Familienkolumne „Dahoam am Land“, Folge 19
Klettern, Radeln, im Wald spielen: Wie wir dennoch unsere Kindheit „überlebten“
„Vergiss den Helm nicht!“ Wenn unsere Kinder zu einer Freundin radeln, ist solch ein Sicherheitshinweis Teil der Abschiedszeremonie. Genaue Besprechung, wann der Nachwuchs wieder zu Hause sein soll inklusive. Dazu eine exakte Überprüfung, ob den ausreichend warme Kleidung den Organismus der Kids vor der eisigen Kälte schützt.
Dahoam/Burghausen - Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, frage ich mich ernsthaft, wo ich diese Fürsorge her habe. Als kleiner Rabauke sah ich damals keine Veranlassung, irgendwem zu sagen, wo ich hinfahre. Oft bin ich den ganzen Tag im Wald gewesen, habe ein „Lager“ gebaut oder mit Freunden „Räuber und Gendarm“ gespielt. Beziehungsweise „Reiba und Schandi“, um die Aussprache korrekt wiederzugeben.
Als ich kürzlich die Burghauser Burg besuchte, dachte ich noch: „Mensch, hier hätte ich als Kind so viele Verstecke gefunden!“ Die Realität gewordene, ultimative Lego-Burg. Der Traum meines Kindheits-Ich. Doch das ist ein anderes Thema.
Eine andere Welt
Ja, eine Kindheit von heute lässt sich nur schwer mit dem vergleichen, was wir damals so trieben. Dass wir es überlebten, scheint manchmal gar wundersam. Ein Beispiel: Als die Nachbarn in unserer Siedlung damals ein Haus gebaut haben, sind wir in den Rohbau geklettert und dann aus dem ersten Stock in einen Kieshaufen gesprungen. Immer höher, immer weiter. Ohne Helm oder Schutzbrille. Aber in Gummistiefeln. Gestört hat es keinen.
Im Sommer radelten wir auch immer wieder zu dritt irgendwo hin, zum Freibad etwa. Mit einem einzigen Fahrrad, wohlgemerkt. Einer saß auf dem Lenker, einer auf dem Gepäckträger. Ich selbst auf dem Sattel. So bretterten wir in Maximalgeschwindigkeit Pfarrkirchens Hänge hinunter und haben wider Erwarten überlebt. Ohne Helm.
Während ich so tippe, fällt mir eine Kindheitsgeschichte nach der anderen ein, die mich heute um den Schlaf bringen würde, sollten meine Kinder ähnlich unvorsichtig sein. Warum sie sich dennoch genauso oft verletzen, wie wir damals, ist mir schleierhaft. Bei all den Sicherheitsvorkehrungen, mahnenden elterlichen Erinnerungen, offiziellen Verboten und Warnhinweisen, dürfte sich eigentlich kein Kind mehr wehtun.
Ich bekomme große Lust, auf einen Baum zu klettern. Nicht virtuell am Handy, nein, richtig rauf auf den Kirschbaum. Barfuß, ohne Helm. Aber erstens bin ich da mittlerweile zu unsportlich, zweitens habe ich Höhenangst und drittens holen die Nachbarn wahrscheinlich die Polizei, wenn da ein Mann bei uns im Baum hängt. Ich sehe schon die Schlagzeile: „Redakteur von Baum gerettet: ‚Er war nicht angemessen trainiert‘“ Das erspare ich mir lieber. Aber dafür radle ich wenigstens mal schnell zum Wald. Wo ist denn nun mein Helm?!
ar