So tickt der Neue im Rathaus
Von Shanghai nach Reichertsheim: Dieser Mann soll das Ruder nach dem Chaos herumreißen
Von der Millionen-Metropole Shanghai ins ländliche Reichertsheim-Kirchdorf: Diesen ungewöhnlichen Karriereschritt vollzog Holger Noll, neuer Geschäftsleiter der Verwaltungsgemeinschaft (VG). Nach dem Chaos-Jahr soll er hier das Ruder herumreißen. So tickt der neue Mann.
Reichertsheim – Holger Noll aus Hessen hat sich nach reiflicher Überlegung für Oberbayern als seine neue Heimat entschieden. In der Verwaltungsgemeinschaft Reichertsheim-Kirchdorf ist er der neue Geschäftsleiter. Ein schwieriges Amt, doch der Neue weiß Herausforderungen zu meistern.
Die Aufgabe des Neuen: Aufräumen in der VG Reichertsheim
Geboren wurde der 58-Jährige im beschaulichen Altenmittlau in Hessen nahe der bayerischen Grenze, wo er eine „sehr schöne Kindheit” verlebte, wie er berichtet. Nach einigen Zwischenstationen zog es ihn jetzt wieder in eine ländliche Umgebung: nach Bayern, wo er die Freundlichkeit und Direktheit sowie die zupackende Art der Menschen besonders schätzt. Noll liebt außerdem die Landschaft im Voralpenland, ein weiterer Grund, warum er die Leitung der beiden Rathäuser in Reichertsheim und Kirchdorf trotz unruhiger Zeiten übernommen hat. Denn hier gab es große personelle Probleme und Chaos in den Abläufen, ein Durcheinander, das er nun mit aufräumen und vor allem dafür sorgen soll, dass sich so etwas nicht mehr wiederholt.
Schon früh Vision einer bürgernahen Verwaltung umgesetzt
Nach der Realschule lernte Holger Noll die öffentliche Verwaltung als Fachangestellter in Hanau kennen und blieb dort 30 Jahre. Die Fachhochschulreife ermöglichte ihm ein Abendstudium der Betriebswirtschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Uni in Frankfurt und die Ausbildung zum Diplom-Verwaltungsfachwirt. Als kaufmännischer Leiter plante er fortan die Belegung von Kindergärten mit 2500 kommunalen und noch einmal so vielen kirchlichen Plätzen, betreut von 400 Erzieherinnen. Die 90er Jahre erlebte Noll als Umbruch, denn auch sein damaliger Chef unterstützte eine neue Vision der bürgernahen Verwaltung. Wünsche der Einwohner sollten nicht mehr mit Verweis auf Regeln und Paragrafen abgelehnt, sondern so gut wie möglich unterstützt werden. Dabei seien auch neue Wege eingeschlagen worden, darunter ein umgebauter Bus als „Mobile Kindergartengruppe” im Wald, erinnert sich Noll.
Elf Jahre in Shanghai gelebt
Als für die eigenen Söhne, heute 16 und 19 Jahre alt, im Jahr 2013 ein neuer Abschnitt begann, war das eine Gelegenheit „für etwas Neues”. Shanghai bot sich an, denn die Deutsche Schule mit 400 Kindern suchte einen Verwaltungsleiter. Ursprünglich wollte die Familie drei Jahre dort bleiben, dann wurden es sogar elf.
Shanghai mit seinen 24 Millionen Einwohnern hielt vielfältige Erfahrungen bereit: etwa das rigide Durchgreifen der Behörden während der Corona-Zeit, die Disziplin der Chinesen, aber auch die nahezu restlose Verwertung von Tieren als Nahrung mit dem Hintergrund, dass deren Eigenschaften in den Menschen übergehen sollen. Viele Chinesen würden deutsche Produkte und Marken kennen, diese seien dort angesehen, erfuhr Noll. Ihn beeindruckte außerdem die Aufgeschlossenheit der Bevölkerung, auch wenn es kein WhatsApp, Google oder YouTube gebe. Arzttermine seien in China deutlich leichter zu erhalten, die Mobilität sei durch privat übers Handy organisierte Fahrdienste besser geregelt, berichtet er. In Deutschland musste sich die Familie erst einmal zwei Autos anschaffen.
Deutsche Demokratie schätzen gelernt
Seine Zeit in Shanghai führte dazu, dass er die Demokratie in Deutschland noch mehr schätzen lernte, ein Land, in dem die Gedanken frei seien und genauso frei formuliert werden dürften. Denn gerade daraus entstehe etwas Neues. Menschen, die nicht nur in die Tiefe gehen, sondern Zusammenhänge sehen würden, seien wichtig, findet Noll.
Die Ausbildung sollte der jüngere Sohn in Deutschland erhalten. Ein Inserat im Bayerischen Staatsanzeiger gab den Ausschlag für Reichertsheim. Durch die Internetsuche war ersichtlich, dass sich das Rathaus in einer schwierigen Phase befindet. Noll zweifelte nach eigenen Angaben aufgrund seiner Erfahrung nicht einen Augenblick daran, die Abläufe wieder in geordnete Bahnen lenken zu können. Wie kann man ein solches Chaos verhindern, sodass es sich nicht wiederholt und Hinweise der Beschäftigten nicht mehr übersehen werden? Vor allem durch regelmäßigen Kontakt und verpflichtende Gespräche mit den Beschäftigten, sagt er. Zudem stehe seine Tür stets offen, versichert Noll. Er sei es gewohnt, zuzuhören. Das Homeoffice stehe dem entgegen, daher werde es nicht mehr angeboten. Vielmehr sollten die Mitarbeitenden für die Bürger so gut wie möglich erreichbar sein.
„Das Geld spielt nicht die große Rolle“
Trotzdem steht fest, dass sich auf dem Land in einem kleinen Rathaus weitaus weniger verdienen lässt als bei den früheren Tätigkeiten. „Das Geld spielt nicht die große Rolle”, sagt der Verwaltungsleiter. Auch schon früher habe er sich gewünscht, mit einer möglichst breiten Aufgabenpalette und mit Menschen zu tun zu haben. Außerdem sei das Gefühl schwer zu beschreiben, in den hiesigen Lebensmittelladen zu gehen und Produkte aus der Umgebung zu kaufen, das sei so ganz anders als in China.