. Wenn man wissen möchte, welche Tier- und Pflanzenarten sich im Berchtesgadener Land ausbreiten und ob diesbezüglich Sorge besteht, ist die Untere Naturschutzbehörde im Landratsamt der erste Ansprechpartner. Gegenüber BGLand24.de haben die Mitarbeiter hierzu zahlreiche Fragen beantwortet:

Welche nicht heimischen Tier- und Pflanzenarten breiten sich im Landkreis Berchtesgadener Land aus?
Neben „alten Bekannten“, wie dem Indischen SpringkrautJapanischen StaudenknöterichSignalkrebsWanderratteBisam und Co., sind zahlreiche pflanzliche und tierische Neubürger im Landkreis anzutreffen. Sei es die Dreikantmuschel im Abtsdorfer See, die Mauereidechse am Bahnhof Freilassing, Sonnenbarsche in etlichen Gewässern des Landkreises. Weitere Beispiele sind die Gestreifte Weinbergschnecke, die sich momentan in Freilassing ausbreitet, die Neuseeländische Zwergdeckelschnecke, die mittlerweile zahlreiche Quellfluren besiedelt, Rostgänse oder Mandarinenten, die in Nistplatzkonkurrenz zu ursprünglich heimischen Arten stehen, oder die Westliche Eichenschrecke, die noch vor wenigen Jahren in Deutschland auf den warmen Südwesten (Oberrheintal) beschränkt war und nun auch bei uns zu finden ist.
Es kommen quasi ständig neue Arten hinzu. Diese Ausbreitung ist grundsätzlich ein normaler Prozess, der durch menschliche Aktivitäten und klimatische Veränderungen jedoch erheblich beschleunigt wird. So landen, beispielsweise durch den interglobalen Handel, neue Arten bei uns. Aber auch die natürlichen Lebensräume von Tieren und Pflanzen verschieben sich durch veränderte Bedingungen und so finden diese hier eine neue zweite Heimat.
Gibt es neue Arten, die sich invasiv bei uns ausbreiten? Welche Einflüsse haben diese auf die heimische Flora und Fauna?
Die meisten Neuankömmlinge verhalten sich unauffällig, beziehungsweise besetzen ökologische Nischen, die davor „frei“ waren. So zum Beispiel die Blauflügelige Ödlandschrecke, oder die Westliche Heideschnecke, die sich insbesondere auf spärlich bewachsenen Bahnnebenflächen ausbreiten und damit ein Biotop besiedeln, in dem es zuvor in der Region keine Heuschrecken gab.
Blauflügelige Ödlandschrecke
Andere Arten, wie die Robinie verändern ganze Ökosysteme, indem sie nährstoffarme Standorte anreichern, indem sie die Nährstoffe aus der Luft im Boden speichern. Das Bisam gefährdet Muschelpopulationen, da es ein Spezialist für die stark gefährdeten Weichtiere ist. Der Signalkrebs oder der Kamberkrebs übertragen die Krebspest, gegen die sie selbst weitgehend immun sind, die jedoch für die heimischen Krebsarten meist tödlich verläuft.
Vor dem invasiven Signalkrebs wird gewarnt. In heimischen Gewässern wie dem Böcklweiher ist er mittlerweile weit verbreitet, bestätigen auch die Fischer.
Das sind nur einige Beispiele für die Wechselwirkungen zwischen den Elementen unserer Ökosysteme. Es handelt sich dabei jedoch eher um seit einigen Jahren bekannte Entwicklungen. „Neue“ invasive Arten, die sich erst in den letzten paar Jahren etabliert haben und problematisch wurden, können im Moment nicht beobachtet werden.
Wie gelangen Neobiota typischerweise in neue Regionen? Welche Rolle spielen dabei menschliche Aktivitäten?
Grundsätzlich breiten sich Arten auch auf natürlichem Wege aus, beziehungsweise dehnen ihr Areal aus. Beispiele sind hier die Türkentaube, der Silberreiher, die Vierpunktierte Sichelschrecke .
