Infoveranstaltung in Otting zu geplanter Windkraftanlage
Windkraft in Froschham und Kammer: „Irgend einen Tod muss man immer sterben“
Windrad-Diskussion dreht sich im Kreis: Die einen wollen sie, die anderen sprechen schon von Bürgerbegehren: Windkraftanlagen in Froschham und Kammer. Der Schlagabtausch bei Befürwortern und Gegnern geht in die nächste Runde. Am Dienstagabend (15. Mai) lud die Marktgemeinde Waging nach Otting ins Wirtshaus. Woher der Wind diesmal wehte:
Otting – „Es ist schon so, dass die Regierung die Energiewende durchziehen will.“ Wie das baurechtlich verankert ist, weiß der Rechtsanwalt Dr. Jürgen Busse. In seinem Vortrag zum neuen Baurecht für Windkraftanlagen wird klar - Spielraum für Widerstand gäbe es kaum. Auch nicht bei den ausgewiesenen Vorranggebieten in Kammer und Froschham. Das schmeckt nicht jedem. Auch beim Infoabend in Otting vergeht so manchem der Appetit.
Gegner und Befürworter: Über 100 Leute beim Oberwirt Otting
Die Windkraft in Bayern ist beschlossene Sache durch das bundesweite Wind-an-Land-Gesetz. 1,8 Prozent der Landesfläche sollen bis 2032 für Windenergie genutzt werden: Und jetzt fürchten sich allerorts Anwohner der sogenannten Wind-Vorranggebiete vor geplanten Windrädern: Was kommt auf uns zu? Auch in Froschham und Kammer sind viele wenig begeistert. Im Saal des Wirtshauses in Otting sitzen am Dienstagabend über einhundert Leute: Bauern, deren Höfe unweit der geplanten Anlagen stehen, aber auch Kritiker von Windkraft generell, Vertreter der Stadt Traunstein, der potenzielle Betreiber der Anlagen, die Traunsteiner Stadtwerke - und man kennt sich mittlerweile:
Altbekannte Gesichter - Infoveranstaltung im Rotationsprinzip
Bei vorherigen Infoveranstaltungen waren die Gegner und die Befürworter bereits auf Tuchfühlung gegangen. Erst lud das Aktionsbündnis Bürgerwindräder nach Palling und warb für Windkraft in der Region - dann waren die Gegner am Zug: In Rettenbach sorgte der Referent der Initiative ‚NEIN zum Windpark Kammer‘, der sogenannte Mr. Blackout, Stefan Spiegelsperger für tosenden Applaus im vollen Wirtshaussaal. In Otting jetzt: Die Marktgemeinde Waging als Veranstalter gibt die Bühne frei für den Hauptreferenten des Abends, Dr. Jürgen Busse.
Gesetz ist gesetzt: „Im Zweifelsfall für die Windenergie“
„Der Paragraf zwei des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) legt fest, dass im Zweifelsfall immer für die Windenergie entschieden wird.“ Das sei, so Busse, festgelegt worden, um die Energiewende möglichst schnell voranzutreiben. Druck macht vor allem der Wunsch nach Unabhängigkeit vom russischen Gas nach Beginn des Ukrainekrieges. Man habe per Gesetz also viele baurechtliche Einschränkungen in Bezug auf Windkraft gelockert. So sei zum Beispiel der Abstand zur nächsten Wohnsiedlung von einst zwei Kilometern auf einen Kilometer herabgesenkt.
Windenergie - Mit Abstand die beste Idee?
Bei Einzelgehöften müsse der Abstand nur noch doppelt so weit sein wie das Windrad hoch: In Kammer und Froschham kämen die Bauten auf eine Gesamthöhe von ungefähr 260 Metern, um bei den vergleichsweise niedrigen Windgeschwindigkeiten trotzdem lukrativ betrieben werden zu können. Heißt auch: Für allein stehende Bauernhöfe nahe des Froschhamer Stadtwaldes oder der Demmelfiltz, wo die Windräder in den Himmel ragen würden, wären dann nur zirka 500 Meter Abstand notwendig. Sichtlich beunruhigende Informationen für einige der anwesenden Zuhörer aus den Anrainergebieten.
Traunsteiner Stadtwerke wollen künftig Windräder betreiben
Nach Dr. Jürgen Busse ergreift an dem Abend noch der Geschäftsführer der Traunsteiner Stadtwerke, Stefan Will, das Wort. Als potenzieller künftiger Betreiber der Windräder versichert er: „Es ist noch nichts entschieden.“ Man müsse noch weitere Daten zur Windgeschwindigkeit erheben, um final Standorte festlegen zu können. Die einjährige Messreihe liefe noch bis Juli 2024. Mann sei auch erst am Anfang der Planungsphase: Bis zur tatsächlichen Errichtung der Windräder würden noch mindestens vier Jahre vergehen.
Versuch Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen
Stefan Schindler von der Projektierfirma reencon, auch schon Altbekannter, weil Hauptreferent der Infoveranstaltung in Palling, spricht erneut über Vorteile von Windkraft. Reencon ist von den Stadtwerken beauftragt, in der Region nach geeigneten Standorten für Windkraft zu suchen. Der Flächenverbrauch für Windkraft, erklärt Schindler, sei gering, die Effektivität im Vergleich sehr hoch, auch in Bayern.
Er will auch mit Mythen und Vorurteilen gegenüber Windkraft aufräumen und informiert zu Lärmemission, Schall, bestehenden Naturschutzauflagen oder Bodenkontamination durch Abrieb der Rotorblätter. Kritikpunkte, die auch von der Initiative ‚NEIN zu Windpark Kammer‘ bei den vergangenen Veranstaltungen immer wieder aufgeführt wurden.
