Exklusiv im OVB
Schneller und besser? Südtirols Landeshauptmann Kompatscher spricht Klartext zum Brenner-Südzulauf
Der Brenner-Basistunnel soll in einigen Jahren fertiggestellt sein und Entlastung beim Alpentransit bringen. Deutschland plant, Österreich baut. Doch wie sieht es mit Italiens Anteil aus? Und was bringt der Tunnel? Das OVB sprach mit Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher. Auch über den Nordzulauf.
Bozen – Wie weit ist der Brenner-Basistunnel? Wird er Entlastung für die Menschen in Bayern, Tirol und Südtirol bringen? Und wie weit ist eigentlich Italien? Im OVB-Exklusivinterview spricht Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher (Südtiroler Volkspartei) Klartext.
Der Verkehr über den Brenner ist ein Wahnsinn. Und viele Menschen hoffen deswegen auf den Brenner-Basistunnel. Wie weit sind Sie damit?
Arno Kompatscher: Vielleicht zuvor ein Satz. Wir sollten nicht falsche Erwartungshaltungen schaffen, indem wir sagen, mit dem Brenner-Basistunnel wird es kaum noch Verkehr auf der Autobahn geben. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Verkehrszuwachs, der statistisch nachweisbar ist. Der Verkehr ist stetig gewachsen, weil auch die Wirtschaft stetig gewachsen ist. Der Brenner-Basistunnel wird den wachsenden Verkehr aufnehmen, aber er wird nicht dazu führen, dass es keinen Güterverkehr mehr auf der Autobahn gibt.
Und trotzdem sind Sie von ihm überzeugt?
Kompatscher: Ja. Ohne Brenner-Basistunnel ist das Chaos programmiert. Der Brenner-Basistunnel ist nicht nur für den Güterverkehr wichtig, auch für den Personenverkehr wird er enorme Bedeutung haben. Denn so wird Innsbruck quasi ein Südtiroler Bahnhof, München ist für uns rasch erreichbar, Europa wird wirklich zusammenwachsen. Die Eisenbahn wird im Personentransport wettbewerbsfähig werden, was sie heute nicht ist. Also, der Brenner-Basistunnel ist außerhalb des ursprünglichen Zeitplanes, das muss man eingestehen. Er soll 2032 im Testbetrieb sein und 2033 hoffentlich in Betrieb gehen können. Das ist die heutige Prognose.
„Brauchen die Zulaufstrecke im Norden“
Wie weit sind Sie beim Zulauf?
Kompatscher: Hier bei uns in Südtirol hat der Bau des wichtigsten Abschnitts der Zulaufstrecke begonnen. Das ist Waidbruck-Franzensfeste, der Abschnitt, der die Funktionalität des Brenner-Basistunnels überhaupt gewährleistet. Mit Sicherheit sind wir damit bis zur Eröffnung des Brenner-Basistunnels fertig. Die Umfahrung Bozen ist in Planung, die Umfahrung Trient bereits finanziert und in Richtung Ausschreibung unterwegs, die Umfahrung Unterland ist noch in der Vorplanungsphase. Der Brenner-Basistunnel wird trotzdem funktionieren, denn die Aufnahmekapazität der bestehenden Schiene über Land ist vorerst noch da. Also, im Süden bewegt sich sehr viel. Was wir brauchen, ist die Zulaufstrecke im Norden, also in Deutschland.
Das wird nicht reichen.
Kompatscher: Ausgebaut werden muss zusätzlich auch die Verlade-Infrastruktur, vor allem an den Häfen. Denn das Beste ist der Lkw, den es gar nicht geben muss, weil der Container direkt vom Schiff auf den Zug geladen wird. Das rechnet sich auch ökonomisch. Und alles, was ökonomisch funktioniert, ist in einem marktwirtschaftlichen System leichter durchsetzbar. Auch in Verona und in Trient braucht es noch den Ausbau der Infrastruktur zum Verladen. Da sind wir dran.
Was heißt dran?
Kompatscher: Das heißt, dass wir für die Neuerteilung der Konzession für die Brenner-Autobahn ein Angebot gemacht haben: Wenn wir die Konzession bekommen, finanzieren wir den Bau des Verladebahnhofs mit. Es gibt das Grundstück, es gibt im Prinzip die planerischen Voraussetzungen. Jetzt braucht es noch das gemeinsame Agieren aller Akteure. Auch mit den Betreibern des jetzigen Verladebahnhofs.
