Das BGL im „Rosenheimer Wochenblatt“ 1857/1859
„Ganzer Unterleib von Schuss zerissen“ - Forstgehilfe kann sich nur knapp vor Deserteur retten
Heuer ist 170-jähriges Jubiläum der ersten Ausgaben des „Rosenheimer Wochenblatts“. Anlässlich dessen haben wir einmal nachgesehen, wo das Berchtesgadener Land darin auftaucht. Nun könnte ihr hier zwei Geschichten eines unglückseligen Postlers, der sich in Schulden und vor Gericht brachte sowie eines Forstgehilfen, der seine Begegnung mit einem Deserteur nur knapp überlebte nachlesen.
Berchtesgaden/Rosenheim - „August Einsele, 30 Jahre alt, verheiratet, vormalig königlicher Postexpeditor und Poststallhalter in Berchtesgaden, sitzt auf der Anklagebank, beschuldigt des Verbrechens der Amtsuntreue“, setzt ein auf den 26. Juni datierter Bericht in der Nummer 28 des dritten Jahrgangs des „Rosenheimer Wochenblatts“ vom Sonntag, den 12. Juli 1857 an. Zur besseren Lesbarkeit für ein heutiges Publikum haben wir die Schreibweise angepasst. 1854 habe er seine Ämter erhalten, so der Bericht. „Schon im ersten Quartal verzögerte Einsele die ihm vertragsmäßig obliegende Rechnungsstellung und Ablieferung des Saldo-Restes aus den Postgefällen und war trotz ergangener Mahnungen hierzu auch nicht zu vermögen. Es wurde deshalb unterm 7. März 1855 vom königlichen Oberpost- und Bahnamte München ein Kommissär abgeordnet, welcher unterm 10. desselben Monats mit Einsele die Rechnung herstellte.“
Doch weder habe Einsele dann die Geldsumme geliefert, die er der Abrechnung nach schuldig gewesen sei, noch habe er in der Folge die Rechnungen erstellt. An dieser Stelle sollte man anmerken, dass zu diesem Zeitpunkt die Leitung von Poststellen noch von Privatpersonen erworben werden konnte. Diese mussten allerdings Uniformen tragen und waren dem Staat unterstellt, wie das Haus der Bayerischen Geschichte in einem Artikel dazu erklärt. Der Betrieb einer „Postexpedition“ war mit hohen Kosten verbunden. Beispielsweise musste man diensttaugliche Pferde vorhalten und den Postkutschenbetrieb gewährleisten, wie es das Stadtarchiv Rosenheim am Beispiel von Jakob und Franz Xaver Amann und die Rosenheimer Postexpedition am Ludwigsplatz in Rosenheim erklärt. Gleichzeitig konnte man damit einiges an Geld verdienen.
Das BGL im „Rosenheimer Wochenblatt“ 1857/1859: Unglücklicher Postler vor Gericht und dramatischer Kampf eines Forstgehilfen mit einem Deserteur
Dies gelang aber Einsele nicht und so musste er sich, wie das „Wochenblatt“ schreibt, schließlich vor der Postdirektion verantworten. „An seiner Gesamtschuldigkeit vermochte Einsele nur 100 Gulden zu bezahlen. In Berücksichtigung seines Vorbringens, dass er den Poststall auf einen besseren Stand gebracht, dass er viele Pferde verloren, 2800 Gulden Hypothekschulden zurückbezahlte, ohne hierfür neue Schulden zu machen, und dass er einer Verwandten 2000 Gulden gegeben, um selbe bei gutem Namen zu erhalten, wurde er durch Entschließung der General-Direktion vom 8. Juli 1855 unter der Bedingung wieder in den Dienst eingesetzt, dass er zur Deckung des Defektes monatlich 830 Gulden bezahle.“ Doch die Situation Einseles wurde immer noch heikler: Weder konnte er die Zahlungen bewerkstelligen, noch die Rechnungen ausstellen.
Vor allem aber machte er sich einer ganzen Reihe von Unterschlagungen von Geldsendungen schuldig. Schlussendlich landete also sein Fall vor dem königlichen Kreis- und Stadtgericht in Wasserburg. „Über den Leumund des Angeschuldigten ist durchaus nichts Nachteiliges bekannt“, betont der Bericht. Vor Gericht habe er sein Handeln damit begründet, dass er die Stelle schon viel zu teuer erworben und dann immer wieder unvorhersehbare private finanzielle Verpflichtungen und unerwartete Kosten beim Betrieb der Poststelle dazu gekommen seien. „Einsele wird wegen fortgesetzten Verbrechens der Amtsuntreue teils ersten Grades, teils zweiten Grades, durch Unterschlagung anvertrauter Gelder zur Festungsstrafe dritten Grades auf die Dauer von acht Jahren sowie zur Dienstesentsetzung und in die Kosten verurteilt“, schließt der Bericht im „Wochenblatt“.
