Trickserei bei der Bürgerbeteiligung am ISEK
Grüne Punkte für Bad Reichenhall: Was sich die Bürger für die Zukunft wünschen
Bei der dritten Bürgerbeteiligung zum ISEK gaben die Reichenhaller ihre Bewertung zu 70 vorgeschlagenen Projekten ab. Auf der Liste standen auch Aufreger wie das neue Zentralklinikum, das Axelmannstein und das Deutsche Haus. Dabei wurde aber von manchen Teilnehmern getrickst. Ist das Ergebnis aussagekräftig?
Bad Reichenhall – Beim Stadtentwicklungskonzept (ISEK) für die Kurstadt heißt es inzwischen Halbzeit. Nachdem bereits zweimal die Bürger beteiligt wurden - einmal bei der Auftaktveranstaltung im April 2023 und einmal im Anschluss online - sollte es am Montagabend (15. Januar) nun um deren Meinungen zu 70 konkreten Projekten gehen. Nina Hofmann von Schirmer Architekten stellte diese in einem Vortrag im Magazin3 zunächst vor. Wie auch schon zuvor ging es um folgende Handlungsfelder, unter denen die jeweiligen Projekte aufgelistet wurden:
- Stadtbild
- Tourismus
- Wohnen
- Wirtschaft
- Klimaschutz
- Verkehr
Priorisierung: Sechs aus 70
Nun waren die Bürger am Zug. Allen standen sechs grüne Klebepunkte zur Verfügung, mit denen sie auf großen Plakaten das markieren konnten, was ihnen besonders wichtig ist. Zudem bestand die Möglichkeit, mittels Haftnotizen oder einfach mit Stift Anmerkungen zu machen oder zu ergänzen, was einem noch fehlt.
Bei den 70 aufgelisteten Vorschlägen war aber auch schnell klar: Nicht alles wird sich verwirklichen lassen. Stadtplaner Martin Schirmer: „Wenn der Kämmerer heute hier wäre, würde man ihn durch seine Schnappatmung bemerken. Es gibt hier zentrale und wichtige Punkte, andere wiederum sind nur nice to have.“
„Punktesammler“ könnten das Ergebnis verfälscht haben
In der anschließenden Auswertung waren schnell die Priorisierungen auf den Plakaten durch die grünen Punkte erkennbar. Wobei Schirmer darauf hinweisen musste, dass „manche Schlaumeier“ sich mehr als nur die ihnen zustehenden sechs Punkte zusammen gesammelt und verklebt hatten, um damit die ihnen wichtigen Projekte nach vorne zu bringen. Daher könnten die Ergebnisse nicht ganz aussagekräftig sein.
Die Ergebnisse
Überdurchschnittlich viele Punkte bekamen die „grünen Adern“ in der Kurstadt. Hier geht es um den Baumbestand, den es angesichts des Klimawandels zu erhalten gilt. Grundsätzlich scheinen die Bürger ein großes Interesse an einer klimagerechten Stadt zu haben. Gut gevotet wurden neben mehr Begrünung auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrs durch ein attraktives Busnetz, weniger Autos und vor allem die fahrradfreundliche Stadt. Schirmer betonte, dass hier gerade E-Bikes neue Perspektiven böten. „Autos werden weniger genutzt und einen gesundheitlichen Effekt haben die E-Bikes auch. Man muss aber, wenn die Räder in der Stadt sind, entsprechende Abstellmöglichkeiten bieten.“ Zudem sprachen sich viele für eine attraktive Stadtdurchfahrt aus.
Wie zu erwarten war auch der „Schandfleck“ Axelmannstein ganz vorne mit dabei. Das einstige Vorzeigehotel, eng mit der Geschichte der Kurstadt verbunden, verfällt seit Jahren. Die Fassade bröckelt, und der Westflügel wird trotz Genehmigung nicht abgerissen. Nicht nur das Gebäude, sondern auch der Park sollen revitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Areal um die Alte Saline liegt auch einigen am Herzen, wurde allerdings nicht so hoch gewertet wie erwartet. Zum einen sollen hier die beiden Lindenplätze sowie die Salinenstraße neu gestaltet werden. Zum anderen könnte man mehr Kulturveranstaltungen in die Gebäude locken.
