Mordprozess am Landgericht Traunstein
„Keine Show“: Anwalt Dürr sagt, worauf es bei den Plädoyers im Hanna-Prozess ankommt
Es ist wohl der vorletzte Verhandlungstag vor dem Urteil: Am Freitag (8. März) stehen im Mordprozess um den Tod von Hanna W. in Aschau die Plädoyers an. Anwalt Peter Dürr aus Rosenheim erklärt, was es damit genau auf sich hat. Und ob noch überraschende Wendungen zu erwarten sind.
Aschau im Chiemgau/Traunstein – Was geschah am frühen Morgen des 3. Oktobers 2022 wenige hundert Meter entfernt vom Club „Eiskeller“ in Aschau? Der Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. geht in die letzten Verhandlungstage. Staatsanwalt Wolfgang Fiedler und sowie Nebenkläger-Anwalt Walter Holderle und die Verteidigung mit Regina Rick, Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank werden am Freitag (8. März, ab 9.30 Uhr) in ihren Plädoyers am Landgericht Traunstein ihre Sicht der Dinge darlegen.
Worauf es in diesen Schlussvorträgen ankommt, worauf die Verhandlung hinauslaufen könnte, erklärt der Rosenheimer Rechtsanwalt Peter Dürr, Vorsitzender vom Anwaltverein und Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer München.
Herr Dürr, in amerikanischen Kino-Filmen über Gerichtsdramen ist das Plädoyer so etwas wie der Höhepunkt des Geschehen. Wie ist das in Deutschland?
Peter Dürr: Eine Show ist ein Plädoyer jedenfalls nicht, es ist durchaus gewichtig. Nach Abschluss der Beweisaufnahme sind es die letzten Worte, die dem Gericht in die Beratung mitgegeben werden. Es gibt mehrere Bestandteile. Es gilt, die Beweisaufnahme ins Gedächtnis zu rufen, die hat in diesem Fall im Oktober begonnen. Zeugen, die in der langen Zeit in den Hintergrund getreten sind, werden wieder präsent, weil die Sprecher des Plädoyers einzelne Aussagen wieder darlegen. Jeder der Schlussredner wird die Beweise, also hier vor allem die Ausführungen von Zeugen und Sachverständigen, nochmals würdigen. Und er wird darlegen, von welchem Sachverhalt er letztendlich ausgeht. Das wird divergieren, je nachdem, welche Erkenntnisse man aus den Beweismitteln gezogen hat.
Und Teil zwei?
Dürr: In der zweiten Stufe kommt man zur rechtlichen Würdigung. Wie ist das Ganze einzuordnen? Man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man sagt, dass diese in diesem Fall massiv auseinandergehen wird. Wo die Verteidigung auf einen Freispruch plädieren wird, weil kein Nachweis zu führen ist, wird der Staatsanwalt womöglich ein klares Mordmerkmal erkennen. Oder auf Totschlag plädieren. Die dritte Stufe betrifft dann die Strafzumessung: Welche Strafe ist tat- und schuldangemessen? Welche positiven und negativen Strafzumessungspunkte gibt es. Danach wird das Gericht dem Angeklagten fragen, ob er noch etwas zu seiner Verteidigung vorbringen möchte und ihm das sogenannte letzte Wort erteilen. Er muss aber nichts sagen oder kann sich der Verteidigung anschließen. Ich rechne nicht damit, dass der Angeklagte in diesem Fall etwas sagt.
Welche Rolle wird der Zeuge aus der JVA Traunstein spielen, der Sebastian T. so schwer belastet hat?
Dürr: Dieser Knastzeuge wird in den Plädoyers wahrscheinlich eine wesentliche Rolle spielen. Es geht dann um sein Gewicht als Zeuge, um die Frage, ob er glaubwürdig ist, oder ob er gewisse Gründe hat, so oder so auszusagen. Das sehen Staatsanwalt und Verteidigung vorhersehbar vollkommen unterschiedlich.
Verteidigung und Staatsanwalt stehen sich meistens frontal gegenüber. Welche Rolle spielt der Vertreter der Nebenkläger?
Dürr: Das ist tatsächlich fast so etwas wie eine Mittelposition. Die Marschrichtung bestimmt das Interesse der Nebenkläger, und da gibt es große Unterschiede. Einige wollen die größtmögliche Bestrafung des Täters, andere wollen in erster Linie wissen, was genau passiert ist. Und so wird der Nebenklägervertreter im Rahmen der Beweisaufnahme auch mal Fragen stellen, um bestmögliche Aufklärung zu erreichen. Und wenn der Nebenklage das Urteil missfällt, auch Rechtsmittel einlegen. Nicht was die Zumessung der Strafe betrifft, durchaus aber, was rechtliche Würdigung oder den Schuldspruch angeht. Da könnte auch die Nebenklage Revision einlegen. Was noch eine Rolle spielt: Der Nebenklägeranwalt legt in seinem Schlussvortrag oftmals dar, wie es den Hinterbliebenen geht, wie sie den Prozess erlebt und welche Nebengeräusche sie wahrgenommen haben. Er bringt einen persönlichen Touch in die Verhandlung. Dank des Nebenklagevertreters müssen die Hinterbliebenen auch nicht an jedem Tag persönlich anwesend sein. Sie bleiben über ihn trotzdem informiert.
