Kurz vor Prozess in Traunstein
Gabersee-Mord: So spricht Star-Anwalt Baumgärtl über den getöteten Oberarzt Gerth
„Man lebt mit einem Gefahrpotenzial“: Strafverteidiger Harald Baumgärtl vertritt ab Montag (4. November) die Familie des in Gabersee ermordeten Oberarztes Rainer Gerth. Warum ihn dieser Fall besonders berührt und wie er den Oberarzt erlebt hat.
Wasserburg/Traunstein – Diese Nachricht schockte Wasserburg und die ganze Region: Rainer Gerth, Oberarzt in der Forensik am kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Gabersee, wurde im April 2024 durch mehrere Messerstiche in den Oberkörper tödlich verletzt, als er von seinem Büro zum Parkplatz gehen wollte.
Der Täter, ein mittlerweile 41 Jahre alter Mann aus Norddeutschland, war in Gabersee untergebracht gewesen. Für die Anreise nach Wasserburg hatte er Hunderte von Kilometern zurückgelegt, wochenlang hatte er Gerth ausgekundschaftet. Vermutlich handelte er im Wahn. Jetzt muss sich der in Polen geborene Mann verantworten: Am 4. November beginnt der Mordprozess am Landgericht Traunstein. Starverteidiger Harald Baumgärtl aus Rosenheim vertritt zusammen mit Dr. Markus Frank sowie Jörg Zürner die engsten Angehörigen Gerths. In einem Fall, der nach Baumgärtls Worten wohl kein Fall wie jeder andere ist.
Die Nebenklage
„Das Institut der Nebenklage ist gesetzlich festgelegt und dient letztlich dem Opferschutz“, sagt Nebenkläger-Anwalt Harald Baumgärtl. Im Fall Gabersee-Mord sind die Opfer die nahen Verwandten des Verstorbenen. Und die Einrichtung der Nebenklage gibt ihnen als Nebenklägern das Recht, in die Akte einzusehen und als vollwertiges Mitglied in der Hauptverhandlung dabei zu sein. Das heißt: Man kann eigene Anträge stellen und das Verfahren auf diese Art mitgestalten. „Es dient natürlich auch dazu, dass man den nahen Verwandten eine Erklärung bietet oder versucht, eine Erklärung zu bieten, warum es zu dieser Tat gekommen ist“, sagt Baumgärtl. Zu erfahren, was wirklich passiert ist: Dazu sind Einblicke in die Akten, eigene Fragen und auch eigene Anträge oft unerlässlich. Die Nebenklage ist vorgesehen für die schweren Vergehen, vom Totschlag über Mord bis hin zu Körperverletzung und Kriegsverbrechen, aber auch bei Verletzungen des Urheber- oder Patenrechts.
„Hervorragender Mensch“: So kannte Baumgärtl Gerth
Denn Harald Baumgärtl kannte Rainer Gerth. Der Oberarzt hatte zahlreiche Gutachten für Gerichtsverfahren verfasst. „Da war natürlich der berufliche Kontakt da“, sagt Baumgärtl. „Man hat sich sicherlich einmal in der Woche oder zumindest alle 14 Tage bei irgendeinem Termin getroffen.“
„Also, ich kann nur sagen, er war ein hervorragender Mensch“, sagt Baumgärtl über Gerth. Ein Typ mit sehr menschlicher Ausstrahlung, der einen „unheimlich guten Kontakt zu seinen Patienten herstellen“ konnte. Was Gerths Qualität im Gerichtssaal ausmachte: „Auch die schwierigsten Mandanten, die ich hatte, hatte er immer in einer ganz außergewöhnlichen Weise begutachtet.“ Gerth sei ein Könner gewesen, ein Mann mit ausgezeichnetem Gedächtnis: „Ich war immer erstaunt. Er hat fast keine Unterlagen gebraucht, hat immer alles im Kopf gehabt.“
Der Mord macht nachdenklich
Folgt man der Antragsschrift des Staatsanwalts, beging der heute 41-jährige Dominik Georg S. seine tödliche Messerattacke im Zustand einer akuten schizophrenen Störung. Der Staatsanwalt wirft ihm Mord aus Heimtücke vor. Von 2010 bis 2013 war der mutmaßliche Mörder im Maßregelvollzug in Wasserburg untergebracht. War seine Tat ein Racheakt? Baumgärtl kennt Details aus den Ermittlungsakten, kann vor Start des Mordprozesses aber nichts dazu sagen, „nicht, solange die Antragsschrift nicht verlesen ist“.
Die Tat machte ihn so oder so nachdenklich. „Ich war natürlich erschrocken und schockiert“, sagt Baumgärtl. „Das zeigt im Endeffekt auch uns Juristen, dass man mit einem gewissen Gefahrenpotenzial lebt.“ Staatsanwälte, Richter und Gutachter, klar, die stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, ziehen im Falle einer Verurteilung oft Zorn auf sich. Aber auch der versierteste Verteidiger kann nicht jeden Mandanten rauspauken. „Es kommt immer wieder vor, dass Gespräche seltsam sind“, berichtet Baumgärtl. „Es kommt auch vor, dass man E-Mails oder Briefe mit Drohungen oder Beleidigungen erhält.“ Damit müsse man einfach leben.
Er hat Erfahrung: Harald Baumgärtl vertrat Mandanten in einigen der dramatischen Fälle der jüngeren Justizgeschichte in der Region, vom Einsturz des Eishallendachs in Bad Reichenhall über den grausigen Mord von Bergen bis hin zum Mordfall Hanna in Aschau.
Vier Tage für den Gabersee-Prozess
Baumgärtl und Frank erlebten als Verteidiger im Mordfall Hanna einen der längsten Prozesse der jüngeren Justizgeschichte im Landgerichtsbezirk Traunstein. Der Gabersee-Prozess, der am Montag, 4. November, beginnt, werde wohl nicht lange dauern, nimmt Harald Baumgärtl an. Der mutmaßliche Täter wurde blutverschmiert in der Nähe des Tatortes festgenommen, der Hintergrund der Tat scheint den Ermittlern ebenfalls schnell klar geworden zu sein. Vier Verhandlungstage sind angesetzt.
Es gibt keine Anklage-, sondern eine Antragsschrift. Heißt: Im Falle einer Verurteilung ginge der Beschuldigte nicht ins Gefängnis, sondern würde in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. „Es muss dann jährlich geprüft werden, ob die Voraussetzungen dieser Unterbringung noch vorliegen, insbesondere ob eine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgeht oder nicht“, sagt Baumgärtl. „Sind die Voraussetzungen wirklich gegeben? Es ist halt so, dass man in keinen Menschen hineinsehen kann.“ Und schon gar nicht in einen Menschen, der so sinnlos getötet hat.
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