Prozess im Mordfall Hanna aus Aschau
„Schlecht beackertes Feld“: Anwalt im Hanna-Mordprozess sagt, wo jetzt noch die meiste Arbeit liegt
Die ersten Gutachter im Hanna-Mordprozess haben gesprochen – und im Saal des Landgerichts Traunstein viele ratlos zurückgelassen. Walter Holderle, Anwalt von Hannas Eltern, ordnet im OVB-Interview die Aussagen ein und sagt, wo im Prozess jetzt noch die meiste Arbeit liegt.
Aschau/Traunstein – Die Gerichtsmediziner im Mordfall Hanna haben gesprochen – und im Saal des Landgerichts Traunstein den einen oder anderen Beobachter ratlos zurückgelassen. Was deutet nun auf die Schuld von Sebastian T. hin, was auf die Unschuld? Walter Holderle, Anwalt von Hannas Eltern, ordnet gegenüber dem OVB exklusiv die Aussagen der Gutachter ein. Und er sagt, wo konkret noch Arbeit zu tun ist.
Wir haben am Donnerstag, 23. November, Gutachter erlebt, die sich doch weit von konkreten Ansagen entfernt hielten. Wie beurteilen Sie nun den Stand des Verfahrens?
Walter Holderle: Ja, der Zuschauer eines Strafprozesses erwartet von den rechtsmedizinischen Sachverständigen grundsätzlich die Aussage, wie ist das Opfer konkret ums Leben gekommen. Da die Sachverständigen den verfahrensgegenständlichen Vorfall aber nicht selbst miterlebt haben, können sie wissenschaftlich fundiert nur das wiedergeben, was sie selbst feststellen konnten. Dies bedeutet, die Rechtsmediziner können dem Gericht mitteilen, welche Verletzungen hatte das Opfer, welche dieser Verletzungen führte zum Tod und wie könnten diese Verletzungen möglicherweise entstanden sein.
Können Sie das genauer erklären?
Holderle: Die Sachverständigen haben vorliegend zu klären, ob der Tod von Hanna möglicherweise ein Unfall war oder ob Hanna einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Da Hannas Leichnam über mehrere Kilometer im Wasser getrieben war, ist zudem zu klären, welche Verletzungen bereits beim Einbringen ins Wasser vorhanden waren und welche auch postmortal entstanden sein könnten. Die Verteidigung hatte ja durch Fragen an die Sachverständigen versucht, die Theorie eines möglichen Unfallgeschehens zu konstruieren. Auf Fragen des Staatsanwalts erklärte die Rechtsmedizinerin jedoch klar, dass sich die Frakturen der beiden Schulterdächer im Zusammenhang mit den starken Einblutungen im Wirbelsäulenbereich mit einem Unfallgeschehen nicht in Einklang bringen ließen.
Wobei die Gutachterin in den Schulterfrakturen nicht unbedingt Anzeichen eines Kampfgeschehens sehen wollte.
Holderle: Die Sachverständige hat hier mitgeteilt, dass sich an der Leiche von Hanna keine typischen Spuren eines Kampfes befanden. Ein Gewaltverbrechen setzt natürlich nicht zwingend voraus, dass vor dem Verbrechen ein Kampf zwischen Täter und Opfer stattgefunden hat. Fakt ist, dass die rechtsmedizinische Sachverständige eine Vielzahl von massiven Verletzungen am Körper von Hanna festgestellt hat. Als maßgeblichste sind hier fünf massive Quetsch-Riss-Wunden mit umgebenden Schürfungen und Rötungen im Kopfbereich, der Bruch beider Schulterdächer sowie massive Einblutungen im Bereich der Wirbelsäule zu nennen. Viele der ansonsten festgestellten Verletzungen könnten vielleicht Verletzungen aufgrund des Treibens der Leiche im Wasser darstellen, nicht jedoch die vorgenannten. Allerdings ist insoweit aber auch zu beachten, dass die Sachverständige auf meine diesbezügliche Frage konkret ausgeführt hat: Verletzungen, die als mögliche Wassertriebverletzungen entstanden sein könnten, müssen nicht zwingend vom Treiben im Wasser stammen, sondern können auch schon vorher zugefügt worden sein.
