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OVB-Exklusiv-Interview mit Anwalt Peter Dürr

Revision im Fall Hanna W.: Warum die Frage nach der U-Haft von Sebastian T. so brisant ist

Experte Peter Dürr erklärt, was der Bundesgerichtshof bei einem Revisionsantrag tut.
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Was hat der BGH da entschieden? Und wie geht‘s nun im Mordfall Hanna W. weiter? Rechtsanwalt Peter Dürr erklärt es exklusiv.

Der Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. wird neu aufgerollt. Und zwar wieder am Landgericht Traunstein. Ob das üblich ist, was die Revision für eine mögliche Haftentlassung von Sebastian T. bedeutet und wann der Prozess beginnen könnte, erklärt Jurist Peter Dürr im OVB-Exklusiv-Interview.

Aschau im Chiemgau Seit vergangener Woche (16. April) steht es fest: Der Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. in Aschau im Chiemgau muss neu aufgerollt werden. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat das Urteil wegen eines Verfahrensfehlers, den die Verteidigung gerügt hatte, aufgehoben. Was die Arbeit der 1. Kammer unter dem Vorsitz von Jacqueline Aßbichler ruiniert hat, war eine Absprache mit Oberstaatsanwalt Wolfgang Fiedler, wie Karlsruhe meint. Die Vorsitzende der Jugendkammer hätte nicht mehr mitwirken dürfen, nachdem sie sich Anfang Januar 2024 in E-Mails mit dem Staatsanwalt über die „rechtliche und tatsächliche Würdigung der in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse ausgetauscht“ habe, die Verteidigung hierüber aber in Unkenntnis gelassen hatte.

Womöglich noch 2025 geht es also wieder los. Und wieder am Landgericht Traunstein. Ob das üblich ist, was der Revisionsbeschluss aus Karlsruhe für die Freiheit des Angeklagten bedeutet, wie dieser vertrackte E-Mail-Austausch geschehen konnte und wann der Prozess beginnen könnte: Peter Dürr, Vorsitzender des Anwaltvereins Rosenheim und Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer München, spricht darüber im Exklusiv-Interview.

Den Beschluss, der Revision im so genannten Eiskeller-Prozess stattzugeben, hat der Bundesgerichtshof bereits am 1. April gefällt. Warum ging die Nachricht erst vor wenigen Tagen (16. April) an die Öffentlichkeit?

Peter Dürr: Das ist nicht ungewöhnlich. Die fünf Richter des zuständigen Senats am Bundesgerichtshof treffen eine Entscheidung. Diese muss dann aber auch noch ausgefertigt und zu Papier gebracht werden. Gemessen daran war das fast zügig, möchte ich sagen. Oftmals wartet man auch länger auf die Zustellung derartiger Beschlüsse.

War der Beschluss für Sie eine Überraschung?

Dürr: Der Beschluss, der Revision stattzugeben, stützt sich auf die Besorgnis der Befangenheit und das damit verbundene Ablehnungsgesuch der Verteidigung. Und insofern überrascht mich und auch viele Kollegen die Entscheidung persönlich auch nicht.

Viele Kollegen?

Dürr: Dieser Fall hatte ja doch deutschlandweit Aufsehen erregt. Dementsprechend wurde ich auch oft von Kollegen angesprochen. Und da war ziemlich oft zu hören, dass doch gerade bei einer derartigen Konstellation der Befangenheitsantrag durchgehen muss. Wann, wenn nicht in diesem Fall? Unterm Strich ist es also konsequent, wenn der BGH dieser Verfahrensrüge stattgibt. Nochmals zur Erklärung: Es kommt juristisch nicht darauf an, ob das Gericht tatsächlich befangen ist oder sich selbst für unbefangen hält. Bei einem Befangenheits- oder Ablehnungsgesuch ist auf einen verständigen Angeklagten abzustellen, auf dessen Besorgnis der Befangenheit kommt es an. Ein ungutes Gefühl beim Angeklagten? Das kann dieser – zunächst ja völlig unbekannte – E-Mail-Austausch wohl auslösen. Wenn diese Kommunikation zwischen Richterin und Staatsanwalt von vornherein in Kopie auch an die Verteidigung gegangen wäre, könnte man es vielleicht anders beurteilen.

Warum mussten sich Richterin und Staatsanwalt überhaupt über den geänderten Tatvorwurf austauschen?

