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Bader spricht über „Achterbahn der Gefühle“

„Nicht wir sollten uns schämen“: So geht es dem Missbrauchs-Betroffenen Helmut Bader aus Maitenbeth

Achterbahn der Gefühle für Helmut Bader: Er erlebte im vergangenen Jahr sehr schwierige Phasen der Re-Traumatisierung, aber auch erlösende Momente wie die Umarmung von Kardinal Reinhard Marx bei der Radtour 2024 der Missbrauchsbetroffenen.
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Helmut Bader erlebte im vergangenen Jahr sehr schwierige Phasen der Re-Traumatisierung, aber auch erlösende Momente wie die Umarmung von Kardinal Reinhard Marx bei der Abschlussandacht der Radtour 2024 der Missbrauchsbetroffenen.

Vor einem Jahr hat er öffentlich gemacht, dass er als Kind in Maitenbeth durch Pfarrer Ludwig Axenböck mehrere Jahre sexuell missbraucht wurde. Seitdem hat Helmut Bader eine „Achterbahn der Gefühle“ erlebt. Über den Kampf um Anerkennung, Re-Traumatisierung, Bedrohungen und mutmachende Signale.

Maitenbeth – Flashbacks, Albträume, Ängste, Panikanfälle, schlaflose Nächte, starke Unruhe: Helmut Bader aus Maitenbeth hat nach der Veröffentlichung des durch Pfarrer Ludwig Axenböck erlittenen sexuellen Kindesmissbrauchs eine Re-Traumatisierung erlebt. Doch er legt Wert auf die Feststellung, dass nicht die Offenlegung Schuld war, denn sie löste eine Kette von Reaktionen aus, die der Frührentner als ausgesprochen ermutigend empfand. „Mut schaut der Angst ins Gesicht und besiegt sie.“ Dieser Mut sei auf weitere sechs Personen aus Maitenbeth übergesprungen, die als Kinder ebenfalls von Pfarrer Axenböck sexuell missbraucht worden seien.

„Wertschätzung für uns Betroffene aus Maitenbeth einzigartig“

„Einige Leute sind auf mich zugegangen und haben mir Respekt gezollt“, sagt er. Seine Heimatgemeinde Maitenbeth habe eine dem Täter gewidmete Straße umbenannt, Pfarr- und Gemeinderat hätten sich nicht weggeduckt. Sogar eine Stele, von Künstler Peter Schwenk entworfen und unter dem Titel „Broken Heart („die tut mir narrisch gut“) gestaltet, wurde aufgestellt. „Dieses gesellschaftlich tätig werden unserer Pfarrgemeinde für die Erinnerungskultur ist einzigartig in der Erzdiözese München und Freising“, zieht Bader Bilanz.

Er ist aufgrund seines Engagements gegen das Schweigen Mitglied im unabhängigen Betroffenenbeirat der Erzdiözese München und Freising geworden. Er hat an der Radtour 2024 der Missbrauchsbetroffenen („Here we are“) teilgenommen. Dabei kam es nach seinen Angaben zu vielen ermutigenden Erlebnissen. Beispielsweise am Schliersee, wo Kardinal Reinhard Marx aussagte: „Mit ihrem beharrlichen Einsatz für die Aufarbeitung“ seien die Missbrauchsbetroffenen zu einer „prophetischen Stimme in der Kirche geworden“. Es gab aber auch negative Erlebnisse bei der Radtour, etwa als ein Pfarrer aus einem erst kürzlich gemeldeten Täter-Ort sich den Betroffenen nicht stellen wollte, berichtet Bader.

Der 65-Jährige findet: „Es war richtig, dass ich an die Öffentlichkeit gegangen bin. Doch wenn ich gewusst hätte, dass ich erneut durch die Hölle gehen und meine Familie so große Ängste ausstehen muss, dann, glaube ich, würde es mir heute nicht schlechter gehen als jetzt, hätte ich nichts gesagt.“ Denn er hat im vergangenen Jahr auch viel erlebt, was ihn retraumatisiert hat. Deshalb hat er ein ganzes Jahr eine Trauma-Exposition an der Ludwig-Maximilians-Universität München absolviert, startet bald eine 136 Einheiten umfassende analytische Langzeittherapie bei einer Psychologin.

