Hiobsbotschaft zum Jahresanfang
Gastro-Sterben: Warum der junge Wirt des „Valentino“ in Haag „die Lust verloren“ hat
Das Gastro-Sterben geht im neuen Jahr weiter: In Haag schließt im März nach 34 Jahren das Kult-Lokal „Valentino“. Ein Opfer der Mehrwertsteuer-Erhöhung oder Personal-Not? Mitnichten. Die Gründe, warum die Inhaberfamilie Igerl „die Lust verloren hat“, liegen woanders, erklärt Noah Igerl im Exklusiv-Gespräch.
Haag – Das „Hemingway“ in Trostberg, das „Goa“ in Mühldorf, das „Noah“ in Garching an der Alz, das „Valentino“ in Haag: Diese Bistros, Cafés und Restaurants gehören der Gastwirtsfamilie Igerl. Das „Valentino“, in der Marktgemeinde auch nur „V“ genannt, hat nach Meinung von Jung-Wirt Noah Igerl mit den anderen drei eins gemeinsam: „ein schönes Ambiente“, karibisch-exotisch. Und trotzdem: „Das Valentino liegt am falschen Standort“, bedauert der 25-Jährige. In Haag ist nach seinen Erfahrungen einfach zu wenig los, um das Bistro und Restaurant halten zu können.
Die Einheimischen kommen zwar gerne, sagt Noah Igerl. Vor allem donnerstags und freitags sei das Lokal in der Regel abends gut gefüllt, doch das reiche einfach nicht aus, um es wirtschaftlich betreiben zu können. Dazu würden auch Gäste aus dem Umland benötigt, diese würden aber lieber nach Wasserburg oder nach Mühldorf und Trostberg fahren.
Zeitlicher Aufwand und Umsatz ständen im „Valentino“ in keinem Verhältnis, der Standort Haag habe sich einfach nicht gerechnet, bedauert der junge Gastronom. Er und sein Vater haben viel Zeit und Geld in das Restaurant gesteckt, mit Leidenschaft immer wieder neue Ideen, wie eine separate bayerische Wirtsstube und eine kleine Außengastro unter Markisen, entwickelt. „Mir sind die Leute in Haag auch sehr ans Herz gewachsen“, sagt Noah Igerl. „Doch unser Geld verdienen wir woanders. Es ist so mühsam geworden, dass wir die Lust verloren haben.“ Deshalb kommt nun schweren Herzens das Aus Mitte/Ende März, nach dann genau 34 Jahren.
Warum die „Carambas“ den Anstoß gaben
1990 war ein Bericht in der Wasserburger Zeitung der Anstoß für die Geschwister Gabi und Guido Igerl, in Haag ein Lokal zu eröffnen. Ein Jahr zuvor hatten die „Carambas“ den dritten Platz bei den Europameisterschaften im Showtanz errungen und der Redaktion erzählt, sie hätten gerne ein Café in Haag, wo sie mal so richtig feiern könnten. Das war eine Ansage, die die Igerls gerne aufnahmen. Sie eröffneten am 2. März ein Bistro, das sich im Laufe der Jahre zu einem Restaurant entwickelte. Die Speisekarte: gut bürgerlich mit internationalen Ansätzen.
Das „V“ wurde zu einem beliebten Speiselokal und Treffpunkt. Hierhin gingen Familien zum Essen, hier versammelten sich junge Leute auf einen Absacker, hier wurde gefeiert, geflirtet und geratscht. Das ging laut Noah Igerl gut 20 Jahre so, dann flachte vor acht bis zehn Jahren die Resonanz ab. Als der Besuch wieder richtig gut lief, kam die zweite Krise: die Pandemie. Eine schwere Zeit, die jedoch auch dank staatlicher Hilfe bewältigt wurde, wie Noah Igerl betont.
Nur das Marktumfeld in der Gemeinde passe seit einigen Jahren nicht mehr. Die Hauptstraße sei keine Durchfahrtsstrecke mehr. Immer mehr Geschäfte und Lokale hätten aufgegeben. Im Juni zählte Noah Igerl bereits zehn verschiedene Gewerbeobjekte im Zentrum, die leer ständen. Die Zeit des Flanierens entlang von Schaufenstern ist noch aus einem weiteren Grund vorbei: aufgrund der Konkurrenz durch die Online-Marktplätze. Es fehle mittlerweile einfach die Frequenz, findet Noah Igerl und zeigt beim Gespräch mit der Redaktion auf den leeren Durchgang zur Hauptstraße, wo nur selten ein Fußgänger die Gehwege bevölkert. „Haag ist nicht mehr das Haag von vor gut 30 Jahren, als das Valentino als echtes Zugpferd sein Publikum fand.“
Vorschläge für die Belebung des Ortskerns gemacht
Noah Igerl, der Restaurantfachkraft gelernt hat und „freiwillig“, wie er schmunzelnd berichtet, in das Familienunternehmen eingestiegen ist, versuchte, sich einzubringen in die Belebung des Marktes, der schließlich eine 700-jährige Handelstradition hat. Er machte sich Gedanken, wie die Attraktivität des Ortskerns erhöht werden kann und entwickelte Vorschläge gegen den Leerstand, die er der Gemeinde vorstellte.
