Prozess in Traunstein
Wer ist Sebastian T.? Zeuge im Mordfall Hanna packt über den angeklagten „Einzelgänger“ aus
Scheu und introvertiert, so wird Sebastian T. beschrieben. Ein Zeuge im Prozess um den Mord an Hanna aus Aschau schildert den Angeklagten genau.
Aschau/Traunstein – Wer ist Sebastian T.? Der Angeklagte im Mordfall Hanna W. ist auch nach dem zehnten Prozesstag ein Rätsel. Zeugen beschreiben ihn als ruhig und zurückgezogen. Ein Freund der Hauptbelastungszeugin Verena R. bezeichnete ihn am Freitag (10. November) als von „Grund auf netten Kerl“. Andere wissen aber auch von Ausrastern zu berichten.
Doch insgesamt ist wenig bekannt. Das Gericht unter dem Vorsitz von Jacqueline Aßbichler gibt sich Mühe. Aßbichler will dem Angeklagten immer wieder verständlich machen, dass Reden im großen Saal des Landgerichts Traunstein Gold sein könnte. Weil er mit einer Einlassung seiner besten Freundin R. den Stress einer erneuten Vernehmung und der Familie von Hanna das Leid eines Endlosprozesses ersparen könnte. Und weil es darum geht, im Falle einer Verurteilung auch die Persönlichkeit des Angeklagten zu würdigen.
„Wir kennen Sie nicht“, sagte Aßbichler, „wir wollen wissen, wer Sie sind, wir wollen sehen, wie Sie denken.“ Doch Sebastian T. schweigt. Auch seine Familie sagt nichts. „Also bleiben uns nur Dritte“, schloss Aßbichler.
Fall Hanna: Dieser Zeuge aus Aschau hat Gewicht
Und einer wusste am Freitag viel über Sebastian T. zu erzählen. Einer, der ihn nicht nur gut kennt, sondern sogar in wichtigen Jahren seiner Jugend ein Stück begleitete; einer, der T.s Verhalten in der Gruppe beurteilen konnte. Und der als Erzieher für schwer erziehbare Kinder eine Expertise mitbringt: Max S. (29), Erzieher und Aktiver bei der Bergwacht. Er hatte Sebastian T. in der Jugendgruppe, als der 13, 14 Jahre alt war.
T. habe viele Voraussetzungen fürs Ehrenamt in den Bergen mitgebracht. Er sei sportlich gewesen, oft unterwegs in den Bergen, und habe wohl auch schon erste Erfahrungen beim Klettern gesammelt. Für die Ausbildung zum Bergretter sei er dennoch nicht in Frage gekommen. Da komme es auf Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein an, auch auf die Fähigkeit, Gefahren einzuschätzen. „Das haben wir nicht gesehen und nicht gespürt“, sagte Max S. Den Ausbildern und Gruppenleitern sei das Risiko zu hoch gewesen.
Sebastian T.: Ein Außenseiter bei den Bergrettern
Der Zeuge zeichnete des Bild eines Außenseiters. „Für mich war da schnell klar, dass der Sebastian komisch wirkte auf mich und auf andere.“ Ausgegrenzt worden sei er nicht, er sei vielmehr von der Gruppe immer wieder eingebunden worden. Dass er Einzelgänger gewesen sei, lag an ihm.“ Die aktive Gruppe habe versucht, ihn einzubinden.
Max S. sagte auch: „Sebastian hat Freude gehabt beim Mitmachen.“ Zu praktischen Übungen habe man ihn zeitweise gut mitnehmen können. „Dann gab es wieder diesen Augenblick, in dem er aussteigt. Da hat er auf einmal nicht mehr aufgepasst, war nicht mehr konzentriert.“
Innerhalb der Gruppe, „in der sozialen Interaktion“, wie auch zu den Aktiven und Ausbildern „war ein Einzelgänger zu beobachten“. Sebastian T. habe sich immer an den Rand des Geschehens zurückgezogen. „War extrem schwierig, Sebastian in die bestehende Gruppe zu integrieren“, sagte S.
