Konflikt, der an den Nerven zehrt
Streit um Wasserburger Nachtruhe: „Ich kann den Leuten nicht den Mund verbieten“
Die einen sehen sich um den Schlaf gebracht – andere finden, wer in der Innenstadt wohnt, muss abendlichen Lärm aushalten. Der Konflikt im Greinhof zwischen Bewohnern und dem Betreiber einer Pizzeria – warum er so typisch ist für das Wasserburger Nachtleben.
Wasserburg – Die Berichterstattung über die Gründe für das „schlappe Wasserburger Nachtleben“, das unter Konflikten zwischen Gastronomie-Betrieben und Altstadt-Bürgern leide, wollen sechs Bewohner des Greinhofes in der Ledererzeile 31a nicht unkommentiert stehen lassen. Sie haben die Redaktion zum Gespräch gebeten. Denn sie leiden nach eigenen Angaben unter Ruhestörungen. So sehr, dass sie fast verzweifeln und ihre Probleme endlich wahrgenommen wissen wollen. Wolfgang (70) aus dem Bewohnerbeirat, Maria (68), Peter (69), Heidi (75), und Markus (74) sowie Christa (74), die anonym bleiben möchten, finden: „Auch wir müssen mal gehört werden.“
Problem raubt den Schlaf
Die Wasserburger leben zum größten Teil seit mehreren Jahren im Greinhof. Hier bietet ein Pflegedienst auch ein betreutes Wohnen an. Die Lage: ideal im Zentrum, alle Infrastruktureinrichtungen – Einkaufsmöglichkeiten, Dienstleistungen, Arztpraxen sowie Busbahnhof – in der Nähe. Alle fühlen sich hier sehr wohl, die Hausgemeinschaft ist gut, sagen sie unisono. Doch es gibt ein Problem, das ihnen im wahrsten Sinne des Wortes den Schlaf raube. Der Lärm aus der benachbarten Pizzeria, nicht nur im Sommer, wenn der kleine Biergarten, der in der Pandemie noch erweitert wurde, im Innenhof geöffnet hat, sondern auch im Winter.
Selbst nach 22 Uhr, wenn die Außengastro schließen muss, kehre hier selten Ruhe ein, ärgern sich die Wasserburger. Zuknallende Türen von Autos, die an- und abfahren würden, schepperndes Geschirr, lautstarke Gespräche in größeren Runden bis tief in die Nacht, „je später, desto lauter“: „Das ist unser Alltag“, seufzt Heidi. „Sehr belastend“ nennt Maria die Situation. „Wir bitten und betteln um die Einhaltung der Nachtruhe, das ist unser Recht, das wir einfach nicht durchsetzen können“, bedauert Peter.
Gespräche, Beschwerden, Schreiben
Die Bewohner haben nach Angaben von Wolfgang schon viel versucht: das Gespräch gesucht, Beschwerdeschreiben aufgesetzt – sie füllen mittlerweile einen dicken Aktenordner – beim Landratsamt und beim Ordnungsamt der Stadt sowie beim Bürgermeister vorgesprochen. „Es ändert sich nichts“, stellen sie fest.
„Ich brauche meine Nachtruhe“, sagt Heidi. Das „Palaver“ vor ihrem Fenster lasse einen erholsamen Schlaf jedoch nicht zu, ein Grund, warum sie ihrer Enkelin, die gerne bei der Oma übernachte, dieses Angebot immer seltener mache, denn auch die Kleine müsse schlafen.
Dabei liege das Problem nicht nur an den Gästen des Italieners, ist Bewohner Markus überzeugt. Wenn die letzte Pizza verspeist und das letzte Glas Wein getrunken worden sei, gehe der Lärm oft weiter: Das Personal räume Stühle zusammen, putze die Tische der Außengastro, be- und entlade. Dabei werde munter miteinander geratscht und viel lautstark telefoniert. „Von Rücksicht keine Spur“, berichten die Sechs. Außerdem würden Wäschecontainer ratternd über das Pflaster gezogen, „auch noch um 2 Uhr nachts“. In ihren Augen fehlt das Feingefühl für die Tatsache, dass im Greinhof Menschen nicht nur zum Essen gehen und miteinander feiern. „Die haben nicht begriffen, dass hier auch Leute wohnen.“
Werden Gäste und Mitarbeiter auf Ruhepflicht hingewiesen?
Das Landratsamt habe in einem Antwortschreiben klargestellt: Der Terrassenbetrieb sei um 22 Uhr zu beenden. Der Pachtvertrag, der den Bewohnern vorliegt, sehe vor, dass die Pizzeria verpflichtet sei, Mitarbeiter und Gäste darauf hinzuweisen, sich ruhig zu verhalten, berichtet Wolfgang. „Wenn wir in unseren Wohnungen jeden Abend Party machen würde, wie schnell wäre da die Polizei da. Aber bei einem Gastronomiebetrieb werden die Augen zugedrückt?“, fragt Heidi.