„In allen Abschnitten an der Planung“
Sie vermelden Fortschritte bei einem Projekt, dessen Ernst in Bayern immer noch viele Menschen bezweifeln. Es heißt, Italien wolle den Südzulauf nur an gewissen Abschnitten vierspurig bauen.
Kompatscher: Das stimmt nicht. Ich weiß auch nicht, woher das kommt. RFI (Rete Ferrovie Italiane, die Infrastrukturgesellschaft der italienischen Bahn, Anm. der Red.) ist in allen Abschnitten an der Planung. Es fehlen in einigen Abschnitten noch Grundvoraussetzungen, wie auch die Baulandplan-Eintragung der Trasse. Das betrifft aber Abschnitte weiter südlich. Und das heißt nicht, dass der Brenner-Basistunnel nicht inzwischen seine Funktion aufnehmen kann. Noch nicht mit vollem Volumen, ja. Aber das ist kein Argument dafür zu sagen, dass eine Zulaufstrecke in Deutschland keinen Sinn hat. Es wird ja auch in Deutschland nicht von vornherein die Strecke bis Nürnberg oder Frankfurt fertig sein.
An der einen Stelle wird schon gebaut, an der anderen haben die Planungen noch nicht begonnen. Ist das so uneinheitlich, weil in Italien abschnittsweise geplant wird?
Kompatscher: Ja, in Italien kann abschnittsweise geplant werden. Fakt ist, dass man hier starkes Interesse an einem funktionierenden Güterverkehr hat. Italien hängt am Brenner wie an einer Nabelschnur am Rest Europas. In Italien ist man sich bewusst, dass die Brenner-Autobahn eine begrenzte Aufnahmekapazität hat. Die ist mittlerweile erschöpft. Selbst wenn wir keine Baustellentage haben, gleicht die rechte Fahrspur einem Lkw-Parkplatz. Es gibt keine Alternative zur Bahn. Es wird auch keine Erweiterung der Autobahn geben.
Sicher? Südzulauf-Gegner behaupten etwas anderes.
Kompatscher: Es gibt keinen Plan, die Autobahn dreispurig zu bauen. Die autonome Provinz Bozen-Südtirol würde das nicht zulassen.
„Kritik, weil wir nicht schnell genug vorankommen“
Und wie groß ist die Akzeptanz zu Brenner-Basistunnel und Zulauf?
Kompatscher: Das wird Sie etwas überraschen: Die Bevölkerung fordert den raschen Ausbau.
Da überraschen Sie mich wirklich.
Kompatscher: Fragen Sie alle Bürgermeister. Gehen Sie in die Bürgerversammlungen. Die Bevölkerung kritisiert uns für eines. Und zwar, dass wir zu langsam sind. Denn die Bevölkerung erwartet sich von diesem Bahnausbau Entlastung. Was haben wir heute? Alte Güterzüge, klappernde, laute Züge, die nachts durch die Ortschaften rollen. Die Bevölkerung kann es kaum erwarten, dass dieser Ausbau stattfindet, denn – bei uns kommt die Bahn in den Berg.
Hört sich fast zu schön an.
Kompatscher: Es gab bei uns viele Beteiligungsprozesse. Widerstände gab es, das muss ich erwähnen. Es gab sie im Zusammenhang mit den Baustellen, weil während der Bauzeit die Belastung noch einmal größer wird, wegen des Abtransports von Material, wegen des Verkehrs und so weiter. Dazu gab es kritische Bürgerversammlungen. Das Projekt an sich aber wurde nicht in Frage gestellt.
Auch weil man den Bürgern entgegenkam?
Kompatscher: Man kann viel in Tunnel verlaufen lassen, aber man braucht immer wieder offene Abschnitte. Aus technischen Gründen, wenigstens einige hundert Meter, um im Katastrophenfall helfen zu können. Die Leute in betroffenen Gebieten waren natürlich dagegen. Also hat man erklärt, warum man diese Abschnitte braucht. Und man hat sie dorthin gelegt, wo man die wenigsten Anwohner hat. Das war eigentlich die Hauptdiskussion.
Und die Diskussionen haben sich darauf beschränkt?
