Marcel Seehuber vom „Sauriassl Syndikat“ aus Altötting
„Wir haben keinen Mangel an Wohnraum, sondern ein Verteilungs- und Nutzungsproblem!“
Auch im Kreis Altötting schaut es teils schwierig auf dem Wohnungsmarkt aus. Wir haben daher mit Marcel Seehuber, Mitbegründer und Vorstand des „Sauriassl Syndikat“ gesprochen, der immer wieder Missstände in diesem Bereich anprangert und mit dem „Syndikat“ auch praktische Abhilfe schaffen will.
Altötting - „Der Druck auf den Wohnraum ist enorm, wir haben aber keinen Mangel an Wohnraum, sondern ein Verteilungs- und Nutzungsproblem. Die leeren, halb- und ungenutzten Gebäude und auch leeren Baugründstücke sind in allen Gemeinden da. Dieser unsichtbaren Wohnraum muss nutzbar gemacht werden“, fordert Marcel Seehuber, Mitbegründer und Vorstand des „Sauriassl-Syndikats“, Filmemacher und Stadtrat für „Die Liste“ in Altötting. „Es wird aber zum einen zu viel auf Neubau gesetzt. Das macht ökologisch wie ökonomisch wenig Sinn und verbraucht enorme Flächen. Zum anderen herrscht bei vielen Menschen nach wie vor der Traum vom eigenen Einfamilienhaus vor.“
„Doch dieser Traum birgt mehr Probleme als man denkt: enorme finanzielle Belastungen für die Häuslebauer, Flächenverbrauch, Häuser die zu groß konzipiert sind und sobald die Kinder mal aus dem Haus sind, soziale Vereinsamung im Alter, um nur einige zu nennen“, fährt Seehuber fort, „Hier kommen wir mit einem ganz neuen Konzept: gemeinschaftliches Wohnen in einem Haus, dessen Eigentum zwar bei der SauRiassl GmbH liegt, dessen Nutzer aber in weiten Teilen über das Wohnen im Haus bestimmen können, als wäre es ihr eigenes.“
Marcel Seehuber vom „Sauriassl Syndikat“ aus Altötting im Interview: „Wir haben aber keinen Mangel an Wohnraum, sondern ein Verteilungs- und Nutzungsproblem!“
Erst vor kurzem hatten wir über die Entwicklung des Immobilienmarkts in der Region berichtet, basierend unter anderem auf dem „Neubauatlas“ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder. : Im Landkreis Altötting wurden, wie bereits berichtet, im ersten Halbjahr 2023 knapp 63 Prozent weniger Baugenehmigungen erteilt als im Schnitt der fünf Halbjahre bis 2018. Bis 2022 war zuvor in beiden Landkreisen die Zahl der Neubauten und resultierenden Wohnfläche noch auf einem niedrigen aber insgesamt stabilen Niveau.
Fertiggestellte Wohnfläche nach Kreisen in Tsd. m²
| Jahr/Kreis | Rosenheim-Stadt | Rosenheim | Altötting | BGL | Mühldorf | Traunstein |
| 2018 | 16,44 | 181,66 | 56,05 | 41,98 | 72,96 | 110,07 |
| 2019 | 1,13 | 146,26 | 52,92 | 32,64 | 92,74 | 62,12 |
| 2020 | 30.09 | 60,80 | 76,95 | 30,48 | 96,24 | 84,67 |
| 2021 | 16,16 | 185,93 | 72,61 | 35,76 | 71,59 | 94,04 |
| 2022 | 12,48 | 140,35 | 72,64 | 40,40 | 81,67 | 66,25 |
„Mein Engagement in diesem Bereich kam schlicht aus der Notwendigkeit, das ich irgendwo leben musste. Da steht man ja meistens vor der Wahl zwischen EInfamilienhaus-Langeweile oder einem Vermieter ausgeliefert zu sein. Ich bin selbst in einem Einfamilienhaus aufgewachsen und durfte auch schon die Vor- und Nachteile eines Mieterverhältnisses erleben“, erinnert sich Seehuber im Gespräch mit unserer Redaktion, „Beides schien mir kein gangbarer Weg. Also habe ich mich nach etwas neuem umgeschaut und bin über das Modell des Mietshaussyndikats gestolpert. Das hat mich, als Fan utopischer Literatur, sofort begeistert!“
„Machen hier etwas handfestes“
„Und nein, wir sind keine ‚Hippie-Zahnbürstenteiler-Truppe‘. Damit ist nix verkehrt, für diejenigen denen das gefällt, aber wir machen hier etwas handfestes!“, betont er. „Mein Engagement im Bereich Wohnen begann dann also als Mitinitiator und Gründungsmitglied des Altöttinger Mieter Konvent e.V. 2007. Mit diesem Verein und dem deutschlandweit agierenden Mietshäuser-Syndikat haben wir 2009 das erste Hausprojekt in der Region, den AMK in der Konventstraße in Altötting, verwirklicht. Im AMK haben wir sehr viel Erfahrung gesammelt, außerdem war ich im Mietshäuser-Syndikat als Berater und in verschiedenen Arbeitsgruppen aktiv und habe Projekte im In- und Ausland beraten. Aus dem AMK und dieser Erfahrung heraus haben wir dann das SauRiassl-Syndikat entwickelt und 2018 gegründet. Quasi ein regionales Mietshäuser-Syndikat.“
So beschreibt sich das „Sauriassl Syndikat“:
Das SauRiassl Syndikat ist ein solidarisches Netzwerk aus gemeinschaftlichen und ökologischen Wohnprojekten in der Region um Altötting (Südostoberbayern). Die SauRiassl GmbH kauft Immobilien und saniert diese in der Regel auf einen aktuellen Wohnstandard. Die Mieter wiederum sollen sich weitestgehend selbst organisieren. Zum Beispiel sollen sie über neue Mitbewohner eigenständig entscheiden.
