Fall landet vor dem Arbeitsgericht
Fassungslosigkeit in Vogtareuth: Krankenschwestern sollen Hubschrauber-Landeplatz an Klinik übernehmen
Die Vorwürfe wiegen schwer: Um Geld zu sparen, sollen in der Schön Klinik Vogtareuth die Pflegekräfte der Kinderintensivstation die Ankunft des Rettungshubschraubers steuern. Dafür müssen sie ihre eigentliche Arbeit niederlegen. Die Pläne stoßen bei Betriebsrat und Personal auf Widerstand – und werden nun am Arbeitsgericht verhandelt.
Vogtareuth – „Egal, wer diese Geschichte hört, schüttelt nur den Kopf.“ Der Betriebsrat und Klinikmitarbeiter, der auf die OVB Heimatzeitungen zugekommen ist und namentlich nicht genannt werden möchte, ist entsetzt. Aber nicht nur er. Das gesamte medizinische Personal der Schön Klinik Vogtareuth sei fassungslos. Bei der „Geschichte“ geht es um eine harte Realität im Klinikalltag: um eine Sparmaßnahme. So soll in dem Krankenhaus künftig das Pflegepersonal von der Kinderintensivstation während ihrer Nachtschicht den Hubschrauber-Landeplatz bedienen.
Diese Entscheidung, die für alle Beteiligten mehr als fragwürdig sei, landet deswegen am Mittwoch (20. Dezember) vor dem Arbeitsgericht in Rosenheim. Die Schön Klinik schweigt zu den Vorwürfen. Zu laufenden Verfahren wolle man sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern, hieß es auf Nachfrage vonseiten eines Kliniksprechers.
Betriebsrat wurde nicht einbezogen
Die Entscheidung sei überraschend während einer Betriebsversammlung verkündet worden – ohne Wissen des Betriebsrates und Chefarztes. „Dass gespart werden muss, das verstehen wir alle. Ich bin auch als Betriebsrat keine Person, die nur gegen den Arbeitgeber schießt. Aber das geht zu weit.“ Wie er berichtet, regt sich auch bei den Pflegenden Widerstand. Sollte die Klinik an ihren Plänen festhalten, hätten bereits einige der Kinderkrankenschwestern von Kündigung gesprochen.
Wie der Betriebsrat berichtet, gibt es den Hubschrauber-Landeplatz seit gut 20 Jahren. Er müsse 24 Stunden betreut werden. Bisher hätte die Klinik dafür drei Rentner auf Minijob-Basis beschäftigt. Um zu sparen, wurden sie nun entlassen. Unter der Woche kümmere sich der Hausmeister um die Hubschraubereinsätze. Ab dem Nachmittag bis zum nächsten Morgen, rund um die Uhr am Wochenende sowie an Feiertagen, wo einst die Rentner beschäftigt waren, sollen das künftig die Pflegenden übernehmen.
Pflegepersonal bangt um Wohl der kranken Kinder
Dafür sollen sie ihre Arbeit auf der Kinderintensivstation niederlegen, sich in ihre Privatkleidung umziehen und über das unbeleuchtete Gelände zum Landeplatz gehen, so der Betriebsrat. Dort muss die Pflegekraft die Flutlichtanlage betätigen, außerdem ist sie für die Sperrung des Verkehrs um den Landeplatz zuständig. „Im Brandfall müsste sie sogar den Hubschrauber löschen“, berichtet der langjährige Klinikmitarbeiter entsetzt. Erst nachdem der Hubschrauber wieder wegfliegt und der Logbucheintrag gemacht wurde, kann die Pflegekraft wieder zurück auf die Station und ihrer Arbeit nachgehen: schwer kranke Kinder überwachen und pflegen.
Die größte Angst der Intensiv-Pfleger sei es, dass in der Zwischenzeit eines der beatmeten Kinder kollabiert. Zwar seien sie während der Nachtschicht immer zu Zweit und es könnte Verstärkung von der Nachbarstation gerufen werden. Allerdings handle es sich bei der Vertretung nicht um Intensiv-Personal. Die Frage nach der Haftung: ungeklärt. Auch der Hubschrauber selbst mache ihnen Angst. „Einer Schwester, die den Hubschrauber-Dienst verweigern wollte, wurde mit einer Abmahnung gedroht“, berichtet der Betriebsrat. Gekommen sei es dazu aber nicht. Dennoch: Der Betriebsrat ist sich sicher, dass die Entscheidung nicht rechtens ist.
Entscheidung aus arbeitsrechtlicher Sicht fragwürdig
Dr. Walter Klar ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Rosenheim und bekräftigt den Verdacht: „In diesem Fall liegt eine sogenannte Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG vor, die der Zustimmung des Betriebsrats gem. § 99 Abs. 1 BetrVG bedarf.“ Im Klartext bedeutet dies, dass ohne die Zustimmung des Betriebsrats, diese Entscheidung nicht rechtens ist. Außerdem stelle sich die Frage, ob die Zuweisung gegenüber dem Pflegepersonal der Kinder-Intensivstation im Wege des Weisungsrechts des Arbeitgebers umsetzbar ist. Bedenken ergeben sich laut Klar daraus, dass „die neu zu übernehmenden Tätigkeiten nicht zum üblichen Berufsbild einer Pflegekraft in einer Kinderintensivstation gehören. Deshalb erscheint der Ausspruch einer sogenannten Änderungskündigung, die eines rechtfertigenden Grundes bedarf und einer arbeitsrechtlichen Überprüfung zugänglich ist, als erforderlich“.
Das sieht auch Christian Reischl, Gewerkschaftssekretär bei verdi München für den Fachbereich Gesundheit, Soziale und Kirchen. Außerdem sei die Zuweisung dieser Tätigkeit an Pflegepersonal auch aus finanzieller Sicht fragwürdig. „Pflegekräfte werden für die Tätigkeit am Bett und Patienten aus dem Pflegebudget und somit von den Krankenkassen bezahlt“, sagt Reischl. Da es sich bei der Arbeit am Hubschrauber-Landeplatz aber nicht um eine Tätigkeit „am Bett“ und auch nicht in der Stellenbeschreibung einer Pflegekraft handelt, dürfe diese eigentlich nicht über das Pflegebudget abgerechnet werden, meint Reischl. Und auch der Betriebsrat vermutet: „Hier könnte es sich um Sozialbetrug handeln.“ Das müsse aber letztlich das Gericht entscheiden, mahnt der Gewerkschaftssekretär.