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Ein Weggefährte von Pfarrer Greihansel gibt Einblick

Rosenheims Missbrauchspfarrer: Ein Mann mit vielen Gesichtern – „Er war gut im Verbergen“

Das Missbrauchsgutachten um Rudolf Kassian Greihansel.
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Jahrzehnte lang genoss Rudolf Kassian Greihansel in Rosenheim Wertschätzung als Seelsorger. Nun bilden Berichte über seine Taten unter Fall Nummer 26 ein zentrales Stück im Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl.

Pfarrer Rudolf Greihansels Untaten, der Missbrauch von Jungen, sind mittlerweile bekannt. Doch Jahrzehnte lang genoss er in Rosenheim Wertschätzung als Seelsorger. Ein ehemaliger Ministrant kannte Greihansel gut. Seine Erinnerungen machen deutlich, warum der Missbrauchspfarrer so lange unbehelligt blieb.

Rosenheim - Er war ein vorbestrafter Pädophiler. Die Berichte über die Untaten von Rudolf Kassian Greihansel bilden unter Fall Nummer 26 ein zentrales Stück im Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl. Und doch blieb er als Krankenhauspfarrer in Rosenheim 40 Jahre lang unbehelligt. Weil er offenbar in Rosenheim viele Gesichter zeigte - und seine Abgründe geschickt verbarg. Wie geschickt, das lassen die Erinnerungen eines Rosenheimers erahnen, der ihn als Ministrant kennenlernte. Dem OVB erzählte er seine Geschichte, verbunden mit der Bitte, anonym zu bleiben.

Ein Mann mit vielen Gesichtern

Wenn man Rosenheimer seinerzeit gefragt hätte, war Greihansel demnach vieles. Ein Pfarrer mit Unterhaltungswert, ein aufopferungsvoller Seelsorger, der am Bett von Kranken die Nacht durchwachte, wenn es sein musste; ein Bergsteiger, der sogar den Gipfel des Montblanc erreichte, ein Geschichtenerzähler mit Hang zur Selbstdarstellung, ein Geschichtsbesessener auch, ein Sammler. Eigentlich hieß er Rudolf Greihansel, gerne ließ er sich als Pater Kassian anreden.

Oder Kasi: So durften ihn seine Ministranten nennen, ihn, der zu jungen Menschen so einen auffällig guten Draht hatte. Noch nicht einmal das fiel auf, lange Zeit zumindest nicht; erst Anfang der 2000er-Jahre wurden wieder Gerüchte laut.

Rosenheim: Unauffälliges Städtchen für einen auffälligen Priester

„Für die Leute war er kein Monster“, sagt einer, der ihn bereits als Ministrant kennenlernte und mit ihm viele Jahre lang in Kontakt blieb. Einer, den die jüngsten Nachrichten über Greihansels wiederholten Missbrauch von Buben schockierten, aber doch nicht ganz überraschten. Seine Großmutter habe über die Haftstrafe Greihansels Bescheid gewusst; doch das sei Thema bei einigen in der Kirchengemeinde gewesen und über die Jahre wohl mehr und mehr in Vergessenheit geraten. „Er hat begeistert, und er war gut im Verbergen.“

Rudolf Greihansel war 1965 vom Erzbischöflichen Ordinariat nach Rosenheim versetzt worden. Man wollte dem vorbestraften Priester fernab seiner alten Tatorte in München einen Neuanfang ermöglichen. 1930 in Iglau (heute Jihlava, Tschechien) geboren, begann Greihansel in St. Hedwig neu, in einer der Rosenheimer Kirchen, deren Bau wegen der vielen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg notwendig geworden war. „Dort wirkte Pfarrer Haitzmann, der sollte, glaub ich, ein wenig aufpassen auf Greihansel“, sagt der ehemalige Ministrant.

Greihansel konnte junge Menschen an sich binden

Pfarrer Martin Haitzmann war ein anspruchslos lebender, nüchterner Mensch, ein guter, korrekter Priester - so hat ihn der Ex-Ministrant im Gedächtnis. Kurz: für jüngere Menschen ein wenig langweilig. Ganz anders Greihansel. Der habe so gut und anschaulich erzählen können, seine Predigten seien oft witzig und stets kurz gewesen. Greihansels hauptsächliche Wirkungsstätte, die Krankenhauskapelle, sei daher auch bei Abendgottesdiensten gut besucht gewesen.

Doch besonders gut kam Greihansel bei jungen Leuten an. „Ich hab 1972 oder 73 als Ministrant in St. Hedwig angefangen“, sagt der OVB-Gewährsmann. Greihansel wirkte zu diesem Zeitpunkt schon seit vier oder fünf Jahren im neuen Klinikum. Und hatte dort einen Kreis um sich geschart. „Wir waren Hedwig-Normal-Ministranten“, sagt er, „die im Krankenhaus dagegen, die waren so ein elitärer Kreis.“

„Ich war wohl nicht sein Beuteschema“

Er gehörte bald selbst dazu. Und wurde so etwas wie ein Wegbegleiter des kauzigen Klerikers. Dass seine Großmutter ihn vor Greihansel gewarnt hatte, geriet in den Hintergrund. „Da war das Gefühl, der sei von der Haftstrafe so verschreckt worden, dass da nichts mehr passieren könnte.“ Er habe als junger Mensch auch keine schlechten Erfahrungen gesammelt, sagt er, „ich war wohl nicht sein Beuteschema.“ Allgemein sei es mit den Jahren um Greihansel ruhiger geworden. Die Zeit sei eben auch eine andere gewesen - „was nicht sein durfte, konnte nicht sein“.