Sie sprachen vom Gesamtbild. Fügen Sie uns die Einzelbeobachtungen mal aus Ihrer Perspektive zusammen?
Holderle: Ausgehend von Erklärungsansätzen der rechtsmedizinischen Sachverständigen gehe ich nach derzeitigem Stand davon aus, dass Hanna zu Boden gebracht und dort fixiert wurde. Dabei muss sie die massiven Verletzungen im Bereich der beiden Schulterdächer und der Wirbelsäule erlitten haben. Die erheblichen Kopfverletzungen, welche nach den Feststellungen der Rechtsmediziner mit demselben Gegenstand herbeigeführt worden sein müssen, lassen sich durch stumpfe Gewalteinwirkung, wie etwa durch einen Stein erklären.
Für sich genommen sind die Sachen vieldeutig. In Zusammenhang gebracht entwickeln sie Wirkung. Meinen Sie das?
Holderle: Ja, genau. Bekanntermaßen ist theoretisch so gut wie alles möglich. Darum versucht die Verteidigung ja auch in der Theorie die Version eines Unfallgeschehens zu konstruieren. Das Gesamtbild der Verletzungen lässt eine solche Version allerdings nicht zu. Ganz zu schweigen davon, dass ein Unfallgeschehen auch in keinster Weise damit in Einklang gebracht werden könnte, dass Hanna unmittelbar vor ihrem Tod noch versucht hatte, ihre Eltern anzurufen.
Nun will die Verteidigung auch die Prien nochmals abfliegen und filmen. Was halten Sie von diesem Wunsch?
Holderle: Nachdem weder das Gericht, noch die Staatsanwaltschaft oder meine Mandanten daran interessiert sind, dass eine unschuldige Person verurteilt wird, ist alles, was der Aufklärung dient, vernünftig.
Frau Rick hat als Wahlverteidigerin von Sebastian T. nun auch Syn Schmitt ins Spiel gebracht, den Professor, der auch im Genditzki-Fall ein Gutachten erstellt hat.
Holderle: Es gibt hier eine an der Universität Stuttgart entwickelte Methode einer computergestützten, biomechanischen Simulation, welche unter bestimmten Voraussetzungen geeignet ist, nachträglich Bewegungsabläufe zu rekonstruieren. Ich würde einer solchen Begutachtung positiv gegenüberstehen. Denn, wie gesagt: Niemand soll unschuldig verurteilt werden. Wie bei dem Drohnenflug muss letztendlich aber das Gericht entscheiden, inwieweit es eine solche zusätzliche Aufklärung, beziehungsweise Begutachtung für erforderlich hält.
Der Aufklärung sollen auch die vielen Verhandlungstage dienen, die noch anstehen. Welcher Tag wird da besonders wichtig werden?
Holderle: Da gibt es noch einige klärungsbedürftige Bereiche. Dies beginnt mit Zeugen beziehungsweise Beweismitteln aus dem Umfeld des Angeklagten, geht über die weitere Vernehmung von Verena R. bis hin zu möglicherweise zusätzlich erforderlichen weiteren Sachverständigengutachten.
Und dann wären da noch die Geodaten.
Holderle: Ja, das ist ein bislang schlecht beackertes Feld. Beim ersten Mal war es komplett unergiebig. Beim zweiten Mal sah es so aus, als ob es ergiebiger werden würde. Aufklärung in geringem Umfang brachten dann lediglich ein paar wenige vorgespielte WhatsApp-Sprachnachrichten. Wirklich aussagekräftige Geodaten haben wir unverändert nicht. Beim heutigen Stand der Technik ist dies eigentlich unerklärlich. Hier brauchen wir konkrete Ergebnisse.
Interview: Michael Weiser