Stationen in Wasserburg, Babensham und Schnaitsee
„Wer heilt unsere verwundeten Herzen?“ Darum radeln Missbrauchs-Betroffene durchs Täter-Land
„Wir zeigen Gesicht, vor allem für alle Kinder, die sich nicht wehren konnten, nicht laut Nein schreien konnten!“: Radtour der Missbrauchs-Betroffenen führt weiter durch die Täter-Gemeinden, darunter Babensham und Schnaitsee.
Wasserburg/Babensham/Schnaitsee – „Fried ist Allweg in Gott“, steht auf der kleinen Kapelle in Obermühle bei Babensham – ein Zitat vom Heiligen Bruder Klaus. Ein Satz, der beinahe makaber anmutet, angesichts der Andacht, die hier am 17. Juni stattgefunden hat. Es ist ein Gottesdienst von und für die Betroffenen sexualisierter Gewalt. Der Unabhängige Betroffenenbeirats der Erzdiözese München und Freising hat dazu im Rahmen seiner Radtour durch die Tätergemeinden eingeladen, denn in Babensham soll jahrelang der ehemalige Pfarrer Josef Schneller Kinder missbraucht haben.
Weniger Frauen melden sich
„Bislang haben sich vor allem Frauen als Betroffene gemeldet. Sie waren damals zwischen neun und dreizehn Jahre alt“, sagt Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats. Es sei eine der wenigen Gemeinden, wo die betroffenen Frauen in der Überzahl sind. Meist seien es Männer, die sich melden würden, obwohl Kick glaubt, dass im Allgemeinen wahrscheinlich die Geschlechter gleich oft betroffen seien. „Es gibt Studien, die belegen, dass vor allem Frauen oft die Schuld bei sich selbst suchen“, sagt Kick. „Sie glauben, dass sie dem Täter irgendeine Art von Interesse gezeigt haben, was zu dem Missbrauch geführt hat.“ Deshalb würden sie sich oft nicht melden.
In Babensham seien der Erzdiözese offiziell fünf Frauen bekannt, Kick wisse von dreizehn. Von der Diskrepanz sei er aber nicht überrascht. In beinahe jeder Gemeinde, die der Betroffenenbeirat anfährt, kenne er Betroffene, die es bislang nicht geschafft hätten, sich bei der Erzdiözese zu melden. Ihm ist außerdem klar: Die Dunkelziffer liegt meist noch weit höher. Oftmals, sagt der Sprecher des Betroffenenbeirats, sei die Scham über den Missbrauch zu groß.
Personen sollen sich trauen, die Scham zu überwinden
Einer der Gründe, warum Kick die Radtour so wichtig findet: Um den Opfern die Scham zu nehmen. „Ich hoffe, dass es den ein oder anderen gibt, der uns fahren sieht und dadurch den Mut findet, sich zu melden“. So wie Helmut Bader. Vergangenes Jahr war der Maitenbether bereits bei der Tour nach Rom mit dabei. Damals noch „inkognito“, wie er sagt. Erst am Ende habe er sich getraut, sich als ebenfalls Betroffener zu „outen.“ Nun radele er mit, in der Hoffnung, dass sich weitere Personen trauen. Dass sie sich trauen, die Scham zu überwinden.
Um Scham geht es viel an diesem Montagvormittag. Die gesamte Tour – Start war am 16. Juni in München – von Wasserburg, über Babensham bis Schnaitsee begleitet die sechs Radler dieses Thema. Doch es ist auch Wut dabei. Wut über eine katholische Kirche, die den Missbrauch zugelassen hat, die in der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle mehr als einen Fehler gemacht hat. „Ich bin kein Kirchgänger mehr“, sagt Herbert Fuchs, Mitorganisator, Mitglied im Betroffenenbeirat und Betroffener. Er sei zwar noch Kirchenmitglied, „aber ich bringe die Worte ‚Ich glaube an die heilige katholische Kirche‘ nicht mehr über die Lippen.“ Zu oft sei am synodalen Weg gezweifelt worden, zu sehr werde die Institution noch „wie eine absolutistische Monarchie“ geführt.
„Ausg‘schamt is‘“
Gleichzeitig gelobt die Kirche jedoch Besserung. An diesem Tag ist Prälat Peter Neuhauser, ehemaliger Direktor des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising, zur Obermühle gekommen, um die Andacht zu leiten. Er spricht von Schmerz und von der Hoffnung, dass die Betroffenen Frieden und Unterstützung finden mögen. Seine leise Stimme ist über das Vogelgezwitscher und das Rauschen des nahegelegenen Mühlbachs kaum zu verstehen. Die Betroffenen sind umso lauter. „Wir sind hier. Here we are“, tragen drei Frauen vor. „Als selbst Betroffene, für alle Opfer sexualisierter Gewalt – speziell an diesem Ort. Wir zeigen Gesicht, vor allem für alle Kinder, die sich nicht wehren konnten, nicht laut Nein schreien konnten!“
Ihre Stimmen zittern, während sie ihre Sätze vorlesen, doch sie tragen unaufhaltsam ihre Wehklage vor. „Wie Jesus am Kreuz möchten wir rufen: Mein, Gott, mein Gott, warum hast du uns verlassen! Wer gibt uns Antworten? Wer heilt unsere verwundeten Herzen?“ Am Ende rollen Tränen und es folgen Umarmungen als Trostpflaster gegen den Schmerz und auch eine Art von Gratulation. Dafür, die Scham überwunden zu haben. „Ausg‘schamt is‘“, sagt Herbert Fuchs. Diesen Satz würde er gerne dem Papst sagen, könnte er doch nur Bairisch verstehen.

