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Missbrauchs-Skandal der Kirche

Rosenheimer Missbrauchs-Pfarrer: Opfer berichtet, was ihm Greihansel Unsägliches angetan haben soll

Die Untaten liegen Jahre zurück – und für manches als Kind misshandelte Opfer hören die Leiden nie auf.
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Niedergedrückt von der Erinnerung (Symbolfoto): So mancher, dem als Kind Gewalt angetan wurde, ringt mit dem Trauma ein Leben lang.

Die Untaten liegen Jahre, manchmal Jahrzehnte zurück. Oft sind die Täter bereits verstorben. Doch für viele Missbrauchsopfer hört das Leiden nie auf. Ein Mann, dem der Rosenheimer Pfarrer Greihansel Unsägliches angetan hat, berichtet.

Rosenheim – Was geschehen ist, ist nicht ungeschehen zu machen. Was aber, wenn es zu schlimm war? Wenn man mit den Bildern des Geschehens nicht leben kann? Viele Menschen versuchen, die Erinnerung wegzusperren. Sie räumen die bösen Bilder sozusagen weg. In einen dunklen, abgelegenen Raum ihres Bewusstseins, in den Keller tief in sich drin. Sie schließen die Tür und sperren sie sorgfältig ab. Und dann werfen sie den Schlüssel weg. 

So hat es Hermann M. (Name von der Redaktion geändert) gemacht. Er hat ein schlimmes Erlebnis verdrängt, es scheinbar vergessen. Das Erlebnis wiederholten brutalen Missbrauchs. Den Schlüssel zu dieser Erinnerung hatte er ein halbes Jahrhundert zuvor weggeworfen. „Doch dann lag dieser Schlüssel auf einmal wieder mitten auf dem Tisch“, sagt er. Mit den ersten Berichten über den Rosenheimer Missbrauchspfarrer Rudolf Greihansel ging es los. Danach war die Erinnerung nicht mehr im Keller zu halten.

Seit dem Frühjahr peinigen ihn die Erinnerungen

Seine Geschichte ist für das OVB nicht zu beweisen. Niemand sonst war dabei, der Täter ist längst verstorben. Doch M.‘s Schilderung ist vertrauenswürdig, sie klingt absolut plausibel. Viele Umstände gleichen im Detail dem, was andere berichten.

Hermann M. ist ein Mann, der sichtlich auf sich acht gibt. Seine Sprache ist ruhig, er hat Familie, ist leicht gebräunt von der Arbeit in seinem Garten; ein Mensch, der sein Leben im Griff hat. Oder vielmehr hatte. Seit dem Frühjahr drängt sich die Erinnerung wieder in sein Leben. „Dann bekomme ich Panikattacken.“ Besonders schlimme Streiche spielt der Geruchssinn, das olfaktorische Gedächtnis. Den Geruch bestimmter Speisen kann er nicht ertragen, sagt M. „Dann bin ich auf einmal, mit einem Schlag, mitten in der Situation.“ Die Situation – damit meint M. die Misshandlungen durch den Pfarrer Greihansel.

Der Missbrauchstäter, ein charismatischer Geistlicher

Hermann M. gehörte zu den Auserwählten. Zu den jungen Burschen, die bei den Gottesdiensten des Krankenhauspfarrers ministrieren durften. Ein elitärer Kreis, wie sich mancher Mitministrant erinnerte, irgendwie spezieller als gewöhnliche Ministranten. So erzählten es ehemalige Ministranten dem OVB.

In den Erzählungen erscheint Greihansel manchmal auch als Kauz, der Altertümer sammelte. Münzen zum Beispiel. Oder Scherben, die er nördlich von Rosenheim gefunden hatte. Dort, wo die Römer mal Keramik fertigten. Ein Pfarrer aber auch, der ungewöhnlich lebendig predigte. Der sich und anderen aber auch gerne etwas vorspielte. „Ein richtiger Kaffeehaushocker war er“, sagt M., „und ein hervorragender Blender.“ Gut vorspielen konnte der Geistliche Freundschaft und Kameradschaft. „Burschen, die mit ihm in den Bergen auf über 2000 Metern gewesen waren, denen bot er das ,Du‘ an“, weiß M.

Schwere Bürde: Das Gutachten der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zu Fällen von sexuellem Missbrauch unter anderem von Pfarrer Rudolf Greihansel.

Das hässliche Gesicht des Missbrauchspfarrers

Greihansel, so viel kann man also sagen, war ein Mann mit vielen Gesichtern. M. gehört zu denen, die sein ganz hässliches Gesicht sahen. Das Gesicht des Missbrauchstäters. Es arbeitet in Hermann M., als er sich daran erinnert, was ihm Greihansel antat. Er war 12 oder 13, als es geschah, Anfang der 70er Jahre war das. M. stößt die Luft aus. „Puhhhh.“ Er legt die Hand über die Augen. Um die Mundwinkel spielt ein trauriges Lächeln. Greihansel habe ihn vergewaltigt, so sagt es M. Es geschah bei einem Ausflug nach Salzburg, „in der Toilette einer Jugendherberge“. Es blieb nicht das einzige Mal.

