Rosenheim als „Sollbruchstelle“
Bestandsstrecke reicht aus? So schmettert Planer Argumente der Brenner-Nordzulauf-Gegner ab
Warum neu bauen, wenn's mit alten Gleisen geht? Das fragen beharrlich die Bürgerinitiativen gegen den Brenner-Nordzulauf. Weil's nicht geht, so lange es den Bahnhof Rosenheim gibt, sagt ein Planer. Und erklärt, warum man Rosenheim mit einem Kreisverkehr auf der Hochtempostrecke vergleichen kann.
Rosenheim – Die Bürgerinitiativen um den Brenner-Dialog lassen nicht locker. Gut eineinhalb Jahre, bevor sich die Unterlagen für die Vorplanung des Brenner-Nordzulaufs auf den Weg in den Bundestag machen, greifen sie unverdrossen die Planungen der Deutschen Bahn an.
„Milliardengrab“ und „Monstrum“: So kritisieren sie das von Trassengegnern auf zwischen sieben und zehn Milliarden Euro kosten geschätzte Vorhaben der Bahn. Genauer: Das Vorhaben der Europäischen Union. Der Bund wiederum hat die Deutsche Bahn mit den Planungsaufgaben beauftragt. Der Brenner-Nordzulauf, der den Brenner-Basistunnel, das Herzstück des Scanmed-Korridors von Skandinavien bis Sizilien, im Norden erschließt, ist ein wichtiges Element der Verkehrswende.
Ehemaliger hochrangiger Bahnmitarbeiter sagt: Der Bestand reicht aus
Diplomingenieur Gerhard Müller, in seinem früheren Leben hoher Bahnbeamter, gehört zu den prominenten Kritikern der Bahnpläne. Er absolviert eine Tournee durch die Orte der Region Rosenheim. Und behauptet mit dem zusätzlichen Gewicht eines früheren Bahn-Insiders: Die Bestandsgleise reichen aus für das, was durch den Brenner-Basistunnel an Mehr-Verkehr entstehen wird.
Den Brenner-Nordzulauf in der Form, in der ihn die Bahn plant, mit zwei neuen Gleisen zusätzlich zu den Bestandsgleisen, brauche es nicht. Die Zahl der Güter- und Personenzüge, die in Zukunft zwischen München und Verona zu erwarten seien, steige nicht so stark, dass sie die Bestandsgleise überlasten würde. Auch weil man einen Teil des zusätzlichen Verkehrs über die Ausbaustrecke Mühldorf führen könne.
Alles durch Rosenheim? „Das wäre wie ein Kreisverkehr auf der Autobahn“
Stimmt so nicht, sagt Armin Franzke aus dem Planungsteam der DB. Und das nicht nur, weil die Ausbaustrecke über Mühldorf Teil der europäischen Verbindung zwischen Paris und Budapest werden soll. Selbst, wenn es die freie Strecke hergeben würde, blieben Nadelöhre – die Bahnhöfe. „Allen voran Rosenheim“, sagt Franzke, der in der Teilprojektleitung Bahnbetrieb und im Projektmanagement Bahnbetrieb tätig ist. Alle Züge künftig in diesen Knotenpunkt überregionaler Bedeutung hineinrauschen zu lassen, habe Staus und Unpünktlichkeit zur Folge.
„Das wäre wie ein Kreisverkehr auf der Autobahn“, so schmettert Franzke das Argument ab, 400 Züge täglich könne man auf der Bestandsstrecke fahren lassen. Wie bei einem Kreisverkehr auch käme es bei dichtem Verkehr zu Stauungen. Die Staus werden um so länger, je höher das Tempo ist, mit denen die Verkehrsteilnehmer auf die Bremsstelle zufahren. Oder je komplizierter die Situation am Verkehrsverteiler ist. Autofahrer aus der Region Rosenheim können sich das Phänomen regelmäßig am Panger Kreisverkehr vor Augen führen.
