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Busfahrer wie „Fußabtreter“ behandelt?

„Zurück in die Steinzeit“: Ist der MVV-Beitritt in Wasserburg ein Rückschritt?

Stadtbusfahrer Vesel Komoni muss seit der MVV-Einführung wieder viele Vorgänge per Hand erledigen. Das ist in den Augen vieler Kritiker ein Rückschritt.
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Stadtbusfahrer Vesel Komoni muss seit der MVV-Einführung wieder viele Vorgänge per Hand erledigen. Das ist in den Augen vieler Kritiker ein Rückschritt.

Verwirrende Tarife, fehlende Automaten, pöbelnde Fahrgäste: Der Beitritt des Landkreises Rosenheim zum MVV-Verbund verlief holprig. Mittlerweile hat schon der erste Stadtbus-Fahrer in Wasserburg hingeworfen. Warum der Frust groß ist und wie die Probleme gelöst werden sollen.

Wasserburg – Der Wasserburger Stadtbus ist – eigentlich – sehr komfortabel. Er fährt in einem engen Takt (jede halbe Stunde) zwischen Bahnhof-Reitmehring und Badria hin und her. Es gab Automaten an den Bushaltestellen, an denen die Fahrgäste die Tickets ziehen konnten, günstige Zeitkarten, die nur vorgezeigt werden mussten, sodass das Ein- und Aussteigen flott ging. Eine eigene App sollte ebenfalls kommen.

Doch seit dem 10. Dezember muss der Busfahrer wieder kassieren und sogar nach guter alter Manier das Stempelkissen zücken: Denn die Karten sind auch im Bus zu entwerten. Manchmal heißt es sogar, noch extra einen Zettel auszufüllen, um zu vermerken, wo gestempelt wurde, für spätere Kontrollen beispielsweise im Zug.

Fahrgäste genervt

Mehrbelastungen, die nicht in die Zeit passen. Im Stadtrat legte unter anderem Lorenz Huber (Bürgerforum) den Finger in die Wunde: „Das ist doch steinzeitmäßig.“ Auch Georg Machl (CSU) fand, es dauere alles viel zu lange und sei sehr umständlich. Viele Fahrgäste seien schwer genervt. Das stimmt: In den sozialen Netzwerken wimmelt es von Beschwerden über den MVV.

Hat die Einführung die Stadt Wasserburg in puncto Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) zurückgeworfen, statt vorangebracht? Andreas Hiebl, zuständiger Mitarbeiter im Rathaus, entweicht als Reaktion auf diese Frage ein Seufzer. Er ist zwar nach wie vor ein Befürworter des MVV-Beitritts, zu dem sich Stadt und Landkreis 2023 entschieden hatten, wodurch auch Wasserburg mit im Boot sitzt. Doch Hiebl räumt auch ein: „Der Start war relativ holprig. Ich sehe die Einführung, so wie sie gelaufen ist, kritisch.“

Sehr viele Rückfragen

In den ersten Wochen gab es bei Hiebl und im Bürgerbüro „sehr viele Rückfragen“. Kein Wunder. Der neue Tarif aus dem Münchener Verkehrsverbund ist, so sagt auch Hiebl, „erklärungsbedürftig“. Die Verantwortlichen für den MVV hätten bei den Bürgern in Wasserburg, darunter viele Kurzstreckenfahrer, die nicht so vertraut mit den „Öffis“ seien wie die Großstädter, „zu viel vorausgesetzt“. Es gibt außerdem keine Automaten mehr, an denen Tickets vor dem Einstieg gezogen werden können, mehrere Verkaufsstellen für unterschiedliche Karten und verwirrende Erstattungssysteme wie jene für die Schülertickets. Und Kuriositäten: Der neue Netzplan sieht unterschiedliche Zonen vor, je nachdem, von welcher Seite des Inns aus Richtung Rosenheim gefahren wird.

Anfangs konnte die Stadt nicht alle Fragen beantworten, bedauert Hiebl. Den Frust vieler Fahrgäste bekamen die Mitarbeiter im Bürgerbüro,vor allem jedoch die Busfahrer, ab. „Bei ihnen haben einige kräftig Dampf abgelassen“, bedauert Hiebl.

Stadtbus fahren „sehr anspruchsvoll“

Das bestätigt Nicolaj Eberlein, geschäftsführender Gesellschafter beim Unternehmen Hövels mit Sitz in Tacherting. Es hat 2022 den Zuschlag für den Stadtbus im Halbstundentakt erhalten. Fast zwei Jahre lang ging alles gut, sagt Eberlein – trotz der Tatsache, dass Stadtbus fahren in Wasserburg aufgrund der vielen Engstellen wie des Nadelöhrs Brucktor, des Halbstunden-Takts, der Notwendigkeit, die Anschlusszüge am Bahnhof zu erreichen, und der hohen Verkehrsbelastung sowie schwierigen Topografie in der Innschleife „sehr anspruchsvoll“ sei. Mit der MVV-Verbund-Einführung hat sich die Situation nach Erfahrungen von Eberlein stark verschlechtert. „In Wasserburg hat sich daraus ein extrem hoher Anteil an Einzelfahrkarten (Kurzstrecke) ergeben“, nennt er als Beispiel. Und diese müssen jetzt entweder im Bus oder an den wenigen Verkaufsstellen erworben und vom Fahrer abgestempelt werden.