Auch seine Ehefrau benötigt seit dem öffentlichen Bekanntwerden psychologische Hilfe. „Helmut, du weißt schon, dass du zum Zeitpunkt deines öffentlichen Outings deine ganze Familie aufs Spiel gesetzt hast“, habe sie ihm gesagt. Seine Frau habe vor allem die Furcht vor ablehnenden Reaktionen im Dorf kaum aushalten können. Bader betont ausdrücklich: „Manch einer kann sich gar nicht vorstellen, wie Missbrauch eine Familie mit Ängsten, Leid und Scham begleitet.“

Anonym am Telefon beschimpft

Die große Mehrheit der Maitenbether stützte die Familie emotional, einige sprachen Mut zu, manche suchten vorsichtig das Gespräch, erinnert sich Bader. Doch es gab auch mehrere anonyme Telefonate über unterdrückte Nummern, in denen der Missbrauchsbetroffene wüst beschimpft oder aufgefordert wurde, doch den Mund zu halten. Und es gab ein anonymes Schreiben, einlaminiert in Plastik und an Allerheiligen 2023 am Grabstein des Täters auf dem Friedhof angebracht. Dort forderte eine unbekannte Person „Solidarität mit Pfarrer Axenböck“. Dieses Schreiben wurde vom Pfarrgemeinderat an die Erzdiözesen München und Freising zur Überprüfung weitergereicht.

Auf vielen Seiten hat Bader im vergangenen Jahr detailliert alles aufgeschrieben, was er seit dem „Outing“, wie er es selber nennt, erlebt hat: Telefonate und Gespräche mit kirchlichen Funktionsträgern auf allen Ebenen, mit Ämtern und Behörden, Mails und Briefe, ärztliche Termine, Beratungen, Treffen, die der Betroffenenbeirat als offenes Angebot dreimal im Jahr einberuft. Ein Protokoll einer „Achterbahn an Gefühlen“: mal ermutigend und befreiend, mal deprimierend und zurückwerfend. Dass er nicht wieder zum „Teufel Alkohol“ gegriffen hat in diesem schwierigen Jahr, „das habe ich den Treffen mit den Anonymen Alkoholikern zu verdanken“, sagt er. Auch das Trockenbleiben gehört zu den vielen großen persönlichen Erfolgen Baders.

Doch es gibt auch einen Misserfolg, den er nicht akzeptieren kann. Bader zitiert eine ihn betreuende Ärztin. Diese schreibt, sie sei entsetzt darüber, „wie sehr dieser Missbrauch in der Kindheit meinen Patienten geprägt hat. Herr Bader braucht vielfältige Hilfe und Ermutigung von vielen Seiten, vor allem von der katholischen Kirche, damit seine gesundheitlichen und finanziellen Belastungen nach so langer Zeit heilen können.“

Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) mit Sitz in Bonn hat Bader zwar eine Anerkennungsleistung zugestanden, die aus seiner Sicht und seiner ihn betreuenden Psychologin jedoch nicht angemessen ist. Bader kritisiert ebenso wie viele Betroffene, dass es bei der Berechnung dieser Zahlungen keine Transparenz hinsichtlich der Festlegung der Summe gebe.

„Eine Tür ging auf, die ich nicht wieder schließen konnte“

Für die Anerkennungsleistung sollte Bader die Taten Axenböcks auflisten: Sie geschahen mehrere Jahre lang – in der Schule, im Pfarrhaus, im Großelternhaus, in der Kirche. Bader hat unter Aufbringung aller emotionalen Kräfte detailliert geschildert, was Axenböck ihm als Kind angetan hat. Die Erinnerung habe dazu geführt, dass er oft „stundenlang geweint“ habe. „Es ging eine Tür auf, die ich nicht wieder schließen konnte.“ Re-Traumatisierung heißt dies im Fachbegriff. Eine Gefahr, auf die Betroffene bei ihrer Antragstellung bei der Kommission hingewiesen werden müssten, findet Bader. Er ist der Meinung, auch vor der Antragstellung bei der unabhängigen Ansprechperson seien psychologische Vorgespräche notwendig.

