„Dahoam am Land“: Die Familienkolumne von Andreas Reichelt, Folge 14
„Weil ICH es sage!“ - Von Erziehungsargumenten, die keine sind
Das Elternsein hat so seine Momente, gute und - nennen wir sie mal so - „interessante“. Vieles, das uns als Kinder genervt hat, leben wir nun als Vater oder Mutter selbst erneut aus. Und wundern uns dabei manchmal über uns selbst.
Dahoam - Es gibt Dialoge, die nahezu jede Familie kennt. Deren Ursprung in der Natur der Einrichtung begründet liegt. Gewissermaßen gehört es also für uns Eltern zur „Stellenbeschreibung“. Ein Beispiel gefällig? Bitte:
„Fahr vorsichtig!“
„Eigentlich hatte ich vor, im Graben zu landen!“, gefolgt von heftigem Augenrollen.
Eine Konversation, die viele von uns in ihrer Jugend oft mit den Eltern oder Großeltern geführt haben. Auch ich. Dabei ist das Verkehrsmittel völlig egal gewesen. Ob ich mit dem Radl in die Stadt fahren wollte, mit dem Roller zum Kumpel oder per Auto nach München, um die neuesten Basketball-Boots eines NBA-Profis erstehen zu können.
Zwanzig Jahre später stehe ich an der Haustür, blicke sorgenvoll auf die Tochter, die ihren Rollerhelm aufsetzt, und denke: „Hoffentlich fährt sie vorsichtig!“ Ja, die Zeit holt uns wohl alle ein. Vor allem seit sich der Nachwuchs in meinem Leben breitgemacht. Tja, wie sagte einst eine gewisse Elisabeth Stone? Wenn man sich für Kinder entscheidet, würde von da an das elterliche Herz außerhalb des eigenen Körpers umherlaufen. Noch so etwas, das nur Eltern vollends verstehen.
Ich dachte immer, ich würde als Vater auf leere Phrasen und althergebrachte Argumentationen verzichten. „Weil ICH es sage!“, oder „steh nicht auf, bevor du deinen Teller leer gegessen hast“, sollten nicht über meine Lippen kommen. Ich habe beide schon benutzt. Tradition 1, Reichelt 0.
Als ob wir engagiertere Schüler gewesen wären
Noch deutlicher wird mir das Missverhältnis von eigener Wahrnehmung als Jugendlicher und der heutigen Umsetzung als Vater, wenn ich über die Schule nachdenke. Meine Kinder sind beide am gleichen Gymnasium, an dem auch ich mein „Unwesen“ trieb. Als Schüler hatte ich selten einen Plan, wann Schulaufgaben oder Exen anstanden. In meinen Hausaufgaben war ich gewissermaßen mit mir selbst sehr nachsichtig. Vorbildliche Schüler sehen jedenfalls anders aus.
Bei meinen Töchtern jedoch habe ich die Schulaufgaben und die damit verbundene Vorbereitung im Blick. Sie haben ihre Hausaufgaben viel besser im Griff, als ich damals. Wenn sie Hilfe in Mathe brauchen, muss ich die Vorgehensweise selbst erst googeln, denn ganz ehrlich: Manche Themen habe ich damals ausgelassen. Stochastik zum Beispiel. Und dennoch ertappe ich mich dabei, Sätze in den Raum zu schmettern, wie etwa: „Du solltest mindestens eine Woche vor der Schux zu lernen anfangen.“ „Wie, du hast heute deine Hausi noch nicht fertig?!“ Und ganz schlimm: „Schule geht vor!“ Tradition 2, Reichelt 0.
Habe ich etwa vergessen, was für ein Schlendrian ich selbst in meiner Schulzeit war? Wie sehr ich Mathe und Französisch gehasst habe? Ich nehme meinen Ordner aus dem Abiturjahr heraus und kann die mathematischen Zeichen nicht einmal mehr lesen, die ich da aufgeschrieben habe. Keine Ahnung, was das alles da im Ordner heißen soll. Hieroglyphen etwa? Was bin ich froh, dass mir das bereits zwei Minuten nach der Abiturprüfung völlig egal sein konnte! Und auch war.
Ich beschließe, meine diesbezüglichen Aussagen wieder besser zu kontrollieren. Ich muss gegen die Tradition punkten. Schließlich ist noch nicht aller Tage Abend. Mist, das war das 3 zu 0 für die Tradition im „Leere-Phrasen-Spiel“.
ar