Unfall-Theorie auf dem Prüfstand
Vorentscheidung im Mord-Prozess um Hanna? Was vom Drohnen-Überflug und Gutachten erwartet wird
Am Donnerstag, 21. Dezember, wird der Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. fortgesetzt. Es geht um die reißende Prien und ihre Wirkung auf einen Körper. Am Freitag, 22. Dezember, sind wichtige Gutachten über den Angeklagten zu erwarten. Auch die Unfall-Theorie steht jetzt auf dem Prüfstand.
Aschau/Traunstein – Ist da womöglich eine Vorentscheidung zu erwarten? Zwei Gutachten stehen am Freitag, 22. Dezember, im Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. auf dem Programm: eine psychiatrische und eine psychologische Beurteilung des Angeklagten Sebastian T. (21). Sie könnten die zweite Jugendkammer des Landgerichts Traunstein unter anderem in der Frage beeinflussen, nach welchem Maßstab Sebastian T. im Falle eines Schuldspruchs verurteilt wird.
Mordprozess Hanna: Nun wird erstmal nachgeholt
Davor aber steht erst mal ein Nachholprogramm an. Mitunter mag zwar eine Verhandlung den Eindruck eines Basars erwecken. Der Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. in Aschau ähnelt dagegen einem Verschiebebahnhof: Immer wieder muss die zweite Jugendkammer ausweichen, Termine zurückstellen und neu ansetzen. Der Grund: Die Justiz ist ausgelastet. Und das beileibe nicht nur durch das Verfahren um die Tragödie von Aschau.
Terminstau am Landgericht Traunstein
Am Dienstagnachtmittag (19. Dezember) wäre beispielsweise ein Überflug auf dem Programm angesetzt gewesen. Ab 14 Uhr wäre demnach im großen Saal des Landgerichts das Video zu sehen gewesen, das vor einigen Wochen auf Drohnenüberflüge spezialisierte Polizeibeamte aus Roth in Mittelfranken aufgenommen haben. Sie flogen Bärbach und Prien bis zum Weiler Kaltenbach ab, wo Hannas Körper am Nachmittag des 3. Oktober 2022 entdeckt worden war.
Weil aber für Dienstagvormittag bereits eine Verhandlung gegen drei Angeklagte anberaumt worden war, deren Verteidiger aber bei einer Fortsetzung am Donnerstag verhindert gewesen wären, disponierte das Gericht um und brachte diesen Prozess erstmal zu Ende. Daher muss im Fall Hanna das Dienstagsprogramm nun am Vormittag des Donnerstag, 21. Dezember, nachgeholt werden: der Prienüberflug.
Auf der Suche nach Hindernissen
Zweck der Übung: Aus den Luftaufnahmen soll man sich ein Bild machen können, auf welche Hindernisse der treibende Körper gestoßen sein könnte. Die Verteidigung hofft auf Argumente – für ihre These, das Hannas Tod durch einen Unfall verursacht wurde.
„Wir wollen sehen, ob da Staustufen, Wehre, Brückenpfeiler oder auch Bäume zu sehen sind, die dem Körper solche Verletzungen zugefügt haben können“, sagte Harald Baumgärtl, einer der drei Verteidiger des Angeklagten Sebastian T., dem OVB auf Anfrage.
Gutachter sagen zu Verletzungen im Wasser aus
Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle hatte seine Zweifel an einem solchen Vorgang schon nach den ersten Aussagen der forensischen Gutachter Prof. Elisabeth Mützel und Prof. Jiri Adamec geäußert. Die Kombination der Verletzungen sei durch einen Unfall, durch das Treiben in der Prien allein, nicht zu erklären.
Am Donnerstag, 21. Dezember, könnte noch ein Video zu sehen sein. Möglicherweise wird die Aufnahme der Polizeivernehmung von Verena R. gezeigt. Sie ist seit Schulzeiten mit dem Angeklagten befreundet. Sie hatte der Polizei von einem Gespräch berichtet, dass der Angeklagte am Abend nach Hannas Tod mit ihr geführt haben soll. Sebastian T. soll sie gefragt haben. Ob sie wisse, dass eine junge Frau in Aschau umgebracht worden sei?
Da sich die Nachricht vom gewaltsamen Tod Hannes zu diesem Zeitpunkt nicht herumgesprochen haben konnte, gingen die Ermittler von Täterwissen aus. Am Tag nach der Zeugenvernehmung wurde Sebastian T. festgenommen.
Unfall in der Prien? Das sollen Gutachten klären
Äußern soll sich demnächst auch Prof. Dr. Andreas Malcharek. Er ist Experte für das Verhalten von Wasser in Bewegung. Er kann also womöglich sagen, wie sich die Prien bei Hochwasser verhält und welche Energien sie freisetzt. Andreas Malcharek ist am Donnerstag aber wohl nicht in Traunstein anwesend. Er wird sich den Prien-Überflug von einer CD aus anschauen und später seine Schlüsse mitteilen.
Möglicherweise kommt dann Prof. Syn Schmitt aus Stuttgart zum Einsatz. Der Biomechaniker kann Bewegungsabläufe am Computer simulieren. Sein Gutachten trug entscheidend zum Freispruch von Manfred Genditzki bei, der nach der fälschlichen Verurteilung im Fall des „Badewannen-Mordes“ 13 Jahre lang unschuldig im Gefängnis gesessen war. Die Verteidigerin Genditzkis bei der Wideraufnahme: Regina Rick. Sie verteidigt auch Sebastian T., seit sie von den Eltern des Angeklagten als Wahlverteidigerin neben den Pflichtverteidigern Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank angeheuert wurde.
Gutachten entscheiden möglicherweise über Strafmaß
Zu den Gutachtern, die von Beginn an vorgesehen gewesen waren, gehören dagegen Dr. Rainer Huppert als Experte für Jugendpsychiatrie und die Psychologin Nicole Liwon. Sie sagen am Freitag aus, welchen Eindruck sie von der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten gewonnen haben. Die beiden sind seit Beginn an dabei, Huppert stellte immer wieder Fragen. Ihre Feststellungen dürften im Falle eines Schuldspruchs eine wichtige Rolle spielen. Denn dann geht es darum, ob der im juristischen Sinne als Heranwachsender bezeichnete Sebastian T. nach Jugendstrafrecht verurteilt wird.
Gutachten prägen den Hanna-Prozess
Gutachter werden auch weiter eine wichtige Rolle spielen. So soll ein Digitalforensiker des Landeskriminalamts klären, ob Sebastian T. um den Tatzeitpunkt herum auf seinem Smartphone „Clash of Clans“ gespielt hat. Dieses Spiel könnte – falls die von der Verteidigung errechnete Laufzeit des Joggers Sebastian T. am Morgen des 3. Oktober realistisch sind – nahelegen, dass Sebastian T. Hanna W. nicht angegriffen hat.