Der Takt des Stadtbusses gerate deshalb regelmäßig ins Trudeln. „Massive Probleme“ gebe es vor allem zu den Spitzen im Frühmorgen- und Feierabendverkehr. Die Fahrer müssten aufgrund der Verspätungen oft auf ihre Pausen verzichten. „Die persönliche Belastung ist extrem gestiegen“, bedauert Eberlein. Das bestätigt auch Vesel Komoni, Stadtbusfahrer seit fast 21 Jahren. Der MVV beschere ihm und seinen Kollegen „sehr, sehr viel Stress“, bedauert er. „Vieles ist seitdem nicht mehr in Ordnung.“

„Tarifpolitisches Abenteuer“

Sein Chef weist auf die Gefahr hin, dass Fahrer hinwerfen, was bereits einer getan habe. Kein Wunder, wenn das Personal „täglich beschimpft“ und als „Fußabtreter“ behandelt würde. Denn Kunden würden ihren Unmut über das neue, für viele unverständliche Tarifsystem oder Verspätungen an den Fahrern auslassen. Diese hätten überhaupt keine Zeit, auch noch eine Tarifberatung im Bus zu leisten, ergänzt Komoni. „Wir sind kein Infobüro.“ „Dass der MVV ganz einfach zu verstehen ist, das ist doch eine Mär“, findet Eberlein. Er ist außerdem der Meinung, der Landkreis habe sich schlecht vorbereitet „auf dieses tarifpolitische Abenteuer“ eingelassen. Die Einführung sei überhastet gewesen, Busunternehmen und Fahrgäste müssten dies jetzt ausbaden.

Der MVV katapultiere Wasserburg derzeit in die Steinzeit zurück, findet Eberlein. Der Fahrer müsse beispielsweise „frühmorgens und abends im halbdunklen Bus, mit einem kleinen Handstempel und jetzt im Winter mit klammen Fingern winzige Felder auf den Streifenkarten entwerten“ – „anachronistisch ist das“. Seine Forderung: „Entwerter-Automaten rein in die Fahrzeuge, Kartenvertrieb raus aus den Autos. Wir brauchen ein elektronisches Ticketing.“ In Wasserburg sollten die früheren „Parkscheinautomaten“ an den Haltestellen am besten übergangsweise wieder in Betrieb gehen.

Appell: „Hört auf, auf unsere Fahrer einzuprügeln“

Außerdem ergeht ein Appell an die Fahrgäste: „Bitte schimpft unsere Fahrer nicht. Sie können nichts dafür, dass die MVV-Einführung mit diesen Konstruktionsfehlern begonnen hat. Hört auf, auf sie einzuprügeln.“ Die sieben bis acht Stadtbusfahrer in Wasserburg seien allesamt sehr erfahren, hätten ein hohes Berufsethos und dementsprechend Wertschätzung verdient. Ansonsten drohe ein akuter Personalmangel, der den Stadtbusverkehr belaste werde. „Das ist dann eine Lose-Lose-Situation für alle: Fahrer und Fahrgäste.“

Erste Lösungsansätze

Ein Problem der MVV-Einführung wird in Kürze gelöst: In den Stadtbussen werden laut Andreas Hiebl, ÖPNV-Beauftragter der Stadt, Entwerter-Automaten aufgestellt, sodass das Stempelkissen wieder eingepackt werden kann. Im Bürgerbüro soll ein Drucker aufgestellt werden, damit die Fahrkarten, die hier gekauft werden, nicht mehr ausgehen können, wie es anfangs geschehen ist. Außerdem empfiehlt Hiebl allen die MVV-App, über die nicht nur Tickets gekauft werden können, sondern die auch viele Informationen zum Fahrplan und zu den Tarifen vermittle. Auch über den Bahn-Navigator könne der MVV bedient werden. Leider werde die App-Nutzung nicht durch Rabatte belohnt.

Die Situation habe sich außerdem zwischen den Jahren entspannt. Jetzt, genau einen Monat nach Einführung, wird sich zeigen, ob das neue System die Kinderkrankheiten überwunden hat. Trotzdem stellt Hiebl fest: Der MVV müsse aus den Erfahrungen im Landkreis Rosenheim lernen. Bei den weiteren geplanten Tarifzonen-Erweiterungen müsse viel eher mit der Information der Fahrgäste angefangen werden. Auch die Umsetzung zum Fahrplanwechsel mit Preiserhöhung sei ein falscher Zeitpunkt gewesen. Mittel- bis langfristig gesehen wird sich der Umstieg jedoch auszahlen, ist der Verkehrsexperte im Wasserburger Rathaus überzeugt. Vor der MVV-Einführung habe es allein im Stadtgebiet sechs Tarifsysteme gegeben, ein Wirrwarr, das sich ein moderner ÖPNV auf Dauer nicht leisten könne.

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