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Mordfall Hanna und weitere Prozesse

Verbrechen in der Region Rosenheim: Worüber sich Star-Anwalt Baumgärtl Sorgen macht

Harald Baumgärtl als Verteidiger von Sebastian T. im Mordfall Hanna am Landgericht Traunstein.
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Komplizierter Fall: Harald Baumgärtl als Verteidiger von Sebastian T. im Mordfall Hanna.

So viele große Fälle wie Harald Baumgärtl im Jahr 2024 hat ein Anwalt in der Region selten. Vom Mordfall Hanna bis zum Mord an Gabersee-Oberarzt Rainer Gerth: Baumgärtl war dabei. Was ihm dabei auffiel. Und was ihm für die Zukunft Sorgen macht.

Rosenheim/Traunstein – Das Gericht an sich ist Grenzgebiet. Für die Grenze zwischen schuldig und unschuldig, zwischen Ankläger und Angeklagtem, zwischen Behauptung und Beweis; die Grenze des guten Geschmacks, die Grenze des Vorstellbaren.

Das alles kennt Harald Baumgärtl. Er ist Anwalt und Strafverteidiger seit langem, und er hat in den vergangenen 20 Jahren manche dieser Grenzen austesten müssen. Ach, was heißt da müssen. Manchmal dürfen. „Das ist schon eine Bühne“, sagt er und verhehlt nicht, dass er diese Bühne mag: das große Drama vor Gericht. Es ist ein Streit der Paragrafen. Vor allem aber ist es ein Streit der Menschen.

Auch als Anwalt geht man an Grenzen

Manchmal kommt man auch als Anwalt an Grenzen. So war das im Jahr 2024. Harald Baumgärtl hatte große Fälle vor der Brust, die Fälle, die besonders viel Aufmerksamkeit erhalten: den Mordfall von Aschau, um den gewaltsamen Tod von Hanna; um den „Horrorstall von Rimsting“. Und als Anwalt der Nebenklage den Mord an Oberarzt Rainer Gerth in Gabersee. Er hat vor sich: die Verhandlung gegen den mutmaßlichen Reichsbürger von Rosenheim, gegen die Mutter, die mutmaßlich im Wahn ihr eigenes Kind töten wollte, gegen den Sohn, der in Raubling seinen eigenen Vater getötet haben soll, um dann mit der Leiche im Kofferraum nach Neapel zu fahren.

Der Prozess, der allen zusetzte

Wie geht man damit um, wie verändert einen das, was macht das mit einem? Harald Baumgärtl wird nachdenklich. Er erinnert sich an den Indizienprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. Der große Saal im Landgericht Traunstein, ein komplizierter Fall. Hanna W. war beliebt, die Umstände um ihren Tod so unglücklich, wie sie nur laufen konnten. Der Angeklagte: ein traurig dreinblickender, schweigender Außenseiter.

35 Tage lang wurde verhandelt, um Details gefeilscht, wurden Indizien gedeutet. Die Emotionen schlugen hoch, zwischen Wahlverteidigerin Regina Rick und Richterin Jacqueline Aßbichler gab es immer wieder Wortgefechte. Von einer „Gefahr für den Rechtsstaat“ sprach Richterin Aßbichler hinterher. „ich habe selten ein Verfahren erlebt, das allen Beteiligten so zugesetzt hat“, sagt Baumgärtl. „Da ist keiner verschont geblieben. Da ist das Gericht, das einen unheimlichen Druck verspürt hat, das ist die Staatsanwaltschaft, da ist die Nebenklage, da sind Eltern und Bruder der Getöteten, da sind die Eltern unseres Mandanten, das sind wir als Verteidiger.“ Alle, sagt er, seien irgendwann sehr dünnhäutig geworden.

Horrorstall von Rimsting: Ein Landwirt, der abstürzt

Wie ein Mensch der Welt abhanden kommen kann, erlebten Baumgärtl und sein Mitstreiter Dr. Markus Frank wenige Wochen nach dem Mordprozess, der mit einer Verurteilung des Angeklagten zu neun Jahren Haft endete. Am Amtsgericht Rosenheim hatten die beiden den nächsten Fall, der schon zuvor Schlagzeilen geschrieben hatte. Angeklagt war der Landwirt aus Rimsting, in dessen Stall 30 Rinder und Kälber elendiglich verreckten und verrotteten. Wie ist so ein Horror zu erklären?