Dürr: An sich sind solche Unterhaltungen in der Praxis wohl nicht selten. Die Besonderheit ist, dass dieser Austausch in diesem Fall schriftlich in die Akten geraten und dort dann zufällig durch die Verteidigung entdeckt worden ist. Auf dieser Grundlage konnte die Revisionsbegründung gefertigt und der BGH die erhobene Verfahrensrüge prüfen. Und das ist in einem rechtsstaatlichen Verfahren auch gut so.

Nun sitzt Sebastian T. immer noch in U-Haft. Wird die Verteidigung mit dem Antrag auf eine Haftprüfung Erfolg haben?

Dürr: Das ist eine brisante Frage. Ich kann beispielsweise von dem Fall Genditzki berichten. Nach der ersten Aufhebung wurde damals auch keine Haftprüfung beantragt oder Haftbeschwerde erhoben. Das Verfahren ist ja immer noch in der Schwebe und der Anklagevorwurf steht weiterhin im Raum. Es beginnt bei null, inklusive Beweisaufnahme. Und da kann es aus Sicht der Verteidigung auch gefährlich sein, sich im Lichte der Urteilsaufhebung sich im Oberwasser zu fühlen. Noch ist der Angeklagte nicht freigesprochen – auch wenn die Verteidigung sicherlich einen Freispruch anstrebt. Es ist wohl davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft jedenfalls weiterhin von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, ihre Vorwürfe aufrechterhält und sich gegen eine Haftentlassung aussprechen wird. Die aktuelle Urteilsaufhebung trifft letztendlich auch noch keine Aussage zur Schuld oder Unschuld des Angeklagten. Herr Genditzki ist ja auch beim zweiten Mal erneut verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft könnte jedoch im hiesigen Verfahren auch jederzeit von sich aus die Aufhebung des Haftbefehls beantragen.

Was würde das bedeuten?

Dürr: Dann muss Sebastian T. umgehend aus der Haftanstalt entlassen werden. Man kann sich andererseits ja auch fragen: Ist die Untersuchungshaft noch verhältnismäßig? Die Verzögerungen und Verlängerungen in diesem Prozess sind wahrlich nicht dem Angeklagten anzulasten.

Spielt sein Alter eine Rolle?

Dürr: Auch das spielt hinein. Der Richter hat auch die Möglichkeit, einen Haftbefehl außer Vollzug zu setzen, gegen geeignete Maßnahmen. Das kann eine Kaution sein, oder dass sich der Angeklagte in regelmäßigen Abständen bei der Polizei meldet. Auch so kann das Verfahren gesichert werden. Zumal: Warum soll er sich der Verhandlung entziehen, wenn er letztendlich sogar einen Freispruch anstrebt? Darauf deutet sein Verhalten während des Prozesses und auch das der Familie ganz klar hin.

Ist es gut, dass die erste Kammer des Landgerichts in Traunstein einen Prozess neu aufnehmen soll, an dem sie indirekt schon beteiligt war, indem sie den Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen die zweite Kammer ablehnte?

Dürr: Wir haben nun mal einen gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan. Und da sind die Zuständigkeiten nach einer Zurückverweisung genau geregelt. Frau Will (die Vorsitzende der ersten Jugendkammer, Anm. der Red.) kann sich natürlich im Lichte der Verfahrensgeschichte selbst ablehnen. Das wäre möglich. Die zweite Variante wäre, dass die Verteidigung ein erneutes Ablehnungsgesuch stellt. Und die dritte Variante: Die Verteidigung sagt, wir ziehen das erst recht in dieser Besetzung durch. Aus früheren Verfahren (Raserprozess Miesbacher Straße, Anm. der Red.) ist jedenfalls bekannt, dass die 1. Strafkammer auch in öffentlichkeitswirksamen Prozessen durchaus selbstbewusste Entscheidungen trifft, auch wenn andere Gerichte zuvor zu einem deutlich abweichenden Urteil gelangt sind.

Wann könnte die Verhandlung beginnen? Noch heuer? 

Dürr: Ich glaube schon. Klar benötigt so etwas eine gewisse Vorlaufzeit. Andere Verfahren sind schon angesetzt, Termine für Verteidigung und Gutachter müssen abgestimmt werden, und, und, und. Da wartet einige Vorarbeit. Aber in Strafsachen gilt eben auch das Beschleunigungsgebot. Der Prozess wird vielleicht nicht vor der Sommerpause beginnen. Spätestens im Herbst sollte jedoch was passieren.

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