Geräuschkulisse Sinnbild „italienischen Flairs“?
Die Geräuschkulisse in Greinhof werde generell in der Stadt eher als Ausdruck „italienischen Flairs“ abgetan. „Und wir müssen es ausbaden. Noch mehr: Wir stehen oft als Meckerer und Spaßverderber da, als notorische Polizeirufer“, ärgert sich Peter. Dabei habe das Landratsamt bereits mehrfach betont, die Bewohner sollten sich wehren, indem sie die Beamten herbeirufen würden. Andere aus der Hausgemeinschaft glauben, sie würden nicht ernst genommen, auch weil viele schon älter seien. „Wir fühlen uns missachtet und in die Rolle der Bittsteller gedrängt“, sagen sie.
Die Bewohner legen Wert auf die Feststellung, dass sie selber auch ausgehen. Regelmäßig seien viele von ihnen bei den Wasserburger Stadtfesten dabei. „Fast alle Wirte halten sich an die Regeln“, meinen sie. „Nur wir sind einer Lage ausgeliefert, die unsere Nerven und unsere Gesundheit ruiniert“, monieren die Senioren, viele von ihnen seien nicht mehr gesund und angewiesen auf einen erholsamen Schlaf. „Mir graut jedes Jahr aufs Neue vor dem Sommer, dann ist es besonders schlimm“, sagt Heidi. „So habe ich mir meinen Lebensabend im Alter nicht vorgestellt“, ergänzt Peter.
„Etwas Spaß gehört zum Leben dazu“
„Wir tun alles in unserer Macht Stehende“, sagt der Wirt der Pizzeria, Gianluca Fusaro. Doch er weist darauf hin, dass er seine Gäste abends nicht bis zum Auto begleiten könne, um sie anzuhalten, leise zu sein. Auf diese Notwendigkeit weise er zwar immer wieder hin, doch: „Ich kann doch den Leuten nicht den Mund verbieten“. Es liege in der Natur der Sache, dass sich Gäste vor der Tür verabschieden und noch ein letztes Gespräch führen würden, dass dabei nach einem gemütlichen Abend bei gutem Essen und einem Gläschen Wein die Stimmung aufgelockert sei, gelacht und gescherzt werde. „Etwas Spaß gehört doch zum Leben dazu.“
Auch das Personal unterhalte sich nach Feierabend draußen. „Das ist dann aber Privatsache, ich bin nicht verantwortlich für das, was nach Feierabend geschieht.“ Er ermahne zwar regelmäßig, nicht zu laut zu sein, belehrend werde er aber nicht auf seine Mitarbeiter einwirken. „Ich glaube nicht, dass die Beschäftigten bei anderen Firmen in Wasserburg zum Schichtwechsel alle stumm zu ihren Autos gehen.“
Wobei Fusaro findet: „Wasserburg ist nicht laut, die Altstadt auch nicht. Doch die absolute Ruhe am Abend, das funktioniert nicht in einem Zentrum, in dem die Leute ausgehen.“ Fusaro ist der Meinung, wenn Gaststätten als Störfaktor dargestellt würden, dann könne sich aus einer lebendigen Innenstadt irgendwann eine „Geisterstadt“ entwickeln. „Das will doch auch niemand. Im Gegenteil: Viele finden ja, in Wasserburg sei abends viel zu wenig los und geboten.“
Pizzeria war zuerst da
Der Wirt weist außerdem darauf hin, dass sein Lokal nicht bekannt sei als lauter Betrieb. Der Ärger mit der Nachbarschaft sei erst vor ein bis zwei Jahren losgegangen. Die Pizzeria gebe es 2024 schon 20 Jahre, sie sei also schon vor der Wohnanlage da gewesen. Gerne würde er sich mit eigenen Angeboten an Events wie dem Weinfest beteiligen, werde auch immer wieder gefragt, ob er nicht auch dabei sein wolle. Doch das traue er sich angesichts der Konflikte erst gar nicht. „Das belastet mich alles sehr“, sagt Fusaro. Es sei sehr anstrengend geworden als Wirt am Standort im Greinhof.
Das sagt die Polizei
Wasserburgs Polizeichef Markus Steinmaßl bestätigt, dass die Situation im Greinhof schwierig sei. Zur Kritik der Anwohner, die Beamten kämen nicht immer schnell genug, wenn sie gerufen würden, verweist er auf die Tatsache, dass es oft parallel Einsatzlagen gäbe, die eine höhere Priorität hätten. Eine Lösung des Konflikts sei schwer: „Das ist die Quadratur des Kreises“, bedauert Steinmaßl. Die Bewohner und die Gastronomie hätten berechtigte Interessen, die oft nicht vereinbar seien. In einer Altstadt wie Wasserburg mit historischem Gebäudeensemble werde es diese Probleme jedoch wohl immer geben. Der Polizei bleibe nichts anderes übrig, als zu vermitteln. Zuständig für die Lösungsfindung seien die Stadt und das Landratsamt.
