Wie stehen die Chancen?
„Russland greift massiv an“: Schicksals-Stichwahl in Rumänien – „Es geht um alles“
Ein russlandnaher Radikaler in der Stichwahl, die Koalition zerbrochen: Rumänien steht am Scheideweg. Experte Raimar Wagner sieht Lehren für ganz Europa.
„Es herrscht Panik im demokratischen Lager“: Das Nato- und EU-Land Rumänien kürt am Sonntag (18. Mai) in der Stichwahl einen neuen Präsidenten – und Favorit ist ein Rechtsextremer. Den ersten Wahlgang hat George Simion von der scharf-rechten AUR gewonnen, mit 41 Prozent. Auf Rang zwei kam Nicușor Dan ins Ziel. Der parteilose Bürgermeister von Bukarest erreichte aber nur knappe 21 Prozent. Das Rennen ist zwar noch nicht entschieden. Aber es steht viel auf dem Spiel. Und Russland versucht sich erneut im „hybriden Krieg“, wie Raimar Wagner, Projektbüroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für Rumänien und Moldau, der Frankfurter Rundschau sagt.
Die Wahl hat weit mehr als Symbolwert: Rumäniens Präsident ist kein Grußonkel; er ist etwa Oberbefehlshaber der Streitkräfte und vertritt Rumänien im EU-Staats- und Regierungschefs. Zugleich ist Rumäniens Regierungskoalition nach der ersten Wahlrunde zerbrochen. Simion von der scharf rechten Partei AUR will bei einem Sieg einen neuen Ministerpräsidenten ernennen – und zwar jenen Extremisten und Verschwörungstheoretiker namens Călin Georgescu, der Ende 2024 wie aus dem Nichts die später annullierte allererste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen hatte. Offensichtlich mit illegaler Schützenhilfe aus Russland. Rumänien könnte in diesem Szenario in eine tiefe Krise stürzen, meint Wagner.
Schicksals-Stichwahl Simion gegen Dan: Rumänien könnte sich von EU, Nato und Ukraine abwenden
„Von Georgescu wissen wir, dass er Rumänien aus der EU und aus der Nato herausführen will. Er spricht von ‚Frieden‘ und von einem ‚Ein-Parteien-System‘“, erläutert Wagner, selbst Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien. Das an sich wohlklingende Wort „Frieden“ kann man dabei durchaus mit einem Ende der Unterstützung für die Ukraine und einem Kurs auf Linie mit dem Angreifer Russland gleichsetzen.
Zugleich sind viele entscheidende Posten in Rumänien derzeit nur übergangsweise besetzt. Neben dem Ministerpräsidentenamt etwa auch die Chefposten bei den Geheimdiensten. Der neue Präsident kann sie neu besetzen. All das ist Anlass für große Sorge – auch in Europa. Rumänien ist Nachbarland der Ukraine, es ist eine bedeutende Basis für die Nato und die USA und ein Umschlagpunkt für Gas. Und natürlich hat es wie etwa auch Viktor Orbáns Ungarn de facto ein Veto-Recht in vielen Fragen der EU.
Doch das Problem ist laut Wagner noch größer: Sollte der Extremist Georgescu keine Parlamentsmehrheit hinter sich vereinen können, hat Simion bereits Neuwahlen angekündigt. Die Gefahr einer kompletten Abkehr vom Europa-Kurs verunsichere die Märkte. Der Wechselkurs der nationalen Währung Leu sei zwischenzeitlich bereits unter die wichtige Marke von fünf Euro gefallen. „Vorprogrammiert“ seien bei einem Erfolg der Isolationisten und Pro-Russen angesichts der rumänischen Haushaltslage Probleme, überhaupt noch frisches Geld zu erhalten – es drohe dann eine Schuldenkrise griechischen Ausmaßes, warnt der Experte der FDP-nahen Stiftung. Es gehe es um alles, um „Rumäniens Zukunft“.
Demokraten hoffen auf Nicușor Dan: „Wahl zwischen Demokratie und Autokratie“ in Rumänien
Simions Gegenkandidat Nicușor Dan ist in Deutschland wenig bekannt. An seiner Grundausrichtung bestehen aber wenig Zweifel: Dan hatte einst die liberale „Union Rettet Rumänien“ mitbegründet. „Er ist meiner Einschätzung nach ein konservativer Liberaler“, sagt Wagner.
