Mordprozess in Traunstein
Richterin tröstet Freund von getöteter Hanna - aber warum ging sie allein in die Nacht?
Warum verließ Hanna den „Eiskeller“ allein? Und wann verbreitete sich die Nachricht von ihrem Tod? Im Prozess um die Tragödie von Aschau versucht das Gericht, mit Hilfe von Umfeldzeugen den fatalen Abend zu rekonstruieren.
Aschau/Traunstein – Philipp S. leidet heute, 13 Monate nach der Tragödie von Aschau, noch immer unter dem, was Hanna W. in der Nacht auf den 3. Oktober widerfuhr. Er wohnt in dem Anwesen neben Hannas Elternhaus in Aschau. Er feierte mit ihr und weiteren Freunden im Club „Eiskeller“. Und ausgemacht war, dass er Hanna nach Hause begleiten würde. Doch es kam anders. Hanna verließ den Club alleine und starb. Und Philipp S. ringt immer noch damit.
Tragödie um Hanna: Zeuge kämpft mit Tränen
„Den Umständen entsprechend“, antwortete Philipp S. mit brüchiger Stimme auf Richterin Aßbichlers Frage, wie es ihm gehe. „Am Anfang denkt man sich, wenn man im ,Eiskeller nicht noch mal runtergegangen wäre, wenn man nicht so viel getrunken hätte, wenn ich nicht so lange gebraucht hätte...“, sagte er mit Tränen in der Stimme. „Wenn ich mit nach Hause gegangen wäre, ob es dann nicht anders ausgegangen wäre“, das frage er sich.
Der 22-Jährige kämpfte so stark mit sich, dass Richterin Jacqueline Aßbichler ihn mitfühlend, mit leiser Stimme, tröstete. Hanna habe sich selbst zum Gehen entschieden, sagte Aßbichler. „Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen.“ Philipp S. hatte den Club „Eiskeller“ am frühen Morgen des 3. Oktober zusammen mit Hanna verlassen, war dann aber kurz in den Club zurückgekehrt, um nach seiner Schwester und seiner Freundin zu schauen.
Der Nachbar wollte nur noch nach Schwester und Freundin sehen
„Wir sind gemeinsam rausgegangen. Ich bin noch mal runter, weil die Freundin und die Schwester noch da waren“, berichtete der Student vor dem Landgericht in Traunstein. „An der Treppe habe ich sie dann getroffen, die wollten aber beide bleiben.“ Seiner Freundin habe er den Haustürschlüssel gegeben. „Dann bin ich wieder hoch. Da war die Hanna – schon weg.“
Die junge Frau hatte da nur noch Sekunden zu leben. Wohl um 2:32 Uhr, darauf lassen offenbar Handydaten schließen, traf Hanna auf ihren Mörder. Es ist, davon ist Staatsanwalt Wolfgang Fiedler überzeugt, Sebastian T. (21), ebenfalls aus Aschau. Was sich genau ereignete, bevor der Täter Hanna offensichtlich ins Wasser des Bärbachs warf, aus welchem Motiv er sie angriff: Das wird zu klären sein.
Eine Verkettung unglücklicher Umstände
Philipp S. und Hanna hatten den Club am Abend des 2. Oktober aufgesucht, in Gesellschaft einiger Freunde und Bekannter. Offenbar hatte die Clique ausgiebig vorgeglüht. „Wir waren alle gut angetrunken, aber auch gut drauf“, sagte Philipp S. Hanna habe jedoch keine Ausfallerscheinungen gezeigt, da waren sich die Zeugen einig. Ein halbes Dutzend Zeugen – aus dem Umfeld Hannas an jenem Abend im „Eiskeller“ befragte das Gericht danach, wie alkoholisiert die junge Aschauerin gewesen sei. Wohl um zu ermessen, ob Hanna einem Angreifer überhaupt Widerstand entgegensetzen konnte.
