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OVB-Exklusivinterview

„Serientäter Greihansel“: Was Missbrauchs-Betroffene auf Radtour durch Region Rosenheim erfuhren

Helmut Bader aus Maitenbeth (links) und Helmut
Fuchs aus Freilassing (rechts) und Richard
Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats in der
Erzdiözese München-Freising, erinnern vor der Büste von Papst Benedikt XVI. in Unterwössen an die Opfer sexualisierter Gewalt.
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Mahnen und Aufarbeiten: Richard Kick (Mitte) mit Helmut Bader (links) und Helmut Fuchs erinnern in Unterwössen an die Betroffenen von Missbrauch.

Die Diözese München-Freising arbeitet ihren Missbrauchsskandal konsequenter auf als andere Bistümer. Wo Defizite bestehen, warum Rosenheims Skandalpfarrer Greihansel beileibe kein Einzelfall ist und warum Pfarrer stumm bleiben: Darüber sprach Betroffenen-Sprecher Richard Kick mit dem OVB.

Rosenheim Ihre zweite Radtour, diesmal in die Region Rosenheim, haben von Missbrauch Betroffene in der Diözese München-Freising, hinter sich. Richard Kick ist der Sprecher des Betroffenen-Beirats. Wo er noch Defizite sieht. Wie Pfarrer in der Region Rosenheim reagierten. Und warum Kardinal Marx die Betroffenen als „prophetische Stimme“ bezeichnet.

Kardinal Marx hat Sie, die Betroffenen, als prophetische Stimme bezeichnet. Was genau hat er damit gemeint? Ich meine, es geht doch um Vergangenheit.

Richard Kick: Das eine ist die Vergangenheit und ihre Aufarbeitung. Aber gleichzeitig geht es um eine Zukunft. Wir sagen klar, dass es nur gemeinsam weitergehen kann. Es bedarf aller Anstrengungen der Betroffenen, aber auch der Kirche, mit den Pfarrern draußen, die unterschiedlich sprechfähig sind. Und da geben wir die Ideen vor. Wir sprechen von unseren Erfahrungen. Und darauf kann die Kirche, kann Marx, kann die Kirchenleitung reagieren.

Je weiter weg von München, desto weniger sprechfähig seien die Pfarrer. So lautete ein erstes Fazit der Tour durch die Region Rosenheim. Was genau meinen Sie damit?

Kick: Wir stellen fest, dass in einzelnen Gemeinden eine große Scheu herrschte, uns zu begegnen. Die hat so weit geführt, dass niemand da war, als wir ankamen. Wir wussten aber, dass der Pfarrer im Haus ist. Wir haben uns gewundert, vielleicht sogar ein wenig geärgert. Wir hatten aber auch zuvor in einer anderen Gemeinde, zu der wir seit über einem Jahr Kontakt haben und in der schon einiges seitdem passiert ist, festgestellt, dass Pfarrer nicht automatisch mit Betroffenen und dem, was geschehen ist, umgehen können.

Ich erinnere mich an den Pfarrer in Poing, der sich bemüht, eine transparente Haltung zu der Problematik einzunehmen. Der zum Beispiel sagt, die Zahl der Missbrauchsfälle sei höher, als von der Kirche angegeben. War Ihnen das neu?

Kick: Nein, es war definitiv nicht neu. Es hat uns vielmehr darin bestätigt, was wir schon wussten. Wir sprechen das immer wieder gegenüber dem Generalvikar an. Es möge uns doch bitte klare Zahlen nennen. In Poing hat der Pfarrer Stärke und Rückgrat bewiesen. Er sagt, ich weiß doch, mit wie vielen Betroffenen ich gesprochen habe. Und das sind deutlich mehr, als die das Erzbistum angibt. Und ich möchte mir das auch nicht nehmen lassen, das anzusprechen. Das finde ich eine klare, starke Aussage.

Machen Zahlen einen Unterschied?

Kick: Es bringt nichts, nach wie vor so zu tun, als ob es gar nicht so viele Betroffene wären. Vielmehr wäre es endlich an der Zeit, die Zahlen offen und klar zu kommunizieren, auch wenn es den einen oder anderen vielleicht erschreckt, dass es wirklich so viele sind. Aber nur so geht es weiter.

Aber wie erklären Sie sich, dass Kirche und Pfarrer auf so unterschiedliche Zahlen kommen?

Kick: Die Kirche bezeichnet nach wie vor nur die über Monate geprüften Fälle, die dann irgendwann doch als plausibel eingestuft werden und juristisch einwandfrei belegt sind, als Fälle. Das kann ich verstehen. Gleichzeitig sollte man aber schon ansprechen, dass es vermutlich deutlich mehr sind. Anders bezeichnen die Menschen das Vorgehen der Kirche doch eh nur als Salami-Taktik. In der heutigen Zeit wäre es wichtig zu sagen, ja, wir haben so und so viele geprüfte Fälle, aber mutmaßlich noch mehr, weil sich noch weitere Betroffene gemeldet haben.

Vielleicht weiß in der Kirche manchmal die rechte Hand nicht, was die linke Hand tut?