Bau wohl kaum verhinderbar: „Frage ist nur, wer“
Zusammen mit Dr. Busse weist Schindler auch nochmal auf die Tatsache hin, dass durch das bereits bestehende Gesetz Windkraftanlagen gebaut werden würden, ob man wolle oder nicht. Im Moment hätte man aber noch die Möglichkeit, mitzubestimmen, wer der Betreiber ist. Vorgesehen sei nach wie vor eine finanzielle Beteiligung der Bürger über eine Genossenschaft: „Bei den Stadtwerken haben sie einen Partner, der so nicht Pleite geht, das ist Strom von der Region für die Region. Sie werden nie als Bürgerschaft verhindern könnten, dass die Vorranggebiete bebaut werden, es ist nur die Frage, wer.“
Wieder Fragen zu Blackout: „Stromnetz muss ausgebaut werden“
Bei der anschließenden Diskussion sind die meisten Fragen bereits bekannt, auch die Redner nicht neu: Vertreter der Initiative ‚NEIN zu Windpark Kammer‘, unter anderem deren Sprecherin Gerlinde Hohenadel, wollen wissen, wie die Sicherung der Stromnetze gewährleistet wird. Dazu antwortet Stefan Schindler, wie schon die Woche zuvor: Man müsse da unbedingt nachbessern, der Netzausbau wäre im Vergleich zur Energieproduktion hinten angestanden. Man befinde sich eben derzeit in einer Art Baustellenphase, er sehe aber keine Gefahr.
Eine andere, jüngere Dame prangert erneut, wie auch schon in Rettenbach an, dass durch die Erosion der Rotorblätter von Windrädern giftiges Plastik in den Boden eingebracht würde: Die vorherige Ausführung von Schindler hatte ihre Frage laut ihr nicht beantwortet. Die Stoffe seien krebserregend und somit das Land nicht mehr für Landwirtschaft brauchbar. Auch ein ortsansässiger Bauer aus Tettelham, Gemeinde Waging, springt auf diesen Zug auf:
Verseuchen Windräder seit Jahren Deutschlands Böden?
„Wenn die Windräder kommen, dann können wir Bauern hier dicht machen“, untermalt er die Aussage seiner Vorrednerin lautstark. Antwort von Schindler: „Es gibt bereits 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland. Ich habe noch von keinem bäuerlichen Betrieb gehört, der schließen musste, weil der Boden verseucht ist.“
Jeder Baum zählt: die Mehrwertfrage
Ein weiteres, oft vorgebrachtes Argument: Der Naturschutz vor Ort bliebe für den globalen Klimaschutz auf der Strecke - auch an diesem Abend Thema. „Im Haidforst in Traunstein wird seit Jahren um jeden Baum gekämpft, warum nicht jetzt auch im Froschhamer Stadtwald?“, will ein Mann im Publikum wissen. Die zweite Bürgermeisterin Traunsteins, Burgi Mörtl-Körner ergreift das Wort:
„Borkenkäfer, Wärme, Wetterextreme“ - Chance ergreifen, Klimawandel zu minimieren?
„Die Stadt Traunstein bemüht sich seit 30 Jahren darum, einen Mischwald aufzubauen. Aber vier von fünf Bäumen sind beschädigt: Borkenkäfer, Wärme, Wetterextreme zerstören die Fichtenwälder.“ Da müsse man doch, so Mörtl-Körner weiter, die Chance erst recht ergreifen, ein wenig Kohlenstoffdioxid einzusparen. So viel wie der Betrieb eines Windrades einspare, könne ein einzelner Baum gar nicht leisten: „Sicher ist es um jeden Baum schade, aber irgendeinen Tod muss man immer sterben.“
Windradgegner: unterschiedlicher Hintergrund, selbes Ziel
Die Diskussion am Ende der Infoveranstaltung zeigt: Es kristallisiert sich ein Bündnis der Windkraftgegner aus zwei Lagern heraus: Zum einen sind da die hartgesottenen Kritiker von Windkraft generell: Blackout, Mikroplastik, Bodenkontamination bis hin zu Klimawandel-Skeptikern. Daneben reihen sich mehr und mehr Anwohner ein, die schlichtweg Angst haben vor den über 200 Meter hohen Windrädern in unmittelbarer Nähe. Ein Mann aus Tettelham, nahe Froschham gelegen, bringt es auf den Punkt:
Verständnis für Befürchtungen der Anrainer
„Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sein wird, wenn die nur 500 Meter von meinem Haus entfernt stehen. Wo kann ich mir denn sowas mal anschauen, und mit Leuten reden, die so wohnen?“ Wagings Bürgermeister, Matthias Baderhuber (CSU) versteht den Mann und beendet die Veranstaltung in Richtung Kritiker gewandt: „Was ich jetzt hier nicht verstehe, warum man Windkraft generell infrage stellt. Ich verstehe, wenn man 500 Meter entfernt wohnt, das ist klar. Das kann ich jetzt auch nicht ausräumen.“
Die Gegner geben sicher nicht auf: ein Bürgerbegehren wurde bereits angesprochen, es werden Unterschriften gesammelt, Flyer verteilt, auch an diesem Abend. Vielleicht beim nächsten Mal Bauern aus dem hohen Norden einladen, die berichten, wie es sich mit Windrädern in der Nachbarschaft lebt. Das könnte frischen Wind in die Diskussion bringen.