Hannas Eltern müssen unter den Streitigkeiten und dem rauen Ton der Verhandlung gelitten haben.
Dürr: Es ist schon auch Aufgabe des Nebenklagevertreters, gewisse Scharmützel einzudeutschen. Es passiert strafprozessual sehr viel in so einer Verhandlung. Was bedeutet es, wenn Beweisanträge und Erklärungen abgegeben werden? Der Anwalt muss den Nebenklägern das Mandanteninnenverhältnis eines solchen Prozesses näherbringen und erklären. Vielleicht verkraftet man gewisse Dinge leichter, wenn man informiert ist, was es für Möglichkeiten gibt, wie ein Prozess ausgehen kann, welche Wendungen noch kommen können.
Und Wendungen gab es in diesem Mordprozess einige.
Dürr: Ja. Man hat da als Anwalt eine gewisse Fürsorgepflicht und muss auch sagen, was so ein Verfahren leisten kann. Spulen wir zurück, zum Prozessbeginn im Oktober 2023. Da wusste noch niemand, wo das hingeht. Es gab noch nicht mal den JVA-Zeugen. Man dachte sich, vielleicht ist Sebastian T. ein Verbrechen nachzuweisen, vielleicht endet das Ganze mit einem Freispruch. Dass da einiges unaufgeklärt bleibt, dürfte den Erwartungen der Eltern widersprechen. Aber hundertprozentig aufklären kann ein Strafprozess ohnehin nicht.
Erst recht nicht, wenn der Angeklagte nichts sagt.
Dürr: Genau, da sitzt dann auch noch ein Angeklagter, der über 30 Tage den Mund nicht aufmacht. Zwingen wir ihn dazu? Nein, das möchte unsere Rechtsordnung gerade nicht. Es ist nicht die Aufgabe des Angeklagten, sich zu entlasten. Die Justiz muss letztendlich nachweisen, was ihm vorgeworfen wird. Die Eltern werden tausendmal gedacht haben, tu doch endlich den Mund auf, damit wir wissen, wie es abgelaufen ist. Aber - das Schweigen darf nicht negativ ausgelegt werden. Wenn er den Mund hält, wird was Wahres an der Anschuldigung sein, das darf sich das Gericht nicht sagen. Ein Urteil, darauf basierend, würde in jedem Fall kassiert werden.
Kassiert werden könnte auch dieses Urteil, die Verteidigung hat Anträge in die Richtung angekündigt.
Dürr: Wenn es zu einer Verurteilung kommt, wird seitens der Verteidigung ohne jedweden Zweifel Revision eingelegt werden. Und zwar wahrscheinlich nicht nur wegen des abgelehnten Befangenheitsantrags. Aber: Auch die Darstellung einer Verfahrensrüge ist herausfordernd. Der Bundesgerichtshof schaut nur drei oder vier Dokumente an: Urteil, Protokoll, Revisionsbegründung, die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft. Der BGH hört keine Zeugen an. Alles muss sich aus diesen Schriften ergeben. Wenn die Rüge unzulässig dargestellt ist, ist der Antrag schon aus formalen Gründen durchgefallen. Es kann aber auch sein, dass drei Beteiligte in Revision gehen wollen, Verteidigung, Staatsanwalt und Nebenklage. Das hängt alles vom Ausgang des Verfahrens ab.
Ein Trio verteidigt Sebastian T. Wie schaffen es drei Köpfe, mit einer Stimme zu plädieren?
Dürr: Da gibt es mehrere Varianten. Sicherlich werden sie nicht dreimal das gleiche Plädoyer halten. Man klärt vorher ab, dass jeder einen Teil darlegt: rechtliche Aspekte, die Aussagen von Zeugen, die Vorträge von Sachverständigen. Oder man kann auch sagen, es hält eine oder einer das Plädoyer, und die Mitverteidiger schließen sich an. Es müssen ja nicht alle drei plädieren, da gibt es keinen Zwang. Allerdings: Wenn man sich über 30 Tage in den Gerichtssaal gesetzt hat, dann möchte man auch etwas sagen. Was wiederum den Stil des Vortrags betrifft: Das macht jeder anders. Der eine hält das Plädoyer in freier Rede, weil er erfahren genug ist, der andere formuliert seinen Vortrag vorab wörtlich aus und liest ihn ab.
Haben Sie schon mal erlebt, dass ein Plädoyer eine Wendung herbeigeführt hätte?
Dürr: Ein konkretes Beispiel kann ich nicht nennen. Es gibt auch Kollegen, die sagen, da kannst du reden, was du willst, das Gericht hat seine Entscheidung eh schon gefällt. Das sehe ich nicht so. Sie werden sehen, das Gericht wird sich am Freitag auch während der Schlussvorträge Notizen machen. Man erlebt es dann auch häufig, dass bestimmte Aspekte aus den Plädoyers in der mündlichen Urteilsbegründung aufgegriffen werden. Unabhängig, ob zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten. Es kann schon sein, dass der Blick durch die eine oder andere Schlussfolgerung eines Plädoyers auf neue oder überraschende Umstände gelenkt wird. Es gibt übrigens auch Fälle, bei denen das Gericht nach den Plädoyers sagt, wir müssen nochmals in die Beweisaufnahme einsteigen. Nach über 30 Tagen ist damit aber nicht unbedingt zu rechnen.