Ein Kernpunkt: die Subvention von Gewerbemieten nach klaren kommunalen Richtlinien. Das könne neue Anbieter anlocken, die gerne durchstarten würden, mit Geschäften oder Lokalen, die hohe finanzielle Belastung durch die Pacht in der Anfangszeit jedoch fürchten würden. Eine Unterstützung durch die Kommune sei ein Signal, das aufzeige, niemand werde alleingelassen, wenn er etwas wage. Offensiv könnten auch potenzielle Investoren gesucht werden, findet der Wirt. Er hätte sich auch eingebracht bei der Verbesserung des Marketings der Marktgemeinde und des Einzelhandels sowie Gewerbe. Vor allem in den sozialen Netzwerken müssten die Anbieter präsenter sein, ist er überzeugt.
Derzeit wird in Haag zwar ein Masterplan für eine aktive Ortsmitte mit Unterstützung der Städtebauförderung erstellt, doch Noah Igerl befürchtet, dass die Planung zu sehr in der Theorie haften bleiben und die praktische Umsetzung zu zögerlich sein könnte. Und auch wenn es die Marktgemeinde schaffe, wieder mehr Leben in das Zentrum zu bringen, werde dieser Entwicklungsprozess seine Zeit dauern. Denn er weiß auch, dass es oft nicht einfach ist, Leerstände aktiv zu bekämpfen, weil Hauseigentümer nicht mitziehen, Mieten zu hoch sind oder eine Umnutzung eines Ladens in eine Wohnung der einfachere Weg für Investoren ist.
Der Wirt erkennt auch an, dass die Marktgemeinde oft aufgrund bürokratischer Hemmnisse nicht so schnell reagieren könne, wie sie wolle. Das Bemühen sei vorhanden, doch es gehe zu schleppend voran. Die Familie Igerl könne im Kampf um eine wirtschaftliche Basis für das „V“ nicht länger warten. „Wir sind keine Samariter. Wir müssen die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten, auch als Arbeitgeber, der eine Verantwortung hat gegenüber den Mitarbeitern im ganzen Unternehmen“, erklärt Noah Igerl. Im „Valentino“ sind 25 Mitarbeitende, die meisten auf 520-Euro-Basis, beschäftigt, zwei finden an anderen Standorten eine neue Aufgabe, darunter auch die Auszubildende, berichtet er.
Keine Personalnot
Die in vielen gastronomischen Betrieben zu spürende Personalnot spiele im Familien-Gastro-Betrieb zwar derzeit noch keine negative Rolle. Auch die Mehrwertsteuer, die zum Jahresanfang wieder auf 19 Prozent erhöht worden ist, werde sich vermutlich nicht so negativ auswirken, wie befürchtet, ist der junge Wirt überzeugt. Er gibt auch den Märkten am Ortsende von Haag keine Mitschuld an der fehlenden Frequenz im historischen Kern, wo in seinen Augen der Fokus der Ortsentwicklung zu sehr auf dem Zehentstadel liege. Im Kern würde Noah Igerl nicht einmal Mitbewerber in der Gastronomie als Konkurrenz betrachten. Im Gegenteil: Gut laufende Wirtschaften seien ein Anker, der Gäste anlocke, davon profitiere auch das „Valentino“, habe sich in den vergangenen Jahren gezeigt.
Doch die Zeiten, als Haag eine Hochburg der Gastronomie war, so wie in den 60er Jahren, sind längst vorbei. Der Standort funktioniere nicht mehr so wie früher, bedauern die Igerls. Deshalb investieren sie beispielsweise in den Umbau ihres Restaurants in Garching, setzen auf den Standort in Mühldorf, „wo immer was los ist“, aber nicht mehr auf Haag. Generell sehen sie durchaus eine Zukunft für ihre Branche, trotz schwieriger Rahmenbedingungen. „Gastronomie ist ein Feld, das nie schläft“, sagt Noah Igerl, der im Familienunternehmen unter anderem für das Personalwesen und den Online-Bereich zuständig ist. Er steht sogar selber am Herd, wenn Not am Mann ist, und liebt seinen Beruf: „Er ist sehr abwechslungsreich. Ich kann mich kreativ austoben, organisieren, managen, ausstatten, Konzepte entwickeln, Messen besuchen. Und das Wichtigste: Ich komme jeden Tag mit interessanten Menschen zusammen.“ Die Haager werden ab Mitte/Ende März nicht mehr dazu gehören.
