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Hilfe für Landwirte

Psychotherapeutin Hendrix alarmiert: „Bauern werden nur verarscht!“

Ärztin Karen Hendrix hat sich auf die Probleme von Landwirten spezialisiert.
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Ärztin Karen Hendrix hat sich auf die Probleme von Landwirten spezialisiert.

Sie blockieren Straßen, bilden Traktorkorsos oder kippen Mist auf die Fahrbahnen. Was für andere Verkehrsteilnehmer zum Ärgernis werden kann, ist ein Schrei nach Hilfe, wie sich die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Karen Hendrix sicher ist. Was sie Landwirten rät und von der Politik erwartet, hat sie uns im Innsalzach24-Interview erzählt.

Landkreise Rottal-Inn und Altötting - Nur wenige Kilometer vom Landkreis Altötting engagiert sich Karen Hendrix für Landwirte. Im Krankenhaus Simbach am Inn sowie in eigener Praxis in Egglham hat sich die ärztliche Psychotherapeutin auf die besonderen Belastungen von Bauern spezialisiert. Was sie täglich zu hören bekommt, alarmiert sie. „Bauern werden nur verarscht!“, so ihre Sicht der Dinge.

Dabei hat die Fachärztin durchaus Einblick in die Materie. Ihr Partner ist Landwirt im Vollerwerb, sie selbst absolvierte eine einschlägige Ausbildung. Erst spät entschied sie sich für ihr jetziges Berufsfeld, mit 50 begann sie ihre Facharzt-Ausbildung. Mittlerweile hat sie sich auf Hilfen für Landwirte spezialisiert. „Das hat sich so ergeben“, erzählt sie und glaubt, dass sie die erste Psychotherpeutin in Bayern ist, die sich gezielt mit dem Thema auseinandersetzt.

Im Simbacher Krankenhaus gehen alle „Landwirtssachen“ an Karen Hendrix. „Weil sich zwar die Probleme von Landwirten mit den Problemen von Nicht-Landwirten überschneiden, aber es auch ganz spezifische Sachen gibt, die sich nur in der Landwirtschaft finden. Und da sind die Bauern ganz froh, wenn sie jemanden haben, dem sie nicht erst ihr Leben erklären müssen“, argumentiert sie. „Und gleichzeitig habe ich im Krankenhaus jeden Dienstag und jeden Donnerstag eine Landwirtegruppe, um nur landwirtschaftliche Themen, Belastungen und Probleme zu besprechen.“

Überforderung der Beteiligten, die Politik in der Pflicht

Dass die Bauern auf die Straßen gehen, hat seinen Grund, wie Hendrix findet. Es gehe ihnen „gar nicht gut.“ Die Schuld sieht sie bei der Regierung: „Die Belastungen sind einfach zu viel. Unsere Landwirte sind mittlerweile Dokumentationsassistenten der Regierung. Es ist dermaßen viel zu machen, schon allein von der Dokumentation her.“ Sie erzählt vom eigenen Betrieb, dass bei einem Traktorwechsel ein viel zu umfangreicher Dieselantrag für die Steuerbefreiung des Agrartreibstoffs nötig war.

Was tun,wenn ...? Gesprächs- und Hilfsangebote für landwirtschaftliche Familien in schwierigen Lebenssituationen

Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten stellt ein Faltblatt mit Informationen zur Verfügung, wo und wie belastete Landwirte und deren Familien Hilfe erhalten können. Das Faltblatt kann hier heruntergeladen werden.

