Auftaktveranstaltung zur Bürgerbeteiligung
Weniger Autos, mehr für Kinder: Das wünschen sich die Reichenhaller für ihre Stadt
Bei der Bürgerbeteiligung an der Stadtentwicklung haben zahlreiche Bewohner Bad Reichenhalls am 26. April ihre Wünsche und Ideen eingebracht. In den verschiedenen Kategorien ging es um das Stadtbild, Wohnen, den Verkehr, Freizeit und Tourismus sowie das Gewerbe und den Klimaschutz. Zusätzlich läuft ab sofort auch noch eine Online-Beteiligung. Wir wollten wissen, ob diese benutzerfreundlich ist und haben sie getestet.
Bad Reichenhall – „Ich bin überwältigt von dem Andrang“, gab Bürgermeister Dr. Christoph Lung zu. Mit 60 bis 70 Teilnehmern hatte er gerechnet. Die 90 aufgestellten Stühle im Theatersaal der Volkshochschule reichten aber bei weitem nicht. Einige der rund 120 Interessierten mussten noch nach dem Nachrüsten mit Stühlen stehen. Es waren auch zahlreiche Gesichter aus Politik, Kultur und Gewerbe zugegen. Dabei war die Auftaktveranstaltung zur Bürgerbeteiligung am ISEK nicht als Diskussionsabend geplant. Es sollten in einem Workshop vielmehr Ideen gesammelt werden. „Das ist keine klassische Bürgerversammlung, sondern eine aktive Bürgerbeteiligung“, erklärte Lung.
Was ist ein ISEK mit VU?
ISEK mit VU steht für integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept mit vorbereitenden Untersuchungen. Ein ISEK ist die Voraussetzung für ein Städtebauförderungsprogramm und die Grundlage zur Förderung von Maßnahmen in einem Fördergebiet. Wichtig ist hierbei die ganzheitliche Betrachtung. In Bad Reichenhall spricht man von drei Beteiligungssäulen: der Stadt mit ihrer Verwaltung, einem Fachteam und der Bürgerbeteiligung. Angelegt ist so ein ISEK auf 15 bis 20 Jahre.
Vortrag lässt die ersten Knackpunkte erkennen
Zunächst legte Johannes Klüpfel von Schirmer Architekten in einem einstündigen Vortrag die wesentlichen Punkte des Stadtentwicklungskonzepts dar, begleitet von einem Foto-Spaziergang durch die Stadt: Demnach ist die Lage von Bad Reichenhall aufgrund seiner Nähe zu Salzburg recht attraktiv und bildet zusammen mit Freilassing ein Oberzentrum in der Region. Der Wohnungstrend geht eher hin zu kleineren Haushalten. Bislang sind die Hälfte der Wohnungen Einfamilienhäuser. Hier ändert sich somit der Bedarf. Dass die Baugenehmigungen derzeit rückläufig sind, könnte auch an mangelnden Flächen liegen. Bei der demografischen Entwicklung kann man einerseits eine Zunahme an jungen Familien ausmachen. Andererseits steigt das Durchschnittsalter: Im Jahr 2040 wird ein Fünftel der Stadtbevölkerung über 65 Jahre alt sein. Bis dahin wird die Bevölkerung um 2,49 Prozent gewachsen sein.
Beim Foto-Stadtspaziergang zeigte sich zum einen die spürbare Geschichte des Ortes wie etwa an der Alten Saline, den Kirchen und Klöstern und der Burg Gruttenstein. Andererseits erkannte man aber auch deutlich die Areale, bei denen Handlungsbedarf besteht: Das Axelmannstein, der Kaiserplatz oder die Salinenstraße. Die Kurstadt bietet mit den Philharmonikern, dem Magazin3, dem Stadtmuseum und dem Parkkino ein umfangreiches Kulturprogramm. Der Kurgarten, das Gradierhaus, die Parks und die Therme sind touristische Anlaufpunkte. Es gibt zahlreiche Übernachtungsangebote. Die Predigtstuhlbahn, die umliegenden Wanderwege und der Thumsee tragen zur Erholung bei.
Workshop ergibt zahlreiche Anregungen
Ausgehend von der Analyse der Stadtplaner hieß es nun für die Bürger, in sechs Kategoriegruppen ein Brainstorming darüber zu machen, was ihnen an Bad Reichenhall besonders gefällt, wo Handlungsbedarf besteht und welche Ideen es für Änderungen gibt. Schnell füllten sich während des Workshops die großen Plakate, die zum Schluss zusammenfassend von den Schriftführern präsentiert wurden:
- Stadtbild und öffentlicher Raum: Handlungsbedarf sehen die Bürger vor allem bei maroden Straßen und Gebäuden. Es sollen mehr Mülleimer aufgestellt werden und die Lampenschirme benötigen eine Erneuerung. Außerdem wurden ein Mehrgenerationenhaus und eine -anlage angeregt. Einige Überschneidungsbereiche fanden sich mit der Kategorie Verkehr: Viele wünschen sich eine autofreie Innenstadt, mehr Fahrradparkplätze und weniger Flächenversiegelung. Attraktionen für Kinder gäbe es bisher zu wenig.