Kick: Es scheint so. Der Generalvikar hat uns auf Orte angesprochen, von denen wir noch gar nichts wussten. Zum Beispiel am westlichen Chiemsee-Ufer. Wenn sich dann zum Beispiel die Rechtsabteilung querstellt, dann macht das den Anschein, als ob der Informationsfluss manchmal stockt. Die Fehler werden in der zweiten, dritten Hierarchieebene gemacht. Der Kardinal ebenso wie der Generalvikar sind so weit, die wissen, dass sie rausgehen müssen, dass sie aufklären, Zahlen nennen und die Dinge beim Namen nennen müssen. Und doch gibt es dann wieder Abteilungen in der Kirche, die blocken.

Wo hat denn die Kirche sonst noch Defizite?

Kick: Die Kirche hat in der Fläche Defizite. Das war ja die wichtige Erfahrung, die wir gemacht haben: Je weiter wir von München entfernt waren, desto schwieriger war für uns die Kommunikation. In der Gegend von Wasserburg wusste keine Pfarrgemeinde von den Missbrauchstaten in der anderen Pfarrgemeinde, die Luftlinie nur neun Kilometer weg war. Woran liegt das? Ist es das Desinteresse oder ist es die Uninformiertheit oder ist es beides? So kostet es Betroffene deutlich mehr Überwindung, sich zu melden. Weil sie als Einzelfälle angesehen werden, und weil niemand die Zusammenhänge kennt.

Ich habe den Eindruck, dass viele Pfarrer selber sehr leiden und mit der Situation schwer zurechtkommen.

Kick: Kardinal Marx hat dieses Unbehagen ja 2021 selbst ausgedrückt, indem er ja seinen Rücktritt bei Papst Franziskus eingereicht hat. Er sagte, die Kirche sei an einem Nullpunkt angelangt. Und ich glaube, vielen Pfarrern draußen in den Gemeinden geht es genauso. Sie kommen mit dem Geschehen der vergangenen Jahrzehnte, diesem systemischen Versagen der Kirche und diesem unglaublich zahlreichen Missbrauch an Kindern nicht zurecht.

Werden sie da alleingelassen?

Kick: Ich glaube, sie haben zu wenig Unterstützung.

„Greihansel ist überall.“ Das sagte Dr. Ulrich Wastl, Partner von Westpfahl Spilker Wastl, die das Missbrauchsgutachten erstellten. Es höre sich für Rosenheimer beunruhigend an. Was meinte Wastl damit genau?“

Kick: Der Fall Greihansel ist deswegen besonders, weil er als bereits verurteilter Missbrauchstäter wieder in Rosenheim eingesetzt wurde und dort weiter zahlreiche Ministranten in der Krankenhauskapelle missbraucht hat. Und er hat, seiner Neigung entsprechend, in seinen Urlauben zum Beispiel in Südtirol weiter Kinder missbraucht. Er ist aber sicher kein Einzelfall. Ich glaube, dass es viele Täter gab. Ich kann nur von meinem Täter sprechen. Er hat bewiesenermaßen in drei unterschiedlichen Pfarrgemeinden, in denen er als Kaplan, später als Pfarrer wirkte, missbraucht. Das waren keine Einzelfälle, das war Serie. Ich würde ihn als Serientäter bezeichnen. Ähnlich wie Greihansel, wenn man da jetzt eine Parallele herstellen wollte. Und so wird es in vielen, vielen Fällen gewesen sein.

Ist das ein Alleinstellungsmerkmal der katholischen Kirche?

Kick: Nein, ganz und gar nicht. Missbrauch findet auch in Familien statt. Und auch in Sportvereinen. Nur die Quote ist anders: Es sind in der Kirche mehr pädophile Täter festzustellen.

Was kann man als Einzelner tun?

Kick: Den Täter anzeigen. Damit nicht andere ihn weiter schützen können. So war es ja in der Kirche. Der Täter fühlt sich geschützt, weil ja niemand was tut. So war es mal. Die Staatsanwaltschaften sind aber heute gut sensibilisiert. Manchen Täter kann man so stoppen.

Was, wenn Betroffene sich nicht aus der Deckung wagen?

Kick: Ich habe mich kürzlich mit einem Dekan unterhalten. Und der sagte: „Wir haben momentan andere Sorgen als den Missbrauch von damals.“ Ich muss ihn seltsam angesehen haben. Jedenfalls sagte er dann, dass in der Kita Kinder seien, von denen man vermuten müsse, dass sie missbraucht werden. Nicht in der Kita. Sondern im Elternhaus. Doch das Jugendamt habe sich trotz mehrfacher Gespräche und Anrufe nicht in Bewegung gesetzt. Da wäre ich wieder bei unserer Aufgabe als prophetische Stimme: Ich sehe den Staat in der Verantwortung. Das Erzbistum München-Freising hat mittlerweile ein sehr gutes Präventionskonzept. Und wenn jemand aus einer kirchlich geführten Kita aufgrund der guten Prävention das Jugendamt anspricht, und das Jugendamt ignoriert das – dann denke ich, ich glaube, ich spinne.

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