Sie spricht weiter vom geforderten Messen der bewirtschafteten Flächen, von den in Deutschland offensichtlich ganz eigentümlich geregelten Nitratvorgaben und davon, dass all das computergestützt stattfinden müsse. Immer wieder sehe sie die Landwirte in einer Überforderungssituation. Den Grund für all diese Vorgaben meint sie, lokalisiert zu haben, und liefert eine Art Vorschlag gleich mit: „Wenn nicht ein Ministerialbeamter und vier seiner Subbeamten eine Daseinsberechtigung bräuchten, dann wäre schon ganz viel gewonnen.“

Was sie fordert, scheint eigentlich nicht zu hoch gegriffen: „Einfach ein vernünftiges Augenmaß.“ Gerade in der Tierhaltung seien die Vorschriften teils sehr willkürlich. „Ein Landwirt hält Tiere, weil er davon einen Nutzen hat. Kein Bauer hat Interesse, dass seine Tiere runtergekommen, schlecht behandelt sind, verhungert sind, verdreckt sind oder sonst was. Sondern es wird jeder versuchen, die Tiere so gut wie möglich zu halten, denn eine gesunde Kuh gibt zum Beispiel auch mehr Milch als eine kranke Kuh. Trotzdem wird Bauern per se unterstellt, dass sie ihre Tiere schlecht behandeln, Tierquäler sind und was weiß ich nicht.“ Auch beim Thema Pestizide sieht Karen Hendrix eine ungleiche Behandlung bei importierten Waren im Vergleich zu heimischen Produzenten.

Und je genauer er seine Sachen nimmt, desto schlimmer ist er belastet.

Karen Hendrix, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie

Ständige Überforderung und Ungerechtigkeiten führen bei vielen Landwirten zu echten emotionalen Problemen, so argumentiert sie weiter. „Manch einem Landwirt geht es schlecht, er hat Schlafstörungen, er kämpft mit Ängsten oder Panikattacken“, schildert sie ihre Beobachtungen. „Und je genauer er seine Sachen nimmt, desto schlimmer ist er belastet.“ Ein Teufelskreis.

„Landwirte sind von klein auf zum Arbeiten erzogen“, erzählt sie weiter. „Ja, und die haben auch nie was anderes gelernt, als sich über Arbeit und über gute Leistung zu definieren. Da gab es kein Lob, nicht geschimpft ist gelobt genug, sondern da gab es Leistung. Hast nix zu tun, gehst dann Hofkehren. Und diese Sachen, die verstehe ich und deswegen weiß ich auch, wie die Leute denken.“ Die Überforderung durch die schwer umsetzbaren Vorgaben führen dann zu Panikattacken, wie die Fachärztin weiter argumentiert. „Panik ist immer ein Ausdruck von: ‚Ich versuche, was perfekt zu machen und genüge den Ansprüchen nicht. Den eigenen Ansprüchen nicht.‘“

Appell an Landwirte und Politik

Karen Hendrix kennt die Probleme von Bauern aus erster Hand. Zuhören und Psychotherapie seien Maßnahmen, wenn die Probleme bereits einen gewissen Krankheitswert erreicht haben. Aber besser steuere man bereits vorher dagegen: „Mindestens einen halben Tag pro Woche freinehmen. Was mit der Familie machen. Was für sich selber tun. Nicht die ganze Zeit nur an die Arbeit denken, sondern auch was für sich machen, was Freude macht. Die meisten arbeiten ja rund um die Uhr.“

Den Abbau von Bürokratie. Das ist absolut abartig!

Karen Hendrix, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie

An die Politik richtet sie einen weiteren Appell: „Den Abbau von Bürokratie. Das ist absolut abartig!“, ärgert sie sich. „Und ich würde mir wünschen, dass auch Bauern nicht so verarscht werden. Also das ist jetzt sehr umgangssprachlich, aber anders kann man es schon gar nicht mehr nennen.“ Die Bauernproteste seien ein Resultat dieses Umgangs mit den Landwirten. „Wenn man sich nie ernst genommen fühlt, dann schlägt die Verzweiflung irgendwann in Aggression um.“

Das Bild, das Karen Hendrix von der Situation bayerischer Landwirte zeichnet, wirkt düster. Gegen Ende des Interview bemerkt sie, dass es keinen „Platz mehr für Menschlichkeit“ gebe. Kaum mehr eine Spur vom ländlichen Idyll mit Tieren, Wiesen und Weiden. Vielmehr ist es die Beschreibung eines Berufsstands, der um Aufmerksamkeit und Veränderung bittet. Und langsam in die Verzweiflung rutscht.

ar

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