Vierpunktierte Sichelschrecke
Manche Arten fahren gern Auto oder Zug. Insbesondere für die typischen wärmeliebenden „Bahnofsarten“ liegt der Verbreitungsweg auf der Hand. Auch für die seltene Äskulapnatter wurden schon Verschleppungen mit dem Auto dokumentiert, da die Tiere warme Hohlräume schätzen. Beobachtungen aus München und Salzburg legen nahe, dass sich auch am Freilassinger Bahnhof mittlerweile gelegentlich Gottesanbeterinnen beobachten lassen.
Andere Arten, wie Thujen, Kerrien, Kirschlorbeer oder asiatische Zwergmispel-Zuchtformen (Cotoneaster) verwildern häufig aus Gärten, oder gelangen über die Ablagerung von Gartenabfällen in die Natur.
Zuletzt werden einzelne Arten sogar teils aus falscher Tierliebe, teils aus Unwissen, ausgesetzt. So wurde der Unteren Naturschutzbehörde im vergangenen Jahr eine Kalifornische Kornnatter aus Freilassing gemeldet, aber auch Schmuckschildkröten werden halbwegs häufig ausgesetzt. Solche Arten schaffen jedoch die Winter in der Region zumeist noch nicht. Anders verhält es sich bei folgendem Beispiel: Durch das Aussetzen von Goldfischen ist eines der besten Amphibien-Laichgewässer im inneren Landkreis in den vergangenen Jahren verloren gegangen. Die Fische fressen Laich und Kaulquappen meist vollständig, sodass die Populationen innerhalb von wenigen Jahren restlos verschwinden. Während sich noch vor einigen Jahren hier seltene Arten, wie der Kammmolch reproduzierten, gibt es momentan gar keine Amphibien in dem Kleingewässer bei Bischofswiesen.
Ein weiteres Beispiel sind verwilderte Hauskatzen, die im Wiesenbrütergebiet Haarmoos einen stabilen, selbst reproduzierenden Bestand haben und eine große Gefahr, insbesondere für die Küken von KiebitzBrachvogel und Co. darstellen.
Wie wird die Ausbreitung überwacht?
Bestimmte Arten mit hohem Schadpotential, wie die Asiatische Hornisse, oder potentielle Krankheitsüberträger wie die Asiatische Tigermücke werden in Ihrer Ausbreitung beobachtet. Grundsätzlich findet eine gewisse Beobachtung durch die Aufgabenwahrnehmung der Naturschutzbehörden statt.
Asiatische Tigermücke
Können Sie Beispiele für neue Arten geben, die in unserer Region positive Effekte hatten oder sich gut in das bestehende Ökosystem integriert haben?
Nichts ist nur schwarz oder weiß, vor allem nicht in der Ökologie. So bietet der invasive Sommerflieder, der teilweise ganze Ökosysteme überwuchert, eine üppige Nahrungsquelle für Insekten. Der Signalkrebs ist eine konfliktarme Nahrungsquelle für den in Teilen der Bevölkerung sehr unbeliebten und streng geschützten Fischotter. Die Raupen des heimischen Schmetterlings Mittlerer Weinschwärmer ernähren sich seit einigen Jahren verstärkt von Indischem Springkraut.
Letzten Endes ist ein Ökosystem kein statisches Gebilde, sondern unterliegt einer ständigen Veränderung. Passen die Bedingungen für eine Art sehr gut, vermehrt sie sich massenhaft. Um beim Beispiel des Indischen Springkrauts zu bleiben: Noch in den 1990er Jahren blühten ganze Bachläufe im Hochsommer Pink. Mit der flächendeckenden Einführung von Phosphatfällungen in Kläranlagen wurden die Nährstoffeinträge in die Gewässer erheblich reduziert und die stark nährstoffbedürftige Art ging allmählich wieder etwas zurück. Nur in nährstoffreichen, gestörten Bereichen lässt sich das Massenauftreten heute noch beobachten. In den meisten Bereichen verhält sich das Indische Springkraut eher unauffällig und lässt auch ursprünglich heimischen Arten genug Platz.
Gibt es besondere Herausforderungen bei der Bekämpfung von invasiven Arten in unserer Region? Wie werden diese angegangen?
Aus naturschutzfachlicher Sicht macht die Bekämpfung von Neobiota nur dort Sinn, wo ein Schutzgut unmittelbar gefährdet wird und der Erfolg einer Bekämpfungsmaßnahme absehbar ist. Wenn also zum Beispiel der Staudenknöterich droht, eine Fläche mit seltenen Arten zu überwuchern, wird er durch landschaftspflegerische Maßnahmen gezielt bekämpft. Im Fall des genannten Amphibiengewässers mit Goldfischbesatz wird versucht, den Goldfischbestand durch fischereiliche Maßnahmen zu reduzieren oder im Idealfall zu beseitigen.
Zudem bekämpfen andere Behörden und Kommunen gezielt Problempflanzen, wie Ambrosia an den Straßenrändern, Staudenknöterich, wo er Bauwerksschäden verursachen kann, oder Riesen-Bärenklau („Herkulesstaude“), wenn dadurch an Spielplätzen oder Liegewiesen eine Gefahr für die Bevölkerung entsteht.
Soll man Tiere und Pflanzen, die einem nicht heimisch vorkommen, der Naturschutzbehörde melden? 
Manche Arten mit hohem wirtschaftlichem Schadpotential sind meldepflichtig. Ein Beispiel ist etwa der Asiatische Laubholzbockkäfer. Ansprechpartner ist hierzu die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL).
Der Asiatische Laubholzbockkäfer bohrt sich durch den lebenden Laubbaum und legt unter der Rinde seine Eier ab. Die geschlüpften Käfer fressen dann ein kreisrundes Ausbohrloch in das Holz (linkes Bild).
Allgemein empfiehlt die Untere Naturschutzbehörde, Naturbeobachtungen auf den renommierten Plattformen, wie observation.org, einzugeben. Dies ermöglicht auch eine wissenschaftliche, überregionale Auswertung von Beobachtungsdaten und die Ableitung von gegebenenfalls neuen Entwicklungen. Die Untere Naturschutzbehörde kann allenfalls in überschaubaren Fällen, wie den oben genannten Beispielen, Maßnahmen ergreifen, um gefährdete Schutzgüter durch geeignete Maßnahmen zu bewahren. Trotzdem versucht die Untere Naturschutzbehörde natürlich, an sie gerichtete Bestimmungsanfragen stets zu beantworten. Solche Anfragen sollten nach Möglichkeit ein Foto, ein Datum und den Fundort enthalten. 
Muss man bei der Bekämpfung stets mit dem Landratsamt Rücksprache halten?
Grundsätzlich nicht, zur Bekämpfung von invasiven Arten in der freien Landschaft berät das Landratsamt jedoch gerne. Auf gärtnerisch genutzten Flächen ist die Kreisfachberatung für Gartenbau und Landschaftspflege der Ansprechpartner.
Und noch eine Frage zur Äskulapnatter: In den sozialen Medien tauchen in letzter Zeit immer wieder Bilder von Schlangen-Sichtungen auf. Wurden der Naturschutzbehörde auch solche Sichtungen gemeldet und wurde unter ihnen auch die Äskulapnatter mehrfach bestätigt?
Gerade aus dem Freilassinger Raum wurden der Unteren Naturschutzbehörde dieses Jahr bemerkenswert viele Äskulapnattern, die anhand von Fotos sicher bestimmt werden konnten, gemeldet. In den übrigen Gebieten ist dem Landratsamt, abgesehen von dem bemerkenswerten Fund in Karlstein, kein sicherer Nachweis gemeldet worden. Wir beobachten die Schlangen-Sichtungen in den sozialen Medien ebenfalls, jedoch handelt es sich zumeist nicht um Äskulapnattern. Teilweise werden dem Landratsamt im Nachgang zu Beobachtungen auf den sozialen Netzwerken dann auch Meldungen zugesandt. (mf)

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