Von der Partei getrennt hatte sich Dan nach einem Streit um ein „Referendum für die Familie“: Die Initiative hätten Trump-nahe „MAGA-Kräfte aus den USA“ nach Rumänien getragen – mit dem Ziel, die Ehe „zwischen Mann und Frau“ in der Verfassung zu verankern. Dan wollte einen neutralen Kurs, die Partei eine Positionierung gegen den Plan; Dan ging. „Das hat ihm die Aura des Unabhängigen verschafft“, urteilt Wagner.
Dan stehe „für Demokratie, für Europa, für die weitere Unterstützung der Ukraine“. Und er wolle eine breite Koalition aus Sozialdemokraten, Nationalliberalen, der Partei der Ungarn und seinen früheren Parteifreunden der „Union Rettet Rumänien“. Zugleich gilt der 55-Jährige als eher trocken, bisweilen hölzern. Doch vermutlich spielen solche Geschmacksfragen keine Rolle mehr. „Wir sehen Vereine, Künstler und Medien, die sagen, es gehe nicht mehr um eine Personenwahl – sondern um die Wahl zwischen liberaler Demokratie und Isolationismus, Autoritarismus, Faschismus und Totalitarismus“, sagt Wagner. Auch alle Kirchen in Rumänien unterstützten Dan. Bis auf die orthodoxen.
„Russland hat wieder massiv angegriffen“: Rumäniens Stichwahl bereitet Sorge – wie kam es so weit?
Wer am Ende das Rennen macht, könnte von der Mobilisierung abhängen. Die 21 Prozentpunkte Abstand aus dem ersten Wahlgang scheinen überwältigend. Doch es hatten sich nur 53 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt. Großen Zuspruch erhielt Simion unter anderem bei den – laut Wagner oft schlecht ausgebildeten, prekär beschäftigten und enttäuschten – Auslandsrumänen. Beobachter hoffen nun auf eher progressive Nicht-Wähler aus den städtischen Gebieten Rumäniens. Aber es müssen eben genug von ihnen an die Wahlurnen strömen, um eine folgenschwere Abkehr von Europa und liberaler Demokratie zu verhindern.
Bleibt die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Der erste Teil der Antwort liegt, Russland zum Trotz, in Rumänien: Sozialdemokraten und Konservative, über lange Jahre Regierungsparteien, hätten die Wähler mit einem Ruch von Korruption verärgert, meint Wagner. Darauf sattelte offenbar Russland auf: Mit Trollfabriken und einem Spiel am TikTok-Algorithmus, der Georgescu wie aus dem Nichts zum Wahlsieg führte. Das sei mittlerweile klar belegt, sagt Wagner – TikTok selbst hat in einem Bericht an die EU die Manipulation eingeräumt. Dennoch könnte US-Vizepräsident J.D. Vance bei seiner umstrittenen Münchner Rede einen Punkt gehabt haben: Wenn eine Demokratie per Algorithmus zu manipulieren ist, dann ist sie wohl nicht besonders stark. Politische Probleme gab es jedenfalls bereits.
Die Annullierung der Wahl polarisiert laut Wagner in Rumänien noch immer. Von „Verrat“ sei im nationalistischen Lager die Rede. Simion hat sich als „Ersatzkandidat“ für Georgescu proklamiert. Russland habe vor der Stichwahl Rumänien im Cyberraum erneut „massiv angegriffen“, ist sich der Experte sicher. Und nach einer für ihn ungünstig verlaufenen TV-Debatte werde Simion wohl wieder auf Social-Media und Unterstützung durch Algorithmen setzen. Insgesamt zeige sich Rumänien diesmal aber „resilienter“. Möglich sei aber auch, dass Russland „etwas Neues“ zur Einflussnahme erfinde.
Wagner spricht angesichts der rumänischen Erfahrungen eine klare Warnung aus. „Russland beeinflusst nicht mehr nur Wahlen, es ist in jedem europäischen Land präsent“, sagt er: „Das sollte jeder europäische Staat genau unter die Lupe nehmen.“ (fn)
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