Pfarrer und Laien aus der Region in Schockstarre
Missbrauchsskandal in Rosenheim: Wie umgehen mit den verstörenden Vorfällen?
Vor zwei Wochen brachte die Staatsanwaltschaft in München die Missetaten des vorbestraften pädophilen Priesters in Rosenheim und die Vertuschungen des Erzbistums ans Licht. Die Bürde macht Gläubigen zu schaffen und die Vorbereitungen aufs Osterfest zum Drahtseilakt.
Rosenheim - Es ist schon wieder kein Osterfest, wie es sich katholische Christen vorstellen, erfüllt allein von der Trauer um den Tod und vom Jubel über die Wiederauferstehung Jesu. Wie schon im vergangenen Jahr mischen sich Entsetzen und Abscheu in die Gedanken auch tiefgläubiger Menschen.
Sprach- und Fassungslosigkeit: So fallen die Reaktionen vor allem in Rosenheim aus, zwei Wochen, nachdem die Missetaten des Rosenheimer Krankenhaus-Seelsorgers Rudolf Greihansel bekannt geworden sind. Details kamen durch die Staatsanwaltschaft München I ans Licht. Die Juristen hatten das vor einem Jahr präsentierte Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zu prüfen. Im Laufe ihrer vertieften Nachforschungen - etwa durch die Befragung von Ministranten Greihansels - nahm sie Übergriffe unter anderem im Fahrstuhl des Klinikums Rosenheims zu Protokoll.
Die Menschen in der Kirche tragen eine schwere Bürde
Priestern und engagierten Laien hört man an, wie schwer sie an der Bürde tragen, die ihnen der Missbrauchstäter in Rosenheim und die Vertuschungsmanöver des Erzbistums aufgeladen haben. „Direkt kann ich dazu leider nichts sagen“, sagt Pfarrvikar Mathias Klein-Heßling von der Stadtteilkirche Rosenheim am Wasen. „Aber man macht sich natürlich seine Gedanken darüber und hofft, dass das so wieder nie geschehen kann.”
Ein Rosenheimer, der in Gottesdiensten Orgel spielt, winkt ab. Da gehe es um seine Gefühle, und die wolle er so nicht mitteilen. Punkt. „Ich denke, dafür sind wir nicht zuständig“, sagt eine Frau von der Jugendstelle. Pastoralreferentin Hannelore Maurer hatte schon bei Bekanntwerden der Missbrauchsnachricht im OVB ihre Betroffenheit geäußert. Und gefordert, dass sich die Kirche reformiert.
Nun aber steht das höchste Fest der Christenheit im Mittelpunkt. „Ich verstehe Ihr Bedürfnis nach Aufklärung“, sagt sie dem OVB. „Aber wir wollen uns in dieser Zeit auf den Tod, die Auferstehung Jesus und auf Ostern konzentrieren.”
„Es herrscht ein Entsetzen über die Fälle“, auch in der Gemeinde, sagt Riederings Kirchenpfleger Heinrich Dhom. „Und es ist schlimm, wie sich die Kirche unglaubwürdig macht. Aber wir feiern Christus, das lassen wir uns nicht nehmen.“
Warum ist das nicht aufgefallen? Diese Frage treibt manch einen um
Wie kann ein Priester über Jahrzehnte seinen abartigen Neigungen frönen? Warum nahm niemand eine Haftstrafe für fortgesetzten Missbrauch zum Anstoß, den Priester so weit wie möglich entfernt von jungen Menschen einzusetzen?
Die Gedanken von Dr. Andreas Dexheimer kreisen um diesen Punkt. „Das macht uns zu schaffen, weil die Frage im Raum steht, was hätte man, was hätten wir tun können?“, sagt der Sprecher der Diakonie Rosenheim. „Was hat gefehlt, damit diese jungen Menschen in Kontakt zu Hilfesystemen kommen? Dass diese Vielzahl von diesen Leistungen, die ja unzweifelhaft vorhanden sind, warum diese nicht genutzt wurden? Warum haben diese nicht geholfen? Warum ist das nicht aufgefallen?”
Auch evangelische Christen spüren die Belastungen die Untaten des Priesers
Im Mittelpunkt des Rosenheimer Skandals steht das Erzbistum München-Freising und ein katholischer Priester. Aber auch auf der evangelischen Seite ist Bestürzung zu spüren. Etwa bei Kirchenpfleger Karl-Heinz Brauner aus Rosenheim. Er räumt ein, dass ihn solche Fälle belasten. „Wie jeder Mensch hadert man bei so etwas auch mal mit Gott, so wie wegen des Ukrainekriegs, wegen Vorfällen im privaten Umfeld oder wegen des Umstands, dass Menschen, die man gestern noch gesehen hat, nicht mehr da sind.“ Doch bleibe für ihn der Glauben ein Anker.
Dr. Bernd Rother, Pfarrer der Erlöserkirche, macht aus widersprüchlichen Gefühlen kein Hehl. „Zu einem Fall, in den ich nicht persönlich involviert bin, möchte ich persönlich nichts sagen“, sagt er. Einerseits. Und andererseits: „Ich werde schon darauf angesprochen von Kirchenmitgliedern. Da ist schon durchaus Gesprächsbedarf da. Das beschäftigt die Menschen.“ Auch ihn. „Jeder Fall von Missbrauch ist ein Fall zu viel, das ist völlig klar.“
Massenaustritte aus den Kirchen
Die Missbrauchsskandale lösten den Austritt von Gläubigen aus den Kirchen nicht aus. Aber sie beschleunigten ihn. „Ehrenamtliche und Pfarrer schauen nach vorne, wir wollen würdig und andächtig Ostern feiern“, sagt Heinrich Dhom. „Wir sind ein eingeschworener Kreis, der sich aber schon deutlich reduziert hat. Die Spenden für Maria Stern gehen zurück.“ Auch wegen der Art, wie sich die Kirche in der furchtbaren Angelegenheit präsentiere.
Die Krise der Kirchen auf Missbrauchsskandale zurückzuführen. liegt nahe, könnte aber zu kurz gegriffen sein, das findet zumindest Pfarrvikar Klein-Heßling. „Es gibt verschiedene Ursachen, warum die Menschen austreten“, sagt er. „Ausgetreten sind sie vorher schon, und auch nachher werden sie wieder aus der Kirche austreten.“
Wirklich? So tief steckt die Kirche in Schwierigkeiten, so schnell sinkt die Zahl der eingetragenen Gläubigen, dass man daran zweifeln kann, dass den Missbrauchsskandalen überhaupt ein „nachher“ folgt.