Dass Hanna überhaupt noch in Aschau weilte, dass sie an jenem Tag im „Eiskeller“ feierte, dass sie allein nach Hause ging: Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Unter normalen Umständen wäre sie schon auf dem Rückweg nach Cluji in Rumänien gewesen, wo sie Medizin studierte. Ihren Aufenthalt in ihrem Heimatort hatte sie wegen eines Brauchs verlängert: Hanna war zu einem Hungerbaumfest tags darauf eingeladen.
Es war auch nicht unbedingt ausgemacht, dass sie den Abend außer Haus verbringen würde. „Sie war nicht so motiviert, zum ,Eiskeller‘ zu gehen“, sagte Philipp S. „Auch weil es so stark geregnet hat.“ Warum sie allein losging, wird wohl nicht mehr geklärt werden können. Philipp S. jedenfalls versuchte nochmals, sie per WhatsApp zu erreichen, um 2:27 Uhr, als sie gerade aus dem Bereich der Überwachungskamera gegangen war. Doch offenbar erreichte sie die Nachricht nicht mehr. Womöglich, weil sie das Datenvolumen ihres Vertrags bereits ausgeschöpft hatte.
Entscheidend: Wann wurde die Gewalttat bekannt?
So nahm das Verhängnis seinen Lauf. Die Kunde dessen, was sich in den frühen Morgenstunden zugetragen hatte, verbreitete sich am Abend in Aschau. Auch in Hannas Freundeskreis. So berichtete Philipp S. vom Screenshot eines Chatverlaufs. Ein Freund hatte ihm den per WhatsApp geschickt. Demnach informierte um 22:43 Uhr ein Feuerwehrler seine Chatgruppe, „dass anscheinend was Schlimmes passiert“ sei. Wenig später wurde klar, dass es sich bei der Toten aus der Prien um Hanna W. handelte.
Konnten Nachrichten von der Gewalttat und der Bergung Hannas aus der Prien in Kaltenbach auch zu Sebastian T. durchgedrungen sein? Eine Freundin des Angeklagten, Verena R., hatte ausgesagt, dass Sebastian T. z sie bereits am 3. Oktober auf den Mord an einer jungen Frau angesprochen habe. Und das wohl am frühen Abend, als die Polizei noch nicht bekannt gegeben hatte, dass sich ein Gewaltverbrechen ereignet hatte.
Verfügte Sebastian T. über Täterwissen? Oder gab er wieder, was ohnehin schon im Ort erzählt wurde? Die Antwort auf diese Frage wird den Prozess entscheidend beeinflussen. Für Strafverteidiger Harald Baumgärtl ist klar, dass früh geredet worden sein muss. Man wisse von Zeugen, dass „am späten Nachmittag schon ein nicht unerhebliches Polizeiaufgebot und Aufgebot der Wasserwacht um den ,Eiskeller‘ herum war“.
Warum sagt Sebastian T. nicht, woher er‘s weiß?
Dass früher schon was herumgegangen ist, will auch Nebenklägeranwalt Walter Holderle nicht ausschließen. „Dass das ausgerechnet der Einzelgänger Sebastian T. erfahren hat, oder dessen Familie, das glaube ich eher nicht.“ Die Frage sei doch, warum Sebastian T. nicht auspacke, wenn er über normale Kanäle von dem Verbrechen gehört habe. Als Einzelgänger, zu dem kaum jemand Kontakt gehabt habe und den kaum jemand kenne, hatten die Zeugen den Angeklagten einhellig geschildert.
Weiterhin geprüft wird die Aussage eines Mithäftlings von Sebastian T. Ihm gegenüber soll der Angeklagte die Tat eingeräumt haben. Nun hat sich ein weiterer Mitgefangener gemeldet. Das Protokoll der Aussage ging unter Ausschluss der Öffentlichkeit zunächst an die Prozessbeteiligten.
Berichtigung
In einer früheren Fassung des Textes war die Rede davon gewesen, dass die Staatsanwaltschaft den Tatort auf dem Parkplatz der Kampenwandbahn verorte. Das war lediglich in einem früheren Stadium der Ermittlungen der Fall gewesen. Tatsächlich hat sich die Gewalttat nach Ansicht der Ermittler wohl zwischen Kampenwandstraße und Bärbach ereignet.