Serie „Zukunfts-Bauer“
Wut auf die Politik auch ein halbes Jahr nach Bauernprotesten: „Das ärgert sie über alle Maßen“
Deutsche Bauern schimpfen auf die Regierung. Sie kämpfen gegen Bevormundung und Bürokratie. Was bleibt ein halbes Jahr nach den Protesten?
Im Januar rollten in ganz Deutschland Traktoren auf den Straßen. Im Gepäck: Protestschilder und jede Menge Wut. Gut ein halbes Jahr später scheint sich die aufgebrachte Stimmung im Land beruhigt zu haben. Der Ärger auf die Politik ist jedoch noch nicht verflogen. Auch, weil aus Sicht der Bauern entscheidende Forderungen nicht berücksichtigt werden.
Vor allem eine Entscheidung war ausschlaggebend für die Proteste, sagt der frühere Landwirt Dirk Köckler. Er ist Geschäftsführer von Agravis, einem der führenden Agrarunternehmen Deutschlands: „Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war die Willkürlichkeit der Abschaffung des Agrardiesel-Zuschusses.“ Die Bundesregierung hatte die Subvention für Agrardiesel im Zuge der Sparmaßnahmen durch das Haushaltsloch gestrichen – und damit viele Bauern vor den Kopf gestoßen.
„Landwirte planen die Unterstützung fest in ihre langfristige Kalkulation ein“, sagt Köckler. Laut einer Umfrage des Deutschen Bauernverbands geben 60 Prozent der Befragten an, sehr stark unter „unvorhersehbaren Kostensteigerungen“ zu leiden. Getoppt wird das nur von der Sorge vor dem Preisdruck im Lebensmittelhandel (66 Prozent). „Das Streichen über Nacht ärgert die Landwirtschaft über alle Maßen.“
Bauernpräsident Rukwied: „Mit den Agrardiesel-Regelungen sind wir nicht einverstanden“
Bislang können sich Landwirte die Energiesteuer für Diesel teilweise zurückerstatten lassen – mit einer Vergütung von 21,48 Cent pro Liter. Die Ampel nahm nach den Bauernprotesten Teile der Kürzungen zurück, die Agrardiesel-Streichung soll aber schrittweise zum Jahr 2026 kommen. Der Bauernverband lehnt das ab. „Mit den Regelungen zum Agrardiesel sind wir nicht einverstanden, da sie einen erheblichen Wettbewerbsnachteil innerhalb der EU bedeuten“, erklärt Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied auf Anfrage von IPPEN.MEDIA.
Deutsche Bauern würden deutlich mehr für den Treibstoff zahlen als andere Landwirte in der EU – mit denen man aber zwangsläufig im Wettbewerb stehe. In Belgien etwa werde Agrardiesel gar nicht besteuert. „Wir setzen uns für gute politische Rahmenbedingungen ein, die es uns ermöglichen, hochwertige, heimische Lebensmittel zu erzeugen“, sagt Rukwied. Diese Bedingungen sieht der Verband in Deutschland nicht immer gegeben.
Die Bundesregierung plant derzeit nicht, die Agrardiesel-Streichung zurückzunehmen. „Die Agrardieselunterstützung wird nur schrittweise abgebaut“, erklärt das Landwirtschaftsministerium auf Anfrage von IPPEN.MEDIA. Dass sie abgebaut wird, scheint aber sicher. Ein Sprecher betont allerdings: „Derzeit beraten die Bundestagsfraktionen über weitere Maßnahmen zur Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft.“ Ob und, wenn ja, welche Entlastungen damit gemeint sind, ist noch nicht absehbar.
Wut der Bauern auf die Politik: „Denunzieren der Landwirte erzeugt Reaktion“
Der Zoff um den Agrardiesel ist aber nicht der einzige Punkt, bei dem Bauern und Politik auseinanderliegen. „In der Vergangenheit wurden die Landwirte im Bereich der Tierhaltung und des Pflanzenbaus sehr häufig diskreditiert“, meint Köckler. Es sei richtig, dass auf Aspekte wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz geachtet werde. Es dürfe auch kritisiert werden, etwa beim durch Landwirtschaft in Boden sickerndes Nitrat. „Wenn das aber immer nur zum Denunzieren der Landwirte genutzt wird, erzeugt das natürlich eine Reaktion.“
Bei politischen Entscheidern trete zudem eine gewisse Realitätsferne und „fehlende Sachorientierung“ auf, sagt Köckler. „Zum Beispiel beim Anvisieren von 30 Prozent Biolandwirtschaft, die in der Praxis nicht diese Relevanz hat.“ Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts beträgt der Anteil reiner Ökolandwirtschaft in Deutschland nur 11,2 Prozent.
