Sorge im Ukraine-Krieg
Rumänien-Wahl im Schatten des Faschisten – und Putins: „Politisches Erdbeben“ könnte sich ausweiten
Unerwartet scheint Rumänien in Russlands Lager zu driften. Besonders wichtig ist nun die Parlamentswahl – ein Experte erläutert Gefahr und Hoffnung.
Rumänien ist schockiert – jedenfalls Teile des Landes. „Die Jugend ruft im Chor, stimmt nicht für den Diktator“, skandierten meist junge Demonstranten zuletzt bei Demonstrationen. Völlig unerwartet hatte der prorussische, rechtsradikale Parteilose Calin Georgescu die erste Runde der Präsidentenwahl gewonnen. Mit Sorge wird die Stichwahl am 8. Dezember erwartet. Doch schon zuvor, an diesem Sonntag (1. Dezember), geht die nächste, mindestens ebenso wichtige Wahl über die Bühne.
Denn neben dem Präsidenten wählt Rumänien Anfang Dezember auch die beiden Parlamentskammern. Sollte Georgescu gewinnen, könnten Abgeordnetenkammer und Senat ein enorm wichtiges Korrektiv sein, wie Raimar Wagner, Projektbüroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung, IPPEN.MEDIA erklärt. Doch der Ausgang lässt sich schwer prognostizieren: „Alle Soziologen haben gesagt, die Präsidentschaftswahlen werden eine sehr starke Auswirkung auf die Parlamentswahlen haben – und dass die Stichwahl-Kandidaten auch Einfluss auf die Ergebnisse ihrer Parteien haben werden.“
Rumänien-Wahl gibt Rätsel auf: Weiteres Beben in Putins Sinne könnte drohen
Die jahrzehntelang dominanten Platzhirsche unter den rumänischen Parteien haben es aber nicht in diese Stichwahl geschafft. Der sozialdemokratische Noch-Ministerpräsident Marcel Ciolacu kam knapp nur auf Rang drei. Der nationalliberale Nicolae Ciuca wurde gar nur Fünfter. Ihre beiden Parteien stellen bislang eine „große Koalition“. In den Parlamentsumfragen vor der Präsidentschaftswahl lagen die Sozialdemokraten zwar vorn. Doch die Demoskopen hatten auch Georgescu nicht auf dem Schirm. Droht eine weitere böse Überraschung?
Wagner zufolge ist das schwer einzuschätzen. Er verweist auf die kalten Zahlen der Präsidentschaftswahl: Insgesamt 37 Prozent der Stimmen entfielen dort auf Georgescu und George-Nicolae Simion von der rechtspopulistischen „Allianz für die Einheit der Rumänen“ (AUR). „Dass sich diese 37 Prozent auch im Parlament in rechtsextremistischen Bewegungen widerspiegeln könnten – das ist, worauf jetzt alle mit Besorgnis schauen.“ Eine Rolle könnte dort auch die scharf-rechte „S.O.S. Romania“ spielen. Die war im Europaparlament selbst der AfD zu radikal – Parteichefin Diana Șoșoacă produzierte in Brüssel bereits gezielt einen Eklat.
Putin-Freund könnte Rumäniens Präsident werden – Blicke richten sich auf die Parlaments-Wahl
Denkbar ist auch, dass die Partei der zweiten Kandidatin für die Präsidentschafts-Stichwahl profitiert. In die zweite Runde hat es Elena Lasconi geschafft – laut Wagner mit einem „Catch-All“-Wahlkampf. Ihre liberal-konservative „Vereinigung zur Rettung Rumäniens“, Partnerpartei der Naumann-Stiftung, könne nun angesichts einer Polarisierung ein „besseres Ergebnis“ erzielen, spekuliert Wagner. Gewiss sei das aber nicht. In jedem Falle gebe es Verdruss über die beiden großen Parteien; über Haushaltsdefizite und einen Anschein der Korruption. Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl sei ein „Sieg der Antisystemkandidaten gewesen“.
Heute Abend hat das rumänische Volk ‚Frieden‘ gerufen – und es war sehr laut.
Nun ruht besonderes Gewicht auf der Parlamentswahl. „Der Präsident hatte immer viel Kraft, solange eine Regierungspartei hinter ihm stand“, sagt Wagner. „Rumänien ist noch immer eine Demokratie, es gibt eine Gewaltenteilung, und die Macht liegt beim Parlament.“ Paradox wirkt die Lage ohnehin. „82 Prozent der Rumänen glauben an die Nato“, meint Wagner, auch die EU habe Zustimmungswerte zwischen 62 und 70 Prozent. „Russophil“ seien die Wähler der Rechtsradikalen insofern kaum in Gänze. Offen ist aber, wohin die „Wut über das Establishment“ das Land führt.
Klar ist: Auch Nato und EU dürften das Ergebnis mit Argusaugen verfolgen. Rumänien ist gerade im Ukraine-Krieg ein eminent wichtiger Partner – und Georgescu hat in der Vergangenheit Wladimir Putin gepriesen und die Nato als „schwach“ bezeichnet. Der Präsident ist Oberbefehlshaber. Mit einem Gegengewicht im Parlament wäre in Brüssel sicherlich allen wohler. (fn)
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