Aus der Zuarbeit während des Gottesdienstes wurde so etwas wie eine lebenslange Freundschaft. Der End-Fünfziger kann ein faszinierendes Bild eines hoch begabten Selbstdarstellers zeichnen. Er berichtet, wie Greihansel noch in seinen letzten Jahren als vom Krebs schwer gezeichneter Mann beim Italiener in Pfaffenhofen „quasi das ganze Lokal mit seinen Geschichten unterhielt“.

Ein Priester, der sich wie ein hoher Prälat fühlen wollte

Er schüttelt noch heute wie amüsiert den Kopf, wenn er von Greihansels Marotten erzählt. Von seinem Dünkel, Priester zu sein, seinem Beharren, sich im Stift Wilten in Innsbruck unbedingt als Laien-Prämonstratenser aufnehmen zu lassen, „obwohl es so etwas wie einen dritten Stand der Prämonstratenser in St. Wilten überhaupt nicht gibt“.

Die Idee könnte auf Greihansels Heimat Iglau in der heutigen tschechischen Republik zurückgehen. In Strahov habe es zwei Laien-Prämonstratenser gegeben, „zwei Bischöfe oder zumindest hohe Prälaten - und als einen solchen hat er sich auch gesehen.“ Dieses Beharren auf Auszeichnungen und Titel stieß mitunter auf Befremden. „Der Herr im Papageienkostüm“, so wunderte sich einmal ein Seelsorger-Kollege über den eitlen Mann mit der Prinz-Eisenherz-Frisur. „Manchmal war er wie ein großes Kind“, sagt hingegen der langjährige Wegbegleiter.

Ein Sammler und Menschenfänger

Greihansel veranlasste, dass die Krankenhauskapelle in Rosenheim den Hl. Kassian als Patron erhielt. So lässt es sich in einem gut 15 Jahre alten OVB-Artikel lesen. Er selbst ließ sich seit seiner Weihe zum Prämonstratenser Pater Kassian nennen. Woher die Zuneigung zu diesem spätantiken Heiligen stammt, der ob seiner rüden Unterrichtsmethoden von seinen eigenen noch heidnischen Schülern mit Griffeln erdolcht wurde, lässt sich nur vermuten.

Sie könnte von den Wurzeln von Greihansels Familie herrühren. Sie stammt ursprünglich aus Südtirol, dort wird Kassian hoch verehrt. Ausgelöst haben könnte die Marotte aber auch der Umstand, dass Kassian eben die Provinz des römischen Reiches missioniert haben soll, in der sich heute Rosenheim befindet. „Für die römische Geschichte interessierte er sich sehr“, erinnert sich der gewesene Messdiener. Greihansel habe immer wieder die Baugrube in Westerndorf inspiziert, wo die Römer ihre spezielle Tonware hergestellt hatten, die berühmte Terra Sigillata. Gesammelt hat er wohl auch: In einer Festschrift des Vinzentinums in Brixen, eines katholischen Gymnasiums, ist er als Spender einer historischen Münze genannt.

Lamentieren nach dem Ruhestand

Greihansels Karriere als Krankenhausseelsorger neigte sich dem Ende zu, als erneut Gerüchte auftauchten. Greihansel wurde eine „zu intensive Nähebeziehung“ zu den Krankenhaus-Ministranten nachgesagt. Es gibt Berichte über Übergriffe aus den Jahren 1999 bis 2001. Das Ordinariat versetzte ihn schließlich 2003 in den Ruhestand. Sehr zum Verdruss Greihansels. „Er hat dann schon ab und zu gewuiselt, wie man das in Rosenheim nennt“, sagt der Wegbegleiter. Über der Verlust an Wichtigkeit, den Verlust auch an Amtspflichten, die Krankheit, das Gefühl der Einsamkeit. Immer wieder habe sich Greihansel beklagt. Und auch versichert , dass er irgendwann seine „große Generalbeichte“ ablegen wollte. „Hat er natürlich nie gemacht“, sagt der Ex-Ministrant.

2018 starb Greihansel, wenige Tage nach seinem 88. Geburtstag. Die Aufklärung über die Abgründe des Mannes mit den vielen Gesichtern blieb den Juristen von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl überlassen. Ihre Gutachten und der Prüfbericht der Staatsanwaltschaft brachte den Stein ins Rollen. Zu spät für Gerechtigkeit, aber noch rechtzeitig für weitere Nachforschungen: Was hatte Greihansel mit dem Vinzentinum in Brixen zu schaffen, was mit Peru? Der Mann mit den vielen Gesichtern wirft mindestens ebenso viele Fragen auf.

Korrektur

In einer früheren Version war von St. Wilten als zeitweiligem Aufenthaltsort die Rede gewesen, was aber nicht korrekt ist. Gemeint ist aber Stift Wilten in Innsbruck. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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