Auflösung des Bahnübergangs vor dem VGH
Tunnel und Brücke auf B304 in Reitmehring: „Ein Horror“ – Anlieger und Meggle wehren sich
Die Staufalle an der Schranke auf der B 304 in Reitmehring soll aufgelöst werden. Eine Brücke über die Gleise, Tunnel und Trog sind geplant. Drei Anlieger und das Unternehmen Meggle klagen gegen die Mega-Baumaßnahme vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Prozess zeigt: Es geht um Existenzen.
Wasserburg/München – Saal 1 im Verwaltungsgerichtshof in München kann an diesem Sitzungstag des achten Senats die vielen Beteiligten kaum fassen. Der Beklagte, der Freistaat Bayern als Vorhabensträger, und die Kläger, die Familien Kobler, Bernauer und Buortesch sowie die Meggle Group GmbH, sind mit ihren Anwältinnen und Anwälten vertreten. Auf den Gängen zwischen den Tischen stehen eng an eng Klappboxen mit Aktenbergen. Im Zuschauerraum ist jeder Platz besetzt mit Angehörigen der betroffenen Grundeigentümer und Betriebe, interessierten Bürgern aus Wasserburg und dem benachbarten Edling, Mitarbeitern der Ingenieurbüros, die die Grundlagen für die Planung, deren Beschluss im Juni 2022 erging, ermittelt haben, und des Staatlichen Bauamts.
Es wird ein langer Tag, an dem sich die Vorsitzende Richterin Judith Müller und ihre Kolleginnen Christiane Losenegger und Dr. Irene Steiner mit Engelsgeduld und stets um einen gerechten Ausgleich bemüht durch lange Sachvorträge, von vielen Besprechungspausen unterbrochen, kämpfen. Immer wieder werden riesige Karten auf dem Richtertisch ausgebreitet, Eigentumsverhältnisse und Pachtverträge dargestellt. Eine defizile Kleinarbeit, für Ortsfremde eine Herausforderung.
Betroffen: Erdbeer-Plantage, Hofläden, Stall
Den Anliegerfamilien Bernauer, Kobler und Buortesch, vertreten durch Rechtsanwalt Josef Schneider, ist die existentielle Bedeutung des Prozesses anzumerken. Denn der in einem über 20 Jahren dauernden Verfahren mit mehreren Anhörungsrunden und Änderungen entstandene Plan zur Aufhebung des Bahnübergangs mittels Brücke über die Bahn, Tunnel und Trog sowie Direktrampe zur B 15 und Verlegung der Bahnhofstraße hat in Teilen laut Schneider eine enteignende Wirkung auf Grundstücke, die für die Großbaumaßnahme benötigt werden. Die etwa dreijährige Bauzeit an der B 304 macht Umleitungen erforderlich, die die Erreichbarkeit der Betriebe stark erschweren: für die Selbstpflück-Erdbeerplantage der Familie Bernauer, die Hofläden der Bernauers und von Familie Buortesch, die direkt an der Baustelle außerdem 50 Sorten Gemüse anbaut, sowie für den Milchviehbetrieb von Landwirt Helmut Kobler, der das Futter für seine Tiere hier selbst anbaut. Quasi auf der Baustelle müsste Familie Buortesch leben: Sie fürchtet trotz gegenteiliger Beteuerung von Sachverständigen auch, dass ihr 350 Jahre alter Hof die Belastungen der Bauarbeiten nicht aushält. Monika Buortesch sagt, der Gedanke an Staub und Lärm sei „ein Horror“.
Meggle: „Das können wir so nicht akzeptieren“
Deutliche Worte finden vor dem VGH auch die Vertreter von Meggle, der Leister des Risk Managements, Stefan Fedunik, und Generalbevollmächtigter Professor Dr. Bruno Meiser. Letzterer sagt mit Blick auf die Baustellenzeit, in der eineinhalb Jahre lang der Verkehr über die bereits jetzt überlastete Meggle-Straße direkt an der Werkseinfahrt umgeleitet werden soll: „Das können wir so nicht akzeptieren.“ Und bekräftigt mehrmals: „Das geht gar nicht.“ Ein Gutachten, das Meggle in Auftrag gegeben habe, zeige die gravierenden Folgen: Vervierfachung des Verkehrs, Rückstaus von bis zu vier Kilometern, Verzögerungen bei den An- und Abfahrten der Lkw zum Werksgelände. „Dann können wir zumachen“, betont Meiser auch angesichts der empfindlichen Rohstoffe, die transportiert würden.