„Man hat sich nicht um mich gekümmert“

M. ging zur Schule, ging zur Arbeit, ging in den Ruhestand. Am Haus gibt es schließlich immer was zu tun. Er sprach nie über die Angelegenheit, schon gar nicht als Kind, nicht mal mit sich selbst. Aus Scham vielleicht, vielleicht auch deswegen, weil ihm ohnehin niemand geglaubt hätte. Er weiß es nicht mehr. „So sehr hat man sich ja auch nicht um mich gekümmert“, sagt er achselzuckend. Nach der Sache in der Jugendherberge packte er seinen Rucksack und machte sich aus dem Staub. „Ich bin geflohen“, sagt er. Er fuhr mit dem Zug nach Hause. Und niemand fragte, warum er früher als erwartet zurückgekehrt war.

Im Missbrauchsgutachten ein besonders schlimmer Fall

Jahrzehnte vergingen. Über diese und andere Angelegenheiten wuchs Gras. Doch dann tauchte der Rosenheimer Missbrauchspfarrer im Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl auf – als besonders schlimmes Beispiel. Und dann begann die Berichterstattung im OVB. Es erschienen Texte, die davon erzählten, wie hochrangige Mitarbeiter des Erzbistums München-Freising Rudolf Greihansel als „Problempfarrer“ nach Rosenheim schickten, um ihn und damit auch sich vor dem Gerede zu schützen. Schließlich war Greihansel in den 60er Jahren zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, wegen schweren Missbrauchs. Eine ungewöhnlich schwere Strafe in einer Zeit, da ein Pfarrer noch „Hochwürden“ war.

Der Täter war auch ein aufopferungsvoller Seelsorger

Die Texte im OVB schilderten auch, wie Greihansel als Krankenhauspfarrer arbeitete, dass er sich aufopferungsvoll um Kranke kümmerte, und dass er begeistert in die Berge ging. M. las die Berichte. Seitdem arbeitet es in ihm. Schweißausbrüche habe er, „Panikattacken suchen mich heim“.

In der Therapie reist Hermann M. in eine peinvolle Vergangenheit

Hermann M. ist nun bald ein halbes Jahr in Therapie, er hoffe, irgendwann die Last der Erinnerung tragen zu können. Jeden Dienstag fährt er deswegen nach München und lässt sich in die Vergangenheit schicken.

Es ist eine Konfrontation, die ihn viel Kraft koste, sagt er. Doch nun weiß er, woher die Alpträume kamen, in denen er immer wieder einen langen Gang entlangschritt – es war der Flur, der zur Dienstwohnung Greihansels führte. Und er weiß auch, warum er solche Schwierigkeiten hat, in einen Badezimmerspiegel zu schauen. Weil er Angst hat, dass in dem gläsernen Viereck auf einmal hinter ihm der Priester auftauchen könnte. So wie vor 50 Jahren.

Zu wenig, zu teilnahmslos, zu spät: Reaktion der Kirche

Am Ende sei Greihansel „ziemlich gaga“ gewesen, er, der sich so gerne „Pater Kassian“ nennen ließ, vielleicht, weil er sich mit diesem Ordensnamen seinen Südtiroler Wurzeln näher fühlen konnte. In seinen letzten Jahren sei Greihansel immer wieder mal im Krankenhaus umhergeirrt, berichtet M. Wie ein Täter an den Schauplatz seines Verbrechens, könnte man denken.

Die Kirche hatte den Pfarrer schon lange vorher in den Ruhestand versetzt. Weil schon wieder Berichte über Übergriffe aufgetaucht waren, lange Jahrzehnte nach der Verurteilung wegen des schweren Missbrauchs. Und wieder drängt sich der Eindruck auf, die Kirche habe sich schützen wollen, nicht aber die Bedrohten – die Kinder.

Missbrauchsgeschädigter will ein Gespräch – doch er blitzt ab

M. meldete sich im Frühjahr 2023 bei einem der Ansprechpartner des Erzbistums und erzählte seine Geschichte. Doch seinen Frieden hat er nicht gemacht, wird er vielleicht auch nie machen. Wie die Kirche damit umgeht, ist für ihn vollkommen unverständlich.

Er werde als Leidtragender des Rosenheimer Missbrauchsskandals immer wieder vertröstet, Erklärungen bleibe man schuldig, ohne weiteren Kommentar. Seine Versuche, in Kontakt mit dem Ordinariat zu kommen, einen Termin für ein Gespräch mit einem Würdenträger zu erhalten, eine Entschuldigung gar, haben nicht gefruchtet. „Für die war das eine Art Arbeitsunfall“, sagt M. „So was wie ein Versicherungsfall.“

Viele Male ist er inzwischen im Erzbistum vorstellig geworden. Doch es ist, als habe die Kirche selbst den Schlüssel noch nicht gefunden. Geschädigten sei man „kirchlicherseits mit Desinteresse und Ignoranz begegnet“, heißt es in einem früheren Gutachten über die Untaten in der Erzdiözese München Freising. 13 Jahre ist es alt. In den Augen vieler Opfer hat sich seitdem wenig geändert – viel zu wenig.

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