Bader hat die Gefahr, dass längst Verschüttetes wieder hochkommt, hingenommen, denn eine genaue Schilderung der Taten sollte für die weitere Prüfung des Anerkennungsantrags vorgelegt werden. Er gab außerdem zahlreiche ärztliche Attests ab, die eine Vielzahl an Erkrankungen auflisteten, die die Folge des sexuellen Missbrauchs gewesen seien: Schuppenflechte am ganzen Körper seit der Kindheit, Alkoholismus seit einem Alter von zehn Jahren, Diabetes, Berufsunfähigkeit.

Die Anerkennungsleistung, die ihm zugestanden wurde, sei „keine Wertschätzung und Gerechtigkeit“ für das erlebte Leid und die Folgen, sagt er. Die gesundheitlichen Probleme seien nicht angemessen anerkannt worden. Was Bader zudem bedauert: Eine direkte Kontaktaufnahme zur Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen in Bonn sei nicht möglich, Widerspruch nur einmal erlaubt, außer es würden neue Informationen hinzugefügt. Kardinal Reinhard Marx habe ihm bei der Romfahrt 2023 doch zugesichert, jeder Fall müsste einzeln beleuchtet und geprüft werden. Das sei bei ihm bis dato nicht ausreichend geschehen, findet Bader.

Weitermachen gegen das Schweigen und Verdrängen

Trotzdem wird er weitermachen in seinem Kampf für andere: gegen das Schweigen, Vergessen, Verdrängen. Und – für ihn „ganz wichtig“ – für die Prävention. Denn Tatorte seien schließlich nicht nur die Kirche, auch Schule, Vereine, Familien. Bader betont, der Betroffenenbeirat mache sich stark für offene Treffen, bei denen auch Angehörige teilnehmen könnten, für die Erinnerungskultur und für die Betroffenenentschädigung. Er wird nicht müde zu betonen: „Nicht wir, die Täter müssen sich schämen.“

Pfarrer Marek Kalinka aus Maitenbeth (hier links vor der Stele zur Erinnerung an die Taten) wurde für Helmut Bader zu einer wichtigen Persönlichkeit, die die Missbrauchsbetroffenen aus dem Ort unterstützte. „Wir Betroffenen aus Maitenbeth bedanken uns bei Pfarrer Kalinka für seine Bemühungen, ohne die es mit dem Text auf der Stele sehr schwierig geworden wäre“, sagt Bader.

Aus der Kirche ist er übrigens bis heute nicht ausgetreten. „Ich hatte wegen mangelnder Wertschätzung und Gerechtigkeit seitens der Kirche einen Termin beim Standesamt“, berichtet er, „doch meine höhere Macht“ habe ihn zum Umdenken gebracht. Denn Bader wollte gerne der Taufpate des jüngsten Enkels werden.

Dank für Engagement von Maitenbeths Pfarrer Kalinka

Maitenbeths Pfarrer Marek Kalinka habe außerdem als einziger Geistlicher bei der „Here we are-Tour“ 2024 seine Solidarität als Mitfahrer auf einer Teilstrecke gezeigt. Hinzu kämen seine anerkennende, wertschätzende Art, sein Engagement für das Kunstwerk zur Erinnerung an die Taten und seine Bereitschaft zur Aufarbeitung. „Herr Pfarrer Kalinka hat viel dazu beitragen, dass ich meinen Weg wieder zurück in die Kirche gefunden habe“.

Heute könne er dem Täter, Pfarrer Axenböck, vergeben, „nur vergessen: Das geht nicht.“

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