Kompatscher: Bei uns ist die Frage wirklich: Wann kommt das endlich? Gleichzeitig gibt es die Forderung nach einer höheren Autobahn-Maut. Wir wollen ja, dass Güter auf die Schiene verladen werden. Und es sind enorme Investitionen für die Autobahnen vorgesehen, für Digitalisierung, Parkplätze, Raststätten, Einhausungen und so weiter. Neun Milliarden Euro. Also so viel, wie der Basistunnel ursprünglich hätte kosten sollen. Das wird finanziert durch die Maut. Sobald der Staat das Angebot annimmt, wird die Maut steigen.
Lkw in Südtirol: Bald kommen strenge Kontrollen
Klingt sinnvoll, wenn Sie damit auch noch Verladeterminals finanzieren wollen.
Kompatscher: Genau, wir finanzieren das für 50 Jahre quer, um die Schiene endlich wettbewerbsfähig zu gestalten. Es fehlt doch an Kostenwahrheit: Die Maut ist so niedrig, weil sie die externen Kosten nicht mitrechnet. Deshalb ist es günstig, mit dem Lkw zu fahren. Wir sind viel günstiger als die Schweiz, und deshalb haben wir zusätzlich Umwegverkehr.
Auch wegen der strengen Kontrollen in der Schweiz.
Kompatscher: Das ist das nächste Thema. Wir bauen aber gerade in Sterzing eine Lkw-Kontrollstelle. Denn wir haben es satt, immer wieder Lkw hier zu haben, die nicht fahrtüchtig sind. Das ist ein Sicherheitsproblem, es ist aber auch unlauterer Wettbewerb. Das ändert sich jetzt rasch, die Kontrollstelle wird 2025 in Betrieb gehen. Und dann wird es sich nicht mehr lohnen, nur deshalb nicht durch die Schweiz zu fahren, weil da kontrolliert wird.
Hat Italien überhaupt Geld für das alles?
Kompatscher: Das Hauptargument dagegen war immer, der Brenner-Basistunnel kommt eh nicht, das wird nie finanziert. Diese Einwände gibt es nicht mehr. Denn inzwischen ist nicht nur der Brenner-Basistunnel finanziert und die Zulaufstrecke im Abschnitt Waidbruck-Franzensfeste im Bau. Was aus rechtlichen Gründen bedeutet, dass sie zur Gänze ausfinanziert sein muss. Auch die Umfahrung Trient, die Umfahrung Rovereto und Abschnitte von Verona sind in Ausschreibung und somit völlig ausfinanziert.
Brenner-Südzulauf: EU finanziert stark mit
Südzulauf und Brenner-Basistunnel sind ja an und für sich nur das Herzstück eines Korridors von europäischer Bedeutung. Wie stark zahlt die EU mit?
Kompatscher: Ursprünglich hatte sie nur geplant, 40 Prozent des Brenner-Basistunnels zu finanzieren. Den Rest tragen zu je 30 Prozent Italien und Österreich. Dieses Finanzierungsmodell hat die Europäische Union jetzt auch auf die Zulaufstrecken ausgedehnt. Ursprünglich war die Rede höchstens von einem Beitrag für die Planungskosten gewesen. Doch nun finanziert die EU mit 40 Prozent auch den Bau. Das dürfte, nehme ich an, auch für Deutschland gelten.
Wie sinnvoll wäre denn der Brenner Basistunnel aus Ihrer Sicht, wenn die Deutschen nun doch nicht bauen?
Kompatscher: Es wird oft vergessen, dass der Basistunnel kein reiner Güterverkehrs-Tunnel ist. Wie lange brauchen wir nach Innsbruck? Zwei Stunden. In Zukunft werden das 40, 50 Minuten sein. München-Mailand ist künftig eine Zugverbindung, mit der Menschen auf das Flugzeug verzichten. Ich fahre oft beruflich mit dem Zug nach Rom. Denn wenn ich die Flughafentransfers und den Aufwand mitrechne, dann setze ich mich doch lieber in den Zug, wo ich arbeiten kann, wo ich telefonieren kann. Wenn es aber in Deutschland keinen Zulauf gibt, dann heißt das, dass ich dort zu wenig verfügbare Schiene habe, um die Vorteile des Basistunnels voll auszunutzen. Das wäre zum Schaden Deutschlands und der gesamten Europäischen Union. Die Frage ist, ob man das aushalten will oder nicht besser etwas mehr Geld investiert, um die Anwohner besser zu schützen und möglicherweise noch größere Streckenabschnitte unter die Erde zu verlegen.