Forstgehilfe sollte Ursprung von Schuss herausfinden
Vor 170 Jahren war erstmals eine Ausgabe des „Rosenheimer Wochenblatts“ erschienen. „Der ‚Amtliche Anzeiger für das Königliche Landgericht Rosenheim‘ enthielt vor allem Bekanntmachungen und Termine, unter anderem wurden die Daten für die öffentlichen Sitzungen am Kreis- und Stadtgericht Wasserburg veröffentlicht. Ein Preisvergleich der Schrannen, was das Getreide in der Region und bayernweit kostet, zeigt, dass der Anzeiger vor allem auch Informationen für die landwirtschaftliche Klientel bieten sollte. Neben amtlichen und privaten Anzeigen gibt es bereits ab der zweiten Ausgabe auch einen Fortsetzungsroman“, erläutert Natalie Frank in ihrem Beitrag für „Untold History Marketing“ in der Ausgabe des Oberbayerischen Volksblatts vom 13. Januar dieses Jahres anlässlich des Jubiläums.
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Zwei Jahre nach dem Fall des unglücklichen Postlers ereignete sich dann eine weitere dramatische Geschichte, wie wir in der Nummer 30 des fünften Jahrgangs, erschienen am Sonntag, den 24. Juli 1859 erfahren. Nachdem sie einen Schuss gehört hätten, seien ein Forstwart und sein Gehilfe nahe Hintersee losgezogen, um herauszufinden, was dahinter steckte. Der Gehilfe habe schließlich einen österreichischen Soldaten italienischer Herkunft angetroffen. „Der Forstgehilfe ging auf ihn zu und fragte ihn, ob er so eben geschossen habe, was der Soldat bejaht. Auf die weitere Frage des Gehilfen, ob er nicht wisse, dass im königlichen Revier das Schießen verboten sei, erwiderte jener, das habe er nicht gewusst und nur zu seinem Vergnügen geschossen, um sein neues Gewehr zu probieren, das er erst gefasst habe; er sei Quartiermacher einer größeren österreichischen Truppe, die bald nachkommen werde.“ Man muss an dieser Stelle bedenken, dass im Juni jenes ein Krieg zwischen dem Königreich von Sardinien-Piemont und dem Kaiserreich Österreich um die österreichischen Besitzungen, die Lombardei und Venetien, in Italien ausgefochten wurde.
„Ganzer Unterleib von Schuss zerissen“
„Der Gehilfe, ein gutmütiger junger Mensch von 19 Jahren, nichts Arges ahnend, sagte dann: ‚Nun so gehen wir miteinander bis gen Hirschbichl, wo ich ohnehin meine Leute beschäftigen muss.“ Eine Zeit lang gehen sie auch miteinander, doch bald bleibt der Soldat etwas zurück, unter dem Vorgeben, dass er wegen seiner wunden Füße nicht so schnell marschieren könne. Der Jagdgehilfe lässt sich also auch Zeit und schickt seine zwei Holzknechte voraus.“ Plötzlich habe ihn der Soldat mit seinem Gewehrkolben einen Schlag auf den Kopf verpasst. „Jedoch stürzt er nicht zusammen, sondern dreht sich schnell um, um sich zu wehren, hat aber schon den Lauf des Gewehrs auf seiner Brust. Mit beiden Händen sucht er denselben krampfhaft hinunterzudrücken, als es kracht und der ganze Schuss ihm in den Unterleib fährt. Allein trotzdem stürzt er noch nicht, sondern greift nach seinem Stutzen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
„Aber der Soldat fällt ihm in die Arme und so raufen beide, bis es dem erschöpften Jagdgehilfen gelingt, sich in einem günstigen Augenblick loszumachen und hinter ein Gesträuch zu retirieren, von wo aus er unverfolgt, trotz seines entsetzlichen Blutverlusts, auf eine, eine halbe Stunde entfernte Alm eilt.“ Die vorausgegangenen Holzknechte hätten ihm auf den letzten Metern geholfen. In der Hütte sei dann das Ausmaß seiner Verletzungen klar geworden: „Der ganze Unterleib war vom Schuss zerrissen, so dass die Eingeweide hervorbrachen. Auf den Wunsch des Unglücklichen eilte man sogleich nach dem benachbarten Ramsau, um ihm noch die Tröstungen der Religion zu verschaffen. Glücklicherweise war eben der Gerichtsarzt von Berchtesgaden dort, der gleich mit auf die Alm eilte und ihn doch so weit gebracht hat, dass er einige Tage später in das Krankenhaus nach Berchtesgaden transportiert werden konnte. Der Soldat, welcher sich für einen Quartiermacher ausgab, war unzweifelhaft nichts anderes als ein Deserteur.“ (hs)