400 Züge? Geht nur, wenn man den Bahnhof weglässt
Für Franzke steht fest, dass der Verkehr der Zukunft zusätzliche Gleise und damit für Güterzüge den weiten Bogen um die Stadt herum braucht. „Viele Leute behaupten, man könne 400 Züge auf der Strecke fahren lassen“, erläutert Franzke. „Aber die Bahnhöfe, in denen ich anhalten oder abzweigen will, die verursachen dann Störungen. Ich kann meine Züge nicht einfach durchfahren lassen, da gibt es Inhomogenitäten.“
Wie diese „Inhomogenitäten“ sich auswirken, davon können sich Bahnreisende schon jetzt regelmäßig zwischen München und Rosenheim überzeugen. Immer wieder kommen Züge zu spät, bleiben auch einfach mal auf offener Strecke stehen. Oft heißt es dann: „Die Strecke vor uns ist belegt.“
Etwa 300 Züge zählt man aktuell zwischen München und Kufstein. Züge, die durch den Bahnhof Rosenheim fahren. Dort zweigen aber auch Gleise nach Mühldorf, nach Salzburg und Holzkirchen ab. Rosenheim ist damit einer der besonders frequentierten Knotenpunkte im Eisenbahnnetz Südbayerns. Und viel mehr geht eben nicht mehr zwischen München und Kufstein.
„Rosenheim ist die Sollbruchstelle“
„Rosenheim ist so etwas wie die Sollbruchstelle“, sagt Franzke. Dort also gerät das Uhrwerk der Bahn ins Stottern. 15 zusätzliche Züge könne man noch auf die Strecke bringen, da wäre dann die Grenze erreicht, sagt Franzke. Zumutungen gibt es jetzt schon. „Zwischen Rosenheim und München wären 280 Züge eigentlich die richtige Menge für optimalen Bereich der Pünktlichkeit. Aber zur Zeit haben wir 20 mehr – somit sind wir nicht mehr im optimalen Bereich“, sagt Franzke. Nicht mehr im optimalen Bereich, das bedeutet: Züge verspäten sich einfach. Auch ganz ohne Zwischenfälle, wie die bei Grafing so häufig vermeldete Störung am Stellwerk. Und ein Zug verspätet sich selten allein.
Die EU: Der Brenner-Nordzulauf muss her
Es gehen die Meinungen auseinander. Was die Prognosen über das steigende Verkehrsaufkommen betrifft, haben die Gegner des Brenner-Nordzulaufs einen anderen Standpunkt. Auch, was die Leistungsfähigkeit der Bestandsteile angeht. Die Planungen für den Brenner-Nordzulauf sind aber, so sehen es im Augenblick viele Experten, allenfalls noch bei der parlamentarischen Befassung zu ändern. Also bei der Prüfung der Planungsunterlagen durch den deutschen Bundestag im Jahre 2025. So sagte Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter. Bei einer BR-Diskussionsveranstaltung im März in Rohrdorf deutete er an, dass er die Bedarfsfrage noch nicht abschließend geklärt sehe. Entschieden werde das aber beim Bund. Keinen Zweifel an der Notwendigkeit ließ der Projektkoordinator der EU, Pat Cox, kürzlich bei einem Besuch in Rosenheim. Der Brennerbasistunnel sei notwendig. Aber ohne den Brenner-Nordzulauf sei er wie ein „Pub ohne Bier“.
Bahnhof ausbauen? Lehnte die Bahn schon mal ab
Und wenn man den Rosenheimer Bahnhof ausbaute, am besten so, dass die Gleise einander nicht mehr kreuzten? Die Bürgerinitiativen gegen den Brenner-Nordzulauf hatten derlei schon vor über drei Jahren vorgeschlagen, auch damals bereits mit einem Argumentationspapier von Vieregg & Rössler als Beleg. Die Antwort der Bahn war auch damals eindeutig: „Abwegig.“