Mehr Tunnel? Die Diskussion haben wir tatsächlich gerade.
Kompatscher: Wir haben das von Anfang propagiert. Man hat uns für verrückt gehalten, weil das eigentlich nicht finanzierbar sei. Doch siehe da, der Staat Italien schafft das. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch diesen letzten Abschnitt in Südtirol, den Unterland-Abschnitt, wie vereinbart im Berg haben werden.
„Man hat uns eher belächelt“
In Deutschland wird dagegen immer noch erbittert gestritten. Warum?
Kompatscher: Ich möchte niemandem zu nahe treten. Aber ich hatte schon den Eindruck, dass man uns eher belächelt hat. Österreich traute man das ja noch zu, aber bei Italien hieß es, das wird doch eh nichts. Man hat sich also nicht ernsthaft damit befasst. Wie man dann gemerkt hat, dass es doch ernst wird, konnte man nicht schnell umschwenken. Weil dann natürlich die Frage gekommen wäre, warum man über all die Jahre nichts dafür getan hat. Es ist dann auch schwer, jemanden von einer Planung zu überzeugen, wenn du zehn, zwanzig Jahre lang gesagt hast, dass das keine gute Idee ist. Das ist die deutsche Geschichte. Zunächst hat man nicht an das Projekt geglaubt, dann hat man es als Last gesehen und die eigenen Vorteile nicht erkannt und sie nie kommuniziert.
Auf der anderen Seite: Hat es bei Ihnen Klagen gegen den Zulauf gegeben? Oder Enteignungen?
Kompatscher: Es gab Kritik und Einwände. Ich war im Jahr 2000 stellvertretender Bürgermeister in Völs am Schlern, die von der Zulaufstrecke.betroffen ist Im Gutachterverfahren zum Basistunnel und den Zulaufstrecken hatte ich eine negative Stellungnahme abgegeben. Nicht, weil wir grundsätzlich dagegen waren, sondern weil es meine Gemeinde mit einer sehr langen Freistrecke getroffen hat. Mit vielen Anwohnern, mit Leuten, die eh belastet sind durch die Züge, die schon jetzt durchrauschen. Wir haben dann gefordert, dass auch dieser Abschnitt in den Berg verlegt werden sollte. Letztlich wurde es so geplant. Also, wenn man an etwas glaubt, kann man Berge versetzen.
Und hat der Staat irgendwo enteignet?
Kompatscher: Vereinzelt, meist für Abschnitte, die im Untergrund verlaufen. Wo enteignet wurde, gab es Entschädigung.
Okay, und Klagen?
Kompatscher: In Italien gibt es zwei große Bahn-Projekte. Es gibt dieses Nord-Süd-Projekt hier bei uns. Und es gibt das Ost-West-Projekt zwischen Lyon und Turin. Bei diesem Projekt, vor allem im Val di Susa, hören die Proteste nicht auf. Es gibt gewalttätige Proteste und sogar Anschläge. Deswegen kam eine parlamentarische Untersuchungskommission zu uns und fragte, was in Südtirol anders läuft.
Brenner-Streit: „Es gab eine massive Bürgerbeteiligung“
Und das wäre?
Kompatscher: Es gab eine massive Bürgerbeteiligung und von Anfang an Informationen. Auch Aufklärung darüber, was man sich von diesem Projekt erhofft. Es gab zu Beginn jede Menge Zweifel daran. Doch letztlich gab es mit großer Mehrheit die Haltung, wenn die Strecke im Berg verläuft, sind wir dabei. Und es ist wichtig, die Vorteile zu betonen. Wir haben in unserem engen Eisack-Tal zuerst sechs Hochspannungslinien gehabt, eine siebte hätte für den Brenner-Basistunnel dazukommen sollen. Wir haben es dann mit Verhandlungen mit dem Netzbetreiber Terna geschafft, dass wir das Basistunnel-Projekt dafür nutzen, das gesamte Netz in Südtirol neu zu bauen und zu strukturieren. Am Ende gibt es mit der Versorgung des Basistunnels noch zwei Freilandleitungen anstelle von sieben. Eine enorme Entlastung. Ganze Wohngebiete werden keine Masten mehr sehen.