Finanziert werden die Projekte über Bankdarlehen oder sogenannte „Direktkredite“, also Nachrangdarlehen. Letztere werden direkt von Investitions-willigen Personen an die SauRiassl GmbH vergeben. Eine sozialverträgliche Mietgestaltung wird angestrebt. Gewirtschaftet wird nach dem Prinzip der Gemeinwohlökonomie. Laut Selbstbeschreibung sind folgende Ziele Teil der SauRiassl Agenda: Klimaneutralität, der Aufbau regionaler Versorgungsstrukturen, neue Mobilität, Stromerzeugung, ressourcenschonendes Bauen, Quartiersentwicklung, soziale Gerechtigkeit. Damit will sich das Netzwerk gesellschaftspolitisch einbringen.
Vom „SauRiassl-Syndikat“ hat man inzwischen im Landkreis schon einiges gehört: Baut keinen Scheiß. Keine Profite mit der Miete“ - Eine provokante Aufschrift auf der Verkleidung des Baugerüsts der Baustelle des „Genossenschaftshauses“, einem der Projekte des „Syndikats“, an der Trostberger Straße in Altötting war Ende Juli am Rande der Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses Thema. Bürgermeister Antwerpen äußerte sein Missfallen über die Form des Geschriebenen. Seit Februar ist es außerdem im Besitz eines denkmalgeschützten Altstadthauses, und erregt mit seinem Alternativkonzept großes Interesse bei einer Informationsveranstaltung vor ein paar Tagen.
Was muss sich bessern?
Doch zurück zur Wohnraum-Problematik: „Wie erwähnt, hätten wir genügend Wohnraum, wenn wir an die Leerstände in Gebäuden und Baugrundstücken herangehen würden. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, die Grundlagen in der deutschen und bayerischen Verfassung sind mehr als gegeben: Eigentum verpflichtet nach Artikel 14 des Grundgesetzes, die bayerische Verfassung geht sogar noch weiter: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Missbräuche sind abzustellen. Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen“, fährt Seehuber fort, „Dabei wurde nicht einmal die Grundsteuer C vom Freistaat verabschiedet. Wir brauchen aber eine gesetzliche Grundlage, die die Eigentümer verpflichtet, ihren Wohnraum zugänglich zu machen. Bei uns ist es erlaubt, sein Haus jahrelang leer stehen zu lassen, während andere horrende Mietpreise zahlen oder Flüchtlinge in Containern hausen müssen.“
Was muss sich bessern? „Eine Entbürokratisierung vor allem im Bereich Bau und Wohnraumförderung. Eine bessere Förderung von Sanierungen im Bestand, die Rücknahme von Neubauzielen bezeihungsweise Bezuschussung. Eine andere baurechtliche Bewertung von Bestandssanierungen und Neubauten: es kann nicht sein, dass sobald man eine weitere Wohneinheit in einem Haus schafft, die ganze baurechtliche Planung als quasi Neubau mit allen entsprechenden Auflagen bewertet werden.
Außerdem braucht es gesetzliche Grundlagen für die Aktivierung von Leerstand. Das Auflegen von Programmen zur Nutzung von unsichtbarem Wohnraum und „unterforderten” Häusern. Eine Förderung von gemeinschaftlichen Wohnkonzepten und Eigentumsformen wie Genossenschaften oder Syndikate, die gibt es nämlich bisher überhaupt nicht. -Vielleicht sollten wir mal ein zehn Punkt Programm aufsetzen... “
hs