Angeklagter weist „autistische Züge“ auf
Der Angeklagte „wies autistische Züge auf“, will der Zeuge beobachtet haben. Auch wenn der psychiatrische Gutachter Rainer Huppert daraufhin den inflationären Gebrauch der Wendung kritisierte, wusste der Bergwachtler seine Beobachtungen doch detailreich und genau zu schildern.
T. habe in seiner eigenen Welt gelebt. Er habe sich aber nicht nur passiv verhalten, er konnte auch richtig aufdrehen, „war dann fast schon hyperaktiv“, wie der 29-jährige Zeuge sagte. Er erwähnte eine Begebenheit, bei der Sebastian T. der Truppe ferngeblieben sei. „Und dann hat er sich in den Schnee geschmissen. Wir haben ihn nur schwer motivieren können, wieder Teil der Truppe zu sein.“
Mit Empathie hatte der Angeklagte Schwierigkeiten
Richterin Aßbichler fragte, ob der Angeklagte Empathie gezeigt habe. „Da hatte er Schwierigkeiten“, sagte der Zeuge. Auch in anderer Hinsicht habe er sich oftmals abgekoppelt. Deswegen habe es auch beim Gefühl für Gefahren gemangelt. „Er ließ sich ablenken“, sagte der Bergretter. „Da geht‘s drum, dass ich jemanden am Seil habe, und der kann abstürzen. Und in solchen Situationen war er nicht bei der Sache.“
Immer wieder war an den vorangegangenen Prozesstagen zu hören, dass Sebastian T. unter Zurückweisungen stark gelitten habe. Er sei aber nicht aggressiv aufgetreten oder frech, auch wenn er Probleme gehabt habe, „sich wieder runterzuregulieren“, wie Max S. berichtete. Dann aber habe er sich schnell wieder in seine Welt zurückgezogen, sei in kindliche Sprache, Spielverhalten und Verhaltensweisen zurückgefallen, „er hat sich einfach irgendwo hingesetzt und gebockt. Nicht wie ein 13-, 14-jähriger, sondern wie ein Grundschulkind.“
Sebastian T.: Zurückhaltend und einfach gestrickt
Auf die Frage, ob Intelligenz und Auffassungsaufgabe des Angeklagten reduziert seien, antwortete der Zeuge klar mit „ja“. Seine Beobachtungen scheinen gut zu dem zu passen, was T.s Hausärztin Dr. Heike K. (51), von der Verschwiegenheitspflicht entbunden, sagte. T. sei „ruhig, zurückhaltend, einfach gestrickt“ und „nicht besonders aufgeweckt. Er sei eher scheu, aber nicht unfreundlich. Es sei, da wiederholte die Ärztin die Erfahrung des Gerichts, „schwierig, ein Gespräch mit ihm zu führen“.
Im Prozess geht es am Donnerstag, 16. November, mit den Aussagen über die Geodaten der Handys von Hanna, Sebastian T. und Zeugen weiter. „Das wird extrem kompliziert“, warnte Jacqueline Aßbichler, „bitte Konzentration mitbringen“. Am Freitag sollen dann Untersuchungshäftlinge aussagen, die in der JVA Traunstein Kontakt mit Sebastian T. gehabt haben. Ein Überraschungszeuge, Knast-Kamerad von Sebastian T. in der Untersuchungshaft, hatte kürzlich ausgesagt, dass Sebastian T. ihm gegenüber die Tat eingeräumt habe. Allerdings fragt sich nicht nur die Verteidigung, warum der U-Häftling mit der Mitteilung zehn Monate lang wartete.
Davor, am Mittwoch, wollen die Verteidiger Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank bei einem Besuch in der JVA klären, ob ihr Mandant nicht zu einer Einlassung bereit sei.