Ein Kernfaktor der Bauernproteste war zudem die Bürokratie. Am Rande der Proteste waren Schilder zu lesen mit Aufschriften wie „Bürokratie ist unser Tod“, „Schluss mit dem Verordnungswahn“ oder „Bürokratiewahnsinn stoppen“. Befragungen zeigen: In kaum einer anderen Branche geben die Beschäftigten so oft an, unter unnötiger Bürokratie zu leiden. In der Bauern-Umfrage landet die Belastung durch Bürokratie auf Platz vier. „Die überbordende Bürokratie belastet die Betriebe stark“, sagt Rukwied.
Gut für die Bauern: Das Bundeslandwirtschaftsministerium ist sich der Sache bewusst. Wie ein IPPEN.MEDIA vorliegendes Dokument des Bundeslandwirtschaftsministeriums zeigt, will man „mit unnötiger Bürokratie aufräumen“. So sollen EU-Regeln vereinheitlicht, Meldeauflagen reduziert und Genehmigungen vereinheitlicht werden. Eine Übersicht über die geplanten Anpassungen – von neuen Öko-Vorgaben bis mehr Geld – lesen Sie hier.
Dieser Artikel ist Teil der Serie „Zukunfts-Bauer“. Alle Texte im Überblick:
Bauernhof-Sterben in Deutschland: Familienbetriebe weichen der Großindustrie
„Imposant und doch nicht genug“: Womit kann sich Deutschland eigentlich noch selbst ernähren?
Alle wollen Bio, aber keiner will’s bezahlen: „Kaufverhalten lässt sich nicht aufzwingen“
Landwirtschaft im Klimawandel: Zwischen Verursacher und Opfer
KI in der Landwirtschaft: Hightech-Industrie statt Bauernhof-Romantik?
Bauernproteste bringen „nie dagewesene Aufmerksamkeit“
Die Proteste richteten sich insgesamt vor allem gegen die Ampel-Koalition. Obwohl zuvor seit 1983 in 31 von 38 Jahren die CDU/CSU den Landwirtschaftsministerposten stellte und damit maßgeblich für die Agrarpolitik des Landes verantwortlich war. Im Zentrum der Kritik standen im Januar die Grünen – wofür es deutschlandweit Unterstützung gab. Auch aus dem rechten bis rechtsextremen Milieu. Der Bauernverband distanzierte sich davon regelmäßig. Zuletzt sagte der Verband seine Teilnahme an Bauernprotesten vor dem EU-Parlament in Brüssel ab, wo auch Rechtspopulisten und Rechtsextreme anwesend waren. Rukwied sagt aber auch: „Die Europawahl hat deutlich gezeigt, dass die Menschen einen Politikwechsel wollen.“
Die Bauernproteste bewertet der frühere CDU-Politiker Rukwied im Nachgang positiv: „Die Proteste im Januar haben uns eine nie dagewesene Aufmerksamkeit in der Gesellschaft beschert“, so der Bauernpräsident. „In einigen Umfragen haben 80 Prozent der Menschen uns in unseren Forderungen unterstützt. Das hat uns viel Rückenwind gegeben.“
Tatsächlich war das Verständnis in der Bevölkerung gegenüber den Bauern-Blockaden größer als zum Beispiel gegenüber den Klima-Aktionen der „Letzte Generation“. Das liegt auch an der Wahrnehmung in der Bevölkerung, wie der Protestforscher Simon Teune unserer Redaktion erklärte: „Die Letzte Generation ist bis in die Grünen hinein als naiv und arrogant dargestellt worden, Landwirte haben dagegen kein schlechtes Image.“ (as)
