Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Körperverletzung
Berchtesgadener Hans H. fassungslos: „Hätten wir den Schleuser zum Aussteigen bitten sollen?“
Als Hans H. (61) und sein Sohn Andreas (25) auf ein Schleuser-Fahrzeug auf ihrem Gelände in der Oberau aufmerksam werden, reagiert das Trio geistesgegenwärtig. Sie halten den Kriminellen auf, riskieren dabei ihre eigene Gesundheit und alarmieren die Polizei. Doch jetzt wird auch gegen sie ermittelt. Wir haben uns mit Hans und Andreas getroffen.
Berchtesgaden - Am Morgen des 27. Dezember geht es ziemlich schnell für alle Beteiligten. Hans H. erzählt, dass der Nachbar das Treiben der Schleuser zuerst entdeckt. Ungefähr zwischen 6.30 und 7 Uhr soll er beobachtet haben, wie zwei weiße Transporter auf das Grundstück des Landwirts fahren und bei einem Stall unterhalb des Ferienhofes anhalten. Eines der Fahrzeuge fährt wieder weg und kommt dann nach einigen Minuten wieder. Das Ganze wiederholt sich noch einige Male so. „Wir sind erst gegen 8.30 Uhr herausgekommen, um mit unserer Arbeit zu beginnen“, erinnert sich der 61-jährige Landwirt. Zu diesem Zeitpunkt wissen sie noch gar nichts von den Geschehnissen - bis der Nachbar zu ihnen kommt.
Zunächst habe er berichtet, dass im nahen Wald Menschen herumlaufen würden. Hans H. denkt sich zuerst gar nichts dabei und vermutet eher Wanderer oder Spaziergänger. „Als er zu mir meinte, dass bei uns Schleuser stehen, hab ich zu ihm gesagt: Dann ruf die Polizei!“ Daraufhin geht der Berchtesgadener in Richtung des Stalls, um sich selbst ein Bild zu machen. Und tatsächlich: Er sieht einen weißen Transporter, von dem sich mehrere Menschen entfernen. „Spätestens jetzt war mir klar, dass es sich um Schleuser handelt.“
„Nichts dabei gedacht, sondern einfach gehandelt“
Der 61-Jährige sagt zu seinem Sohn, dass er mit einem Traktor den Fluchtweg versperren soll. „Wir haben uns überhaupt nichts dabei gedacht, sondern einfach gehandelt.“ Sie positionieren sich mit dem Fahrzeug samt Anhänger oberhalb des Stalls auf den Weg. „Da habe ich schon zu meinem Bub gesagt, dass wir aufpassen müssen, dass er uns nicht überfährt.“ Da ihre Blockade eine kleine Lücke aufweist, stellen sie kurzerhand noch einen Metall-Bauzaun dazu. Alles passiert innerhalb von wenigen Sekunden und Minuten. Zeit zum Nachdenken, was alles passieren könnte und in welche Gefahr sie sich begeben, bleibt nicht wirklich.
Als der Schleuser den versperrten Weg sieht, hält er mit seinem Transporter zuerst an - und gibt dann Gas. Er rammt den Bauzaun, welcher mehrere Meter davon fliegt. Die Männer schreien „Stopp“, gestikulieren wild und fordern den Mann zum Anhalten auf. „Wir haben in diesem Moment überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass der uns auch hätte überfahren können oder dass er vielleicht eine Waffe dabei hat“, erklärt der 61-jährige Landwirt. Der Transporter kommt nicht weit, nach wenigen Metern bleibt er kurz vor einem Mast auf einer Wiese stehen. Noch Tage später sind die Reifenspuren im Gras zu erkennen.
Schleuser wehrt sich gegen seine Festnahme
Und dann geht alles blitzschnell, wie es Hans H. selbst sagt. „Als der Transporter an uns vorbeifährt, habe ich zu meinem Sohn gesagt: Pass auf, pass auf, der fährt dich zusammen. Er war ja auf der anderen Seite und ich habe ihn durch den Transporter nicht mehr gesehen. Das waren Sekundenbruchteile.“ Die Beiden reißen auf beiden Seiten die Türen des Fahrzeugs auf, als es zum Stillstand kommt. Zusammen packen sie den Schleuser, ziehen ihn heraus, während dieser sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt. „Hätten wir ihn zum Aussteigen bitten sollen? Freiwillig hätte der sich nicht draußen hingestellt und auf die Polizei gewartet. Der hätte uns doch für dumm verkauft und wäre davongerannt.“
Zu dritt - der Nachbar hilft auch mit - halten sie den Kriminellen fest und drücken ihn auf den Boden. Und dann sind auch schon die Sirenen der Polizei zu hören, die mit einem Großaufgebot kommt und schnell vor Ort ist. Zahlreiche Streifenwagen fahren die Oberau in Richtung Rossfeld hinauf, am Himmel kreist ein Polizeihubschrauber seine Runden. Erfolgreich werden daraufhin auch die eingeschleusten Personen, die bereits zu Fuß flüchten, gefasst. Nur einen Tag später wird gegen den Schleuser Haftbefehl erlassen, da dieser 18 Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit in dem Transporter völlig ungesichert über den Grenzübergang Neuhäusl (Berchtesgaden) in das Bundesgebiet gebracht haben soll.
Vernehmung durch die Polizei
Doch schnell wird klar, dass auch auf Hans H., dessen Sohn und den Nachbarn ebenfalls Ärger zukommen könnte. Die Staatsanwaltschaft Traunstein gibt bekannt, dass überprüft werde, ob die Festnahme des Schleusers durch die drei Männer verhältnismäßig abgelaufen sei. Noch am Nachmittag des 27. Dezember ahnt der Landwirt bereits, dass ihn der Vorfall noch weiter beschäftigen wird. Die Polizei sei später gekommen und habe in den Raum gestellt, dass man den Schleuser zu fest oder zu unsanft behandelt habe, weil dieser eine Kopfverletzung erlitten habe. „Dass er sich bei seinem Widerstand, als wir ihn herausgezogen haben, weh getan hat, kann schon sein. Auch der Bauzaun ist in die Frontscheibe des Transporters geflogen, die Verletzung kann auch von dem Zusammenprall stammen.“
Ob die Frontscheibe schon vor dem Zusammenstoß beschädigt ist oder erst dadurch kaputtgeht, das weiß der Bauer bei der Vernehmung der Polizisten dann auch nicht mehr. „Das ging alles so schnell.“ Bei der Befragung geht es auch darum, warum das Fahrzeug so sehr beschädigt ist. Hans H. weiß, dass der Transporter durchaus Beschädigungen an der Karosserie aufweist, als dieser am Stall steht und die Menschen herauslässt - also bevor er den Weg hinaufrast und mit dem Zaun kollidiert. Das teilt er den Beamten laut eigener Aussage auch so mit.
Man soll ja nicht immer wegschauen und gar nichts tun.
Seit diesem Vorfall macht sich der Landwirt Sorgen um die juristischen Nachwirkungen, die folgen könnten. „Nicht für mich, das ist mir egal. Aber ich will nicht, dass mein Sohn Ärger bekommt und beispielsweise einen Eintrag ins Führungszeugnis erhält. Das würde mich richtig ärgern.“ Er sei trotzdem überzeugt davon, dass sie richtig gehandelt hätten. „Man soll ja nicht immer wegschauen und gar nichts tun. Wenn wir ihn fahren lassen, schleust er die Nächsten illegal ein oder verletzt bei seiner Flucht noch jemanden.“
Auch über Jahreswechsel viele Delikte
Beispiele für gefährliche Fluchtversuche mit Verletzten in der Region gibt es leider genügend, mit dem schweren Unfall am 13. Oktober auf der A94 bei Ampfing mit sieben Menschen als traurigen Höhepunkt des vergangenen Jahres. Auch über den Jahreswechsel verzeichnete die Bundespolizeiinspektion Freilassing im Berchtesgadener Land zahlreiche Delikte: Zwischen dem 29. Dezember und dem 1. Januar wurden 135 unerlaubte Einreisen, 13 Schleusungen und 38 Fahndungstreffer verzeichnet sowie sechs Haftbefehle erlassen.
Bei Hans H. steht in den Tagen danach das Telefon jedenfalls nicht mehr still: Der Fall sorgt bundesweit für Aufsehen, und natürlich macht die Aktion auch in der Oberau und in Berchtesgaden die Runde. Viele Freunde und Bekannte melden sich beim Landwirt. „Wir haben nur positive Rückmeldungen bekommen, und selbst ein hochrangiger Politiker hat mir gratuliert“, schildert der 61-Jährige. Auch jetzt, mit etwas zeitlichen Abstand zum 27. Dezember, bleibt er dabei: „Ich weiß auch nicht, was wir anders hätten machen soll. Den Schleuser freundlich zum Aussteigen und zum Warten auf die Polizei bitten? Das hätte definitiv nicht funktioniert.“