- Wohnen und Wohnungswirtschaft: Die Bürger regten hier eine Nachverdichtung und Einheimischenmodelle an. Es gibt zu viele Eigentums- und Ferienwohnungen. Der Sozialbau soll mehr in den Mittepunkt rücken. Dennoch soll die Natur erhalten bleiben. Bei den Ideen fanden sich Mehrgenerationenhäuser, Immobilientauschbörsen, genossenschaftliche Wohnungen und soziale Bodennutzung.
- Verkehr und Mobilität: Weniger Autos, mehr Fahrräder und Fußgänger war der Konsens bei diesem Thema. Auch solle der ÖPNV häufiger zu den benachbarten Orten fahren. Die Busse könnten für Lieferdienste genutzt werden. Die Sperrung für LKW-Fahrten über den Thumsee stand ebenso auf dem Plakat wie Parkplätze für Bewohner und Arbeitnehmer in der Innenstadt. An E-Ladestationen soll man mit EC-Karte zahlen können und im gesamten Stadtgebiet soll Tempo 30 gelten.
- Freizeit, Kultur und Tourismus: Um das Freizeitgelände zu erhalten, soll in der Saalachau kein neues Krankenhaus gebaut werden, oder aber es soll entsprechender Ersatz gefunden werden. Der Festplatz könnte wiederbelebt werden. Ebenso soll die Eishalle neu errichtet werden. Ein besonderes Augenmerk galt hier den Kindern und Jugendlichen, für die die Stadt zu wenig Spielplätze und Freizeitangebote hat. Regionalen Künstlern könnte eine Galerie zur Verfügung gestellt werden.
- Gewerbe, Einzelhandel und Versorgung: Ganz oben stand auf der Liste: Leerstand reduzieren, eventuell mit Pop-up-Stores. Der Einzelhandel soll sich auf den Stadtkern konzentrieren. Einheitliche Öffnungszeiten und mehr (Außen-)Gastronomie könnte mehr Leute in die Innenstadt locken. Einfälle für Neuerungen sind Verkaufsmöglichkeiten für gerettete Lebensmittel, mehr Fair-Trade-Läden, gefördertes Kleinhandwerk, Einkaufen mit Veranstaltungen und Erlebnisgastronomie.
- Energie und Klimaschutz: Diskussionsbedarf besteht laut dieser Liste bei der Nutzung von Wasserkraft. Alte Bäume sollen besonders geschützt und erhalten werden. Man könnte auch Mischwälder aufforsten. Die Bürger wünschen sich Energieautarkie und nachhaltige Mobilität und Bautätigkeit. Auf den städtischen Gebäuden könnten PV-Anlagen installiert werden. Es soll mehr begrünt werden, auch an Dächern und Fassaden.
Wie benutzerfreundlich ist die Online-Beteiligung?
Im Eingangsbereich der Volkshochschule konnten die Bürger mit grünen und roten Fähnchen auf einer Karte markieren, was ihnen an der Stadt besonders gefällt und was überhaupt nicht. Dies ist aber auch digital möglich, denn zusätzlich zur Auftaktveranstaltung kann man nun auch noch online seine Meinung kundtun. „Bis zum 26. Mai können die Bürger jetzt bequem vom Wohnzimmer aus über das Smartphone ihre Ideen einbringen. Damit wollen wir auch die Jungen erreichen und die, die heute nicht da waren“, erklärt Lung.
Wir wollten wissen, wie benutzerfreundlich die Online-Beteiligung ist und haben einen Selbstversuch gestartet. Zunächst einmal muss man sich mit einer E-Mail-Adresse und einem Passwort registrieren. Im Anschluss folgt ein kurzer Fragebogen über die Herkunft, wie alt man ist und welche Themen einem wichtig sind. Dann kann es auch schon losgehen. Auf der Karte kann man einen Pin an die gewünschte Stelle bewegen und im Kästchen darunter seine Ideen anonym eintragen. Allerdings erscheint der Inhalt erst nach einer Prüfung, in der Regel am nächsten Werktag. Fazit: Gute und einfache Handhabung. Spannend wird es dann, wenn mehrere Ideen eingelaufen sind. Am Tag nach der Veranstaltung befanden sich schon rund 30 Pins auf der Karte. Diese lassen sich auch von anderen Nutzern kommentieren. Ein weiterer Pluspunkt: Die Pins kann man auch ohne Anmeldung einsehen. Die Karte könnte aber bei zu vielen Pins auch irgendwann unübersichtlich werden.
In seinen Abschlussworten zur Veranstaltung bekräftigte der Oberbürgermeister: „Das war erst der Anfang.“ Möglichst noch in diesem Jahr soll das Ergebnis final im Stadtrat beschlossen werden.
mf