Der Bauer habe über einen längeren Zeitraum hinweg eine „psychisch extrem belastende Situation“ erlebt. „Und da kann es tatsächlich zu solchen Aussetzern kommen.“ Offenbar über Wochen hinweg ließ der Bauer den Stall verkommen. Am Ende standen die überlebenden Tiere bis zu den Kniegelenken in Gülle. Ein Blick in den Abgrund.

Rimsting: Warum bekam niemand etwas mit?

„Wir haben ja am Gericht gehört, dass dieser Landwirt seine Tiere über Jahre hinweg ordnungsgemäß gehalten hat“, erinnert sich Baumgärtl. „Jede Kuh hatte ihren Namen.“ Und doch sei dann ein psychisches Problem über den Bauern hereingebrochen. „Und dann ist man auf einmal nicht mehr in der Lage, auch nur das Notwendigste zu tun.“

Zwei Jahre auf Bewährung gab es dafür, dazu ein jahrelanges Tierhaltungsverbot. Plus Geldstrafe und eine Auflage: eine Therapie zur Behandlung seiner Depression. Oft genug sind Täter offenbar sich selbst ein Rätsel. Aber auch das Drumherum bleibt rätselhaft: Warum bekam niemand etwas mit, roch, sah, hörte niemand etwas von den Zuständen im Stall? „Wer da alles nicht hingesehen hat, es vielleicht auch gar nicht wollte: Man findet da keine Worte“, sagt Baumgärtl.

Verbrechen in der Region: Nimmt der Wahnsinn zu?

Harald Baumgärtls Kalender sagt etwas darüber aus, was die Gesellschaft gerade umtreibt. Der depressive Landwirt, der Mann, der aus dem hohen Norden Deutschlands anreiste, um nach wochenlanger Beobachtung seines auserkorenen Zieles auf den Oberarzt Rainer Gerth in Gabersee einzustechen: Harald Baumgärtl kommt es ab und zu so vor, als wachsen Verwirrung und Wahn an.

Auch wenn er seine zukünftigen Fälle denkt: den mutmaßlichen Vatermörder aus Raubling, die Mutter aus Burghausen, die ihr Kind mit dem Messer attackierte. „Was mir tatsächlich auffällt, ist die steigende Anzahl der 63er-Fälle“, sagt Baumgärtl. 63er-Fälle, das sind die Strafsachen nach dem Paragrafen 63 des Strafgesetzbuches. Dem Beschuldigten droht in solchen Fällen nicht Gefängnis, sondern Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Rechtsanwalt Harald Baumgärtl in seiner Kanzlei in Rosenheim.

Im Fadenkreuz: Was Baumgärtl Sorgen macht

„Unter uns Verteidigern und auch beim Gericht hat‘s Klick gemacht, dass wir alle ja in einem gewissen Gefährdungsbereich leben“, sagt der erfahrene Anwalt. Gefährdung seitens Menschen, die im Wahn leben. Oder Menschen, die in ihrer eigenen Welt leben. So wie der mutmaßliche Reichsbürger. Auch da wird Baumgärtl in einem Grenzbereich zu tun haben, mit einer Parallelgesellschaft, die sich im Dunkel digitaler Echoräume organisiert und verabredet, um Hetze, krude Theorien und Rassismus zu verbreiten.

2025 wird in einem sicher wie 2024: Es wird fordernd bleiben. Und abwechslungsreich. Alles bleibt anders. Die Gesellschaft ist im Wandel, auch in Rosenheim. Und vor Gericht werden ihre Grenzlinien immer und immer wieder verhandelt. Harald Baumgärtl wird weiter dabei sein. Aus Pflichtbewusstsein. Aus Spaß am Beruf. „Solange mich alle auf die große Bühne lassen und ich dort auch nicht ganz unerfolgreich bin“, sagt er. „Warum soll ich aufhören?“

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