Dahoam am Land - Die Familienkolumne von Andreas Reichelt
Warum der Hopserlauf unsere Zivilisation retten wird
Ich stehe mit meiner Tochter in einem Münchener U-Bahnhof und habe keine Ahnung, in welche Richtung ich fahren muss. Überall nur Rolltreppen, Displays ohne erkennbaren Informationswert und Menschen in Eile. Ein Albtraum für uns Landmenschen. Gut, dass mich auch diesmal der Hopserlauf retten wird. Wie? Das erzähle ich gern.
13 Blicke auf den Fahrplan und sieben „Ich-bin-auch-nicht-aus-Münchens“ in vier verschiedenen Sprachen hat es gedauert, bis ich mich für eine U-Bahn entschieden und mit meiner Tochter in dem ratternden Gefährt Platz genommen habe.
Um mich herum schauen alle in ein Handy und tippen darauf herum. Haben wir nicht Wählscheiben-Telefone abgeschafft, um nicht mehr so lange damit hantieren zu müssen?! Ich wundere mich noch über die Stadtmenschen, doch meine Tochter neben mir verhält sich augenblicklich genauso. Entweder sie wurde assimiliert, als ich gerade nicht hingeschaut habe, oder sie gehört zur selben Spezies, lebt ihre Natur sonst aber nur aus, wenn ich nicht dabei bin.
Ich nehme demonstrativ ein Buch und schlage es auf. Verstohlen betrachte ich die seltsam gekleideten Personen im Abteil, oder wie man das nennt. Erst vier Stationen weiter bemerke ich, dass ich mein Buch verkehrtherum halte. Poser. Aber da jeder mit seinem Telefon beschäftigt ist, fühle ich mich kaum beschämt.
Ein vielleicht achtjähriges Mädchen spaziert mit ihrem Schulranzen seelenruhig an mir vorbei, das Schaukeln der U-Bahn scheint sie gar nicht zu bemerken. Keine Eltern, keine Betreuer. Wahrscheinlich ist sie auf dem Heimweg vom Unterricht, bestimmt Ganztagsklasse, denke ich noch. Schule bis zum späten Nachmittag, Mediennutzung unterwegs und irgendwie alles digital. Ich erkenne die Welt nicht mehr. Doch weder meiner Tochter noch dem unbekannten Dirndl scheint das etwas auszumachen. Obwohl: „Dirndl“ sind ja jetzt auch „Girlies“.
An der nächsten Haltestelle steigt besagtes „Girlie“ aus und bewegt sich im Hopserlauf durch den Bahnhof. Ich atme auf. Wenigstens der Hopserlauf ist noch da. Die ultimative Fortbewegung infantiler Organismen hat die Zeit überdauert. Hoffnung keimt auf. Bestimmt wird der Hopserlauf auch das Internet überdauern. Ob KI je die Freuden eines entschleunigten Galopps auf zwei Beinen entschlüsseln wird? Ich glaube nicht. Denn innen drin, ganz weit im Innern, da sind wir Menschen alle hopserlaufende Kinder. Und noch sind wir in der Überzahl.
Eine Durchsage reißt mich aus meinen Gedanken. Was heißt hier „Endstation“? Wir müssen doch in die Innenstadt!
ar