Modifizierte Umleitungsplanung eingebracht
„Es wird so getan, als ob Meggle nicht existent wäre“, findet Rechtsanwältin Bettina Neheider von der Wirtschaftskanzlei Heuking. Doch das Unternehmen muss sich dem Vorwurf stellen, im Rahmen der Anhörung im Jahr 2016 zwar in einem Schreiben darauf hingewiesen zu haben, dass die Werkseinfahrt immer zugänglich bleiben müsse, jedoch nicht ausreichend dargestellt zu haben, dass die Erschließung gefährdet werde, findet Vorsitzende Richterin Müller. Oberlandesanwalt Marcus Niese bringt schließlich eine modifizierte Umleitungsplanung über eine Südumgehung ins Spiel, die statt 1,5 Jahre „nur“ neun Monate lang die Meggle-Straße zusätzlich belaste. Die Pläne lagen bisher nicht vor, Meggle und die drei weiteren Kläger setzen zwei Monate Zeit durch, um sie zu studieren und die neue Sachlage zu bewerten.
In der mündlichen Verhandlung stellt sich außerdem eine Grundsatzfrage: Sind Details zur Ausführung der Mammutbaumaßnahme bereits in der Planfeststellung abzuwägen? Die Vorsitzende Richterin verweist mehrfach darauf, dass es im Verfahren nicht um Fragen der Umleitung und der Art sowie Intensität der Bauarbeiten gehe, sondern darum, ob alle Belange der Beteiligten ordnungsgemäß und fair abgewogen worden seien.
„Grobe Missgriffe“
Meggles Anwaltskanzlei ist überzeugt: Die Tatsache, dass der Betrieb von Wasserburgs größtem gewerblichen Arbeitgeber und Steuerzahler, unter anderem Weltmarktführer bei Pharma-Lactose, durch die Planung stark betroffen sei, zeige „grobe Missgriffe“ auf. Außerdem gebe es Alternativen zur Ausführung mit Brücke, Tunnel und Trog: eine Tieferlegung der Bahnlinie im Bereich Reitmehring. 170 Millionen Euro würde dies kosten, so Oberlandesanwalt Niese. „Unfinanzierbar“ nannte er dies, auch angesichts der Tatsache, dass der Bahnhof tiefergelegt werden müsste. Unfinanzierbar sei das Vorhaben ohnehin, ist Rechtsanwalt Schneider überzeugt. Außerdem stehe die Großbaumaßnahme nicht einmal im Bundesverkehrswegeplan. Schneider findet grundsätzlich: Die Bahn, nicht der Bund, müsse das Vorhaben umsetzen. Es liege zwar auf einer Bundesstraße, betreffe jedoch zum überwiegenden Teil die Bahnlinie.
Oberlandesanwalt unterstreicht Gesprächsbereitschaft
Der Oberlandesanwalt unterstreicht mehrfach, dass der Freistaat und das Staatliche Bauamt gesprächsbereit seien. Er macht auch Angebote in Richtung der drei klagenden Anliegerfamilien. Mal geht es um Schutzplanken gegen Staub und Lärm während der Bauzeit, mal um Sicherungsmaßnahmen für die Befahrbarkeit eines Futtersilos, mal um Flächen, die weniger umfangreich beschnitten werden sollen. Doch der große Wurf ist nicht dabei. An der Tatsache, dass Areale durch die für die Baumaßnahme notwendigen Eingriffe vorübergehend oder langfristig durchschnitten oder gar verloren gehen, ändert sich wenig, finden die Kläger.
Unterschiedliche Meinungen herrschen zur Frage der Existenzgefährdung. „Wir verlieren Kunden“, ist Buortesch überzeugt. Sein Biolandberater führt vor Gericht aus, 70 Prozent des Umsatzes beim Betrieb Löwenzahn werde durch den Direktverkauf im Hofladen erwirtschaftet. Er werde starke Einbußen hinnehmen müssen, weil Stammkunden aufgrund der schlechten Erreichbarkeit während der Bauphase nicht mehr anfahren würden. Es drohe Gefahr, dass sie für immer wegbleiben würden, denn Bioprodukte gebe es heute auch in fast jedem Supermarkt. „Wir sind bedroht durch diese Planung“, sagt auch das Ehepaar Buortesch eindringlich. So sehen es auch die Bernauers. Ihre Erdbeerplantage könne nicht mehr so betrieben werden wie es betriebswirtschaftlich sinnvoll sei.
Nach einer Marathon-Sitzung von zehn Stunden wird die Verhandlung vertagt. Der Senat werde voraussichtlich beim nächsten Termin über die zahlreichen Beweisanträge entscheiden, teilt das Gericht auf Anfrage mit. Unter anderem fordern die Landwirtsfamilien eine andere Bauweise: durch einen weitaus längeren Tunnel nach Westen und Osten sowie eine bergmännische Bauweise, bei der die Baustellenzeit weitaus weniger belastend würde, wie sie überzeugt sind, zudem einen Vor-Ort-Augenschein und mehrere Gutachten zu Fragen rund um Emissionen, Verkehrsführung, Baubegleitung und betriebliche Gefährdungen. Das Verfahren Meggle wird schriftlich fortgesetzt.