Kritik erntete das aktuelle Marketingkonzept der Stadt. „Riesen-Budget ohne Erfolg“, „nicht nur wirtschaftliche Faktoren berücksichtigen“ und „Fokus auf junge Menschen“ stand auf den Zetteln. Hofmann hatte das wuchtige Kurgastzentrum im Vortrag bereits als „maßstabsprengende Bebauung“ bezeichnet. Schirmer sprach nun davon, dass es sich „räumlich auf der falschen Seite“ befände. Eine bessere Anbindung an die Bahnhofstraße sei hier sinnvoll. Am besten noch barrierefrei - ein weiteres großes Thema bei den Bürgern. Beim Einzelhandel und Gewerbe ging es den meisten um die Beseitigung von Leerständen.
Das geplante neue Zentralklinikum an der Saalach wurde auf sehr vielen Zetteln infrage gestellt und für unerwünscht erklärt. Das Freizeitgelände an dieser Stelle wird weichen müssen, wofür es die meisten Kritik-Punkte von allen gab. Hier äußerte Schirmer jedoch erneut die Vermutung, dass bei der Punktevergabe eventuell manipuliert wurde. Insgesamt wurden die Themen Wohnen, Bildung, Soziales und Freizeit am höchsten priorisiert.
Beim „Deutschen Haus“ geht es voran
Ein Dorn im Auge ist den Bürgern seit Jahren schon das Areal um das sogenannte „Deutsche Haus“ in der Poststraße. Hier wurde eine Parkanlage vorgeschlagen. Der Stadtplaner Schirmer, selbst auch an dem Projekt beteiligt, erklärte, warum dies keinen Sinn macht: „Erstens würde der Eigentümer nie sein Einverständnis geben und zweitens ist das eine Lücke im mittelalterlichen Stadtgefüge. Die muss wie eine Lücke im Gebiss gefüllt werden.“ Ein Wohn- und Geschäftshaus soll daher ensembleverträglich errichtet werden.
Bauamtsleiter Thomas Knaus äußerte gegenüber BGLand24.de, dass sich der städtebauliche Entwurf in der Feinabstimmung befinde. „Die Stellplatzfrage ist noch nicht endgültig gelöst. Bauherr und Investor wären auch schon gerne weiter.“ Wohl im Laufe dieses Jahres werde das Projekt dann erstmals öffentlich behandelt, so Knaus vorsichtig. Da das Areal nicht von öffentlicher Hand bebaut, sondern gemeinsam mit einem privaten Investor entwickelt wird, nannte Schirmer das Vorgehen einen „intensiven Aushandlungsprozess“.
Wie geht es mit dem ISEK weiter?
„Wir werden die Ergebnisse noch einmal dokumentieren und dann dem Stadtrat vorlegen“, erklärte Schirmer. Für die vorbereitenden Untersuchungen (VU) wird noch im Februar oder März ein Fragebogen an alle Hauseigentümer gehen. Laut Baugesetzbuch besteht hier auch Auskunftspflicht. Im März oder April folgt dann die Stadtratswerkstatt. Die gesamte Untersuchung soll noch vor der Sommerpause fertig sein. Ende Juni werden hierzu die Ergebnisse final vorgestellt. Dann folgt die Übersendung an die Regierung von Oberbayern.
Der 3. Bürgermeister Hans Hartmann, der den erkrankten Oberbürgermeister Christoph Lung vertrat, erinnerte zum Schluss daran, dass Bad Reichenhall in diesem Jahr das fünfzigjährige Bestehen der Fußgängerzone feiert. „Wir waren der zweite Ort nach München, der eine Fußgängerzone bekommen hat. Die Kollegen waren damals sehr weitblickend. Ich hoffe, in 50 Jahren denken sie über uns genauso.“
Was ist ein ISEK mit VU?
ISEK mit VU steht für integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept mit vorbereitenden Untersuchungen. Ein ISEK ist die Voraussetzung für ein Städtebauförderungsprogramm und die Grundlage zur Förderung von Maßnahmen in einem Fördergebiet. Wichtig ist hierbei die ganzheitliche Betrachtung. Die vorbereitenden Untersuchungen sind erforderlich, um Beurteilungsgrundlagen über die Notwendigkeit einer Sanierung zu gewinnen. In Bad Reichenhall spricht man von drei Beteiligungssäulen: der Stadt mit ihrer Verwaltung, einem Fachteam und der Bürgerbeteiligung. Das Stadtentwicklungskonzept ist